Am Mittwoch und Freitag gab es ja ein Novum in Leipzig (und irgendwie wohl auch für Sachsen): den ersten digitalen Stadtrat, auch wenn er so noch nicht bezeichnet wurde. Aber 57 Stadträt/-innen fanden sich am Mittwoch, 16. Dezember, in der Videokonferenz mit OBM Burkhard Jung ein, um wenigstens über die wichtigsten anstehenden Entscheidungen abzustimmen. Und dazu gehörte auch der Grünen-Antrag, die Auslegung der Planunterlagen für den Flughafenausbau auszusetzen.

Und gleich als ersten Abstimmungspunkt zu Anträgen der Ratsfraktionen kam der Grünen-Antrag auf den Tisch. Mit all den schönen Tücken einer Viodeokonferenz, die eigentlich nicht für Stadtratsabstimmungen entwickelt worden ist. Worauf dann FDP-Stadtrat Sven Morlok hinwies. Denn eine Händchen-heben-Funktion hat das Programm, aber keine echte Abstimmfunktion, obwohl es so etwas doch längst geben müsste auf dem Markt.

So war dann das Auszählen etwas chaotisch, brachte aber trotzdem ein recht eindeutiges Ergebnis, da die Grünen-Fraktion nicht bereit war, den Verwaltungsstandpunkt zu übernehmen. Der hatte mitgeteilt, dass die Planunterlagen nun zwei Monate länger einsehbar wären.

Aber Bert Sander wies für die Grünen-Fraktion deutlich darauf hin, dass die Corona-Schutzauflagen jede Art einer echten Bürgerversammlung unmöglich gemacht haben und der Verweis der Landesdirektion auf das im Frühjahr vom Bund erlassene Planungssicherstellungsgesetz erst genau die Zwangslage erzeuge, die jetzt als Argument genutzt wird, die Planunterlagen mitten im Corona-Lockdown auszulegen.

Die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ wertete das Online-Abstimmungsergebnis noch am Freitag schon als abschließend: „Nach dem Stadtrat von Schkeuditz hat auch der Stadtrat von Leipzig am 16.12.2020 mit großer Mehrheit von der Sächsischen Landesregierung die Aussetzung des Planfeststellungsverfahrens (PFV) zum Frachtflugausbau beschlossen. Obwohl seit Anfang November in Sachsen der Corona-Lockdown u. a. mit Ausgangsbeschränkungen läuft, wurde am 16.11.2020 mit der Auslegung der Unterlagen das PFV gestartet. Bei dem PFV handelt es sich um eins der größten Investitionsvorhabens Mitteldeutschland. Mit dem geplanten DHL-Frachtflugausbau werden sich die lärm- und gesundheitlichen Belastungen von 1,5 Millionen Bürgern dramatisch verschlechtern und die CO2-Emissionen von derzeit ca. 2 Millionen auf 3,2 Millionen Tonnen steigen.“

Dass der Flughafen das Verfahren ausgerechnet im Corona-Lockdown durchzieht, torpediert vor allem die Aktivitäten der Bürgerinitiativen, die unbedingt öffentliche Veranstaltungen brauchen, um den Bürgern auch die kritischen Seiten des Vorhabens nahezubringen.

So hatten die Bürgerinitiativen für das Planfeststellungsverfahren 15 Informationsveranstaltungen geplant. Die Termine dafür standen fest und die Veranstaltungssorte waren gebucht.

„Zur Erinnerung“, so Matthias Zimmermann für die Bürgerinitiativen. „Beim Planfeststellungsverfahren für den Bau des DHL-Frachtdrehkreuzes im Jahre 2003 gab es mit der ,Turnhallentour‘ eine Vielzahl von Informationsveranstaltungen mit teilweise über 100 Teilnehmern. Dass ein Planfeststellungsverfahren dieser Dimension, das ausschließlich dem Profitwachstum von DHL dient, ohne Öffentlichkeitsbeteiligung und gegen Beschlüsse der betroffenen Städte Leipzig und Schkeuditz durchgepeitscht wird, ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik und zeigt das wahre ,demokratische‘ Gesicht der Sächsischen Landesregierung und seines Ministerpräsidenten Michael Kretschmer.“

Eigentlich hätte hier auch ein Wirtschaftsminister einschreiten können, denn von einem unabwendbaren Zeitdruck kann beim Flughafenausbau keine Rede sein. Es sei denn, die anstehende Bundestagswahl wäre der entscheidende Punkt, da das Projekt ja nun einmal eine Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD ist.

Die Online-Abstimmung in der Videokonferenz am Mittwoch, 16. Dezember, war freilich noch kein offizieller Stadtratsbeschluss, sondern eher – wie OBM Burkhard Jung es formulierte – ein Stimmungstest. Wirklich entschieden wird auch in diesem Fall entweder im Umlaufverfahren, sodass die Fraktionen schriftlich über den Grünen-Antrag abstimmen – oder nachgeholt in einer Präsenzsitzung, die aber noch längst nicht wieder in Sicht ist.

Wobei das Abstimmungsergebnis von 33:19:4 zumindest schon deutlich zeigt, wie auch eine reguläre Abstimmung ausfallen wird.

Und Zimmermann hat natürlich recht: Es wäre ein Armutszeugnis für Sachsens Regierung, wenn sie das Planverfahren nach den Abstimmungen in den direkt betroffenen Städten Schkeuditz und Leipzig nicht aussetzt. Denn diese Feigheit vor der scheinbaren Macht profitsüchtiger Konzerne würde auch von der Missachtung demokratischer Entscheidungen erzählen und wäre ein weiterer Bärendienst für die Demokratie in Sachsen.

Die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ hat gegen diesen Ausbau auch eine Petition gestartet, die bisher von fast 6.000 Bürgern unterzeichnet wurde.

Die Debatte in der Meinungsfindung am 16.12.2020 zum Flughafenausbau Leipzig/Halle

Quelle: Livestream der Stadt Leipzig

Freistaat Sachsen lehnt Aussetzung des Planfeststellungsverfahrens zum Ausbau des Frachtflughafens trotz Corona-Einschränkungen ab

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