Was wir jetzt im Jahr 2018 in der Diskussion um die Alte Elster und die katastrophale Beschlusslage zu den Elsterbrückenneubauten der Deutschen Bahn erleben, das hat alles seine Wurzel im Jahr 2003, als Leipzig ein völlig untaugliches Hochwasserschutzkonzept beschloss – wider besseres Wissen. Und gegen alle Warnungen von Land und Landestalsperrenverwaltung.

Bei den Elsterbrücken nimmt das Drama gerade seinen Lauf. Ein Planfestsstellungsbeschluss ist gefallen – und das bedeutet, die Bahn baut jetzt den von einer beratungsunwilligen Verwaltung abgesegneten Unfug in der Aue, der auf Jahrzehnte eine sinnvolle Bewässerung der Aue verhindert. Es ist egal, ob das amtliche Überforderung oder persönlicher Unwille ist (es ist beides), das Ergebnis ist für die lange beschworene Behauptung, man wolle ja die Aue wieder vernässen, das Aus.

Oder ein Offenbarungseid.

Denn in den Leipziger Amtstuben regieren nicht die Fachspezialisten – die gibt es dort auch. Und sie verzweifeln genauso an einer Politik, die ihre seltsamen Vorstellungen von Gewässernutzung Kraft ihre Entscheidungshoheit gegen alle anders lautenden Behauptungen durchdrückt.

Mit Segen eines Stadtrates, der 2003 einem Konzept zustimmte, ohne dessen direkte Auswirkungen auch nur einmal zu diskutieren.

Die Kanalbefürworter in Leipzigs Verwaltung arbeiten seit 2003 konsequent daran, ihre Pläne von „schiffbaren“ Kanälen umzusetzen – koste es, was es wolle. Aber das Konzept heißt nicht Wiederbelebung der Aue, sondern WTNK. Denn wer sich ein wenig mehr mit der eigentlichen Rolle der Alten Elster beschäftigt, sieht, dass sie im Hochwasserschutz Leipzigs keine Rolle spielt. Wirklich keine. Sie wird in weiten Teilen ein betonierter Kanal – so, wie man es bei den diversen Mühlgrabenöffnungen auch sehen kann. Kein lebendiger Fluss, auch keiner, der Hochwasser aufnehmen wird. Denn die fließen künftig weiter übers Palmgartenwehr.

Der Kurs 3 im WTNK - wahlweise über den freigelegten Elstermühlgraben und (hellblau) die neue Alte Elster. Karte: Grüner Ring Leipzig
Der Kurs 3 im WTNK – wahlweise über den freigelegten Elstermühlgraben und (hellblau) die neue Alte Elster. Karte: Grüner Ring Leipzig

Aber im Grunde machte Wasserbürgermeister Heiko Rosenthal am Mittwoch, 14. November, als er versuchte zu erklären, warum die Stadt den Pleißemühlgraben unbedingt an den Goerdelerring verlegen möchte, deutlich, worum es ihm geht. Da benannte er nämlich seine Prioritätenliste beim Gewässerausbau: Fertigstellung des Elstermühlgrabens (noch einmal 20 Millionen Euro), Ausbau des Stadthafens (etwa dieselbe Preislage) und Anschluss des Lindenauer Hafens an den Elster-Saale-Kanal (dito).

Das alles sind keine Hochwasserschutzprojekte und auch keine zur Revitalisierung der Aue, sondern alles Bestandteile des „Wassertouristischen Nutzungskonzepts“ (WTNK), 2006 in Kraft gesetzt und seitdem (trotz fehlender Umweltverträglichkeitsprüfungen) Planungsgrundlage für lauter wassertechnische Anlagen, die vor allem der Befahrbarkeit mit Motorbooten dienen.

Während die Öffnung des Teilstücks zwischen Lindenauer Hafen und Elster-Saale-Kanal zum Kurs 2 gehört, der nach den Plänen der Amtsinhaber in der Region einmal bis zur Saale führen soll (ein Thema, das wir noch einmal extra behandeln müssen), gehören Stadthafen und Alte Elster sowie Elstermühlgraben zum Kurs 3 im WTNK: von Leipzig über die Weiße Elster zur Saale. Der geplante Stadthafen (den die Stadt ursprünglich aus Kostengründen gar nicht selbst bauen wollte) liegt direkt an der geplanten Abzweigung der neuen Alten Elster vom jetzigen Elstermühlgraben.

Aber die Öffnung der Alten Elster würde dem Elsterbecken in trockenen und normalen Jahren ohne Hochwasser das komplette Wasser entziehen. Und nicht nur dem Elsterbecken, sondern auch Neuer Luppe und Nahle – und damit genau das Wasser, das gebraucht würde, um die Nordwestaue wieder mit Gewässern zu bespannen.

Es ist nur eine Vermutung, aber sie bestärkt sich immer mehr: Den Befürwortern des WTNK ist genau das sehr klar. Sie wissen, dass sie ihre Alte Elster nur bekommen, wenn sie die Aue trockenlegen. Und deshalb verhindern sie jeden Schritt, der in der Nordwestaue für mehr Wasser sorgen würde.

Sie versuchen also ihre Bootsfahrträume auf Kosten des Auenwaldes zu verwirklichen. Mit fatalen und teuren Folgen auch im Elsterbecken.

Nicht nur der Neubau der Alten Elster würde teuer – mit Kosten weit über 100 Millionen Euro nach heutigen Marktpreisen. Auch im Elsterbecken gibt es teure Folgekosten in genau derselben Größenordnung.

Leipzig ist weit davon entfernt, mit seinem Geld nachhaltig umzugehen. Gerade beim Gewässerausbau wird es mit vollen Händen zum Fenster rausgeschmissen. Das WTNK ist bis heute nicht evaluiert worden. Und die Bürgerbeteiligung dazu, die im Sommer startete, hat sich längst genauso als Fake erwiesen.

Die Meinungen der Bürger oder gar der kompetenten Fachverbände sind gar nicht gefragt. Es soll – das wurde mehr als deutlich gesagt – „fortgeschrieben“ werden. Heißt im Klartext: All die 2006 festgeschriebenen Ausbaupläne werden weitergeführt. Auch wenn sie wie die Wasserschlange in Markkleeberg an den örtlichen Gegebenheiten längst gescheitert sind.

Aufgedröselt oder verändert wird nichts.

Und alles mit der Behauptung, es ginge hier um Wassertourismus, obwohl jede seriöse Erhebung zeigt: Im Raum Leipzig gibt es kaum Wassertourismus – also Leute, die mit oder ohne Boot anreisen, um hier die Gewässerlandschaft zu erleben. 99 Prozent sind Freizeit- und Erholungssport. Es dominieren muskelbetriebene Boote.

Und Ruderer und Paddler brauchen all die millionenteure Infrastruktur über Schleusen und Häfen eigentlich nicht. Die Millionenprojekte sind allesamt nur für Motorboote sinnvoll, sie bedienen ein Spezialinteresse von in der Regel gutbetuchten Bootsbesitzern, die die Infrastrukturen gern nutzen – aber nicht selbst bezahlen.

Der Stadtrat wäre gut beraten, zuallererst das Projekt Alte Elster aus dem Programm zu nehmen, auch um wertvolle Bauflächen am Sportforum zu erhalten, wo der Platz dringend für wichtige Infrastrukturen gebraucht wird. Platz, der durch ein Bauwerk verschlungen wird, das genau jenes Wasser ableitet, das für eine zukunftsfähige Entwicklung im Elsterbecken und in der Nordwestaue dringend gebraucht wird.

Der Bau der Alten Elster wäre eine Jahrhundertkatastrophe für die Leipziger Burgaue

Der Bau der Alten Elster wäre eine Jahrhundertkatastrophe für die Leipziger Burgaue

 

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Die Verwaltung kann so agieren, weil das weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit stattfindet. Stattdessen werden Events, die Leipzig als Wassertourismus-Lokation pushen sollen, aber nichts mit einer ökologischen und naturverbundenen Entwicklung des Gewässersystems zu tun haben, propagiert und der gemeine (sprich: uninformierte) Bürger freut sich, dass in Leipzig “was los ist”. Und dann noch die versprochenden Segnungen des Wassertourismus (sprich: Millionen, die in die Stadt “fließen”, genau wie beim Profifußball, aber das ist ein anderes Thema…). Es ist zum Verzweifeln, weil zu befürchten ist, dass sie damit durchkommen und der Auenwald “den Bach runter geht”…

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