Leipzig ist Vorreiter, wenn es um digitale Ratsversammlungen geht. Doch die Fraktionen im Leipziger Stadtrat ziehen ein gemischtes Fazit nach den ersten digitalen Ratsversammlungen am 20. und 21. Januar 2021. Grüne, CDU und Freibeuter betonten auf Anfrage der Leipziger Zeitung, dass diese Debatten- und Abstimmungsform nur eine Übergangslösung sein könne. Nach einem vollwertigen Ersatz zu der gewohnten Versammlungsarbeit klingt es jedenfalls nicht.

„Wir hoffen, bald wieder zu physischen Ratsversammlungen zurückkehren zu können, da diese in einer parlamentarischen Demokratie unersetzbar sind“, so der Grünen-Fraktionsvorsitzende Tobias Peter auf LZ-Nachfrage. Aus der Freibeuter-Fraktion heißt es: „Demokratie lebt vom gemeinsamen Ringen um die besten Lösungen. Das ist in einer Online-Debatte nur eingeschränkt möglich.“CDU-Stadtrat Falk Dossin verweist auf den fehlenden Austausch mit Kolleg/-innen aus der eigenen oder anderen Fraktionen. In der Tat müssen die räumlich getrennten Ratsmitglieder ihre internen Debatten, die im Normalbetrieb gern mal durch schnelle Gespräche im Ratssaal vollzogen werden, nun teils über Chats und Telefonate organisieren.

Zudem seien virtuelle Diskussionen „teilweise kräftezehrender als reale Gespräche vor Ort“, so Dossin.

Das dürfte ein Eindruck sein, den nicht nur Stadträt/-innen teilen, sondern auch Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Dieser hatte am Mittwoch die Sitzung mit den Worten „Ich bin ziemlich erschöpft“ beendet und auch am Donnerstag auf die Anstrengungen langer Online-Diskussionen verwiesen.

Abstimmungen teilweise nicht nachvollziehbar

Die Abstimmungen in den digitalen Sitzungen sind für die Fraktionen ein zentraler Aspekt. „Grundlegend wichtig ist, dass ein rechtssicheres, klares und nachvollziehbares Abstimmungstool zum Einsatz kommt – hier muss nachgearbeitet werden“, fordert Dossin. „Die ersten Sitzungen haben gezeigt, dass ohne Abstimmungstool viel Zeit bei den Auszählungen verloren geht.“

Grünen-Stadtrat Peter ergänzt: „Zum Glück funktionierte das Abstimmungstool am zweiten Tag.“

Aus Sicht der Freibeuter besteht jedoch weiterer Verbesserungsbedarf: „Vom Abstimmungsverhalten des einzelnen Stadtrates schließt das gegenwärtig genutzte Abstimmungstool die Öffentlichkeit aus. Lediglich die Gesamtzahl und prozentuale Verteilung der Ja- und Nein-Stimmen sowie der Stimmenenthaltungen sind sichtbar.“

Während normaler Sitzungen sind nicht grundlos gerade jene Fotos sehr beliebt, die die einzelnen Namen der Räte an der Abstimmungstafel mit ihrem einzelnen Votum zeigen. So haben aufmerksame Beobachter die Chance, den oder die Stadträtin ihres Stadtviertels im Auge zu behalten.

Zu viel Gequatsche

Einen weiteren Kritikpunkt äußert Grünen-Fraktionschef Peter: „Was wir als störend empfanden, war das Reinquatschen vieler Stadträte. Der Weg zum Mikrofon ist digital eben deutlich kürzer als im Ratssaal.“ Auch die Freibeuter betonen, dass für einen „reibungslosen Ablauf die Disziplin des einzelnen Stadtrates erforderlich“ sei.

Während des ersten Lockdowns im Frühling 2020 hatte der Stadtrat nicht mehr getagt. Digitale Sitzungen waren damals nicht möglich. Die rechtlichen Voraussetzungen schaffte der Landtag erst im Dezember 2020, als der zweite Lockdown die sächsischen Gemeinderäte erneut zu einer Pause zwang.

Die nächste reguläre Ratsversammlung soll am 24. Februar 2021 stattfinden – ob online oder vor Ort, ist noch unklar, per Livestream in jedem Fall. Als die für Dezember 2020 geplante Ratsversammlung abgesagt wurde, lag die 7-Tage-Inzidenz in Leipzig bei rund 150. Aktuell ist sie bei circa 175 – Tendenz fallend.

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