Im Frühjahr sorgten die Pläne der Stadtbibliothek Leipzig, ihre Buchbestellungen in großen Paketen auszuschreiben, für einen regelrechten Aufruhr unter Leipzigs Buchhändlern. Bislang kaufte die Stadtbibliothek in kleinen Posten direkt bei Leipzigs Buchhändlern ein. Nach dem Protest wurde die Ausschreibung erst einmal gestoppt. Das Jugendparlament nahm sich der Sache an.

Denn ausgerechnet in einer Zeit, in der erst die Corona-Zurückhaltung der Käufer und nun die Inflation dafür sorgen, dass die Umsätze gefährdet sind, auch noch diese wichtige Unterstützung durch eine städtische Einrichtung wegfallen zu lassen, das geht nicht, findet das Jugendparlament.

„Für kleine Buchhändler ist der neue Erwerbungsetat der Stadtbibliothek ein Schlag ins Gesicht und eine existenzielle Bedrohung. Diesen eindeutigen Fehler gilt es abzufedern und in Zukunft zu vermeiden“, begründete das Jugendparlament seinen Antrag, das Erwerbungsbudget wieder so weit zu splitten, dass die Posten wieder auf lokaler Ebene ausgegeben werden können. Und vor allem: „Die Mittel werden, wann immer es geht, bei den in Leipzig ansässigen Händlern ausgegeben.“

„Dabei kann die Stadt Leipzig sich nach einem Rechtsgutachten des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels richten, welches sich genau mit der in Leipzig vorliegenden Situation beschäftigt“, betonte das Jugendparlament.

„Dieses eröffnet die Punkte eins und zwei als Alternative zur europaweiten Ausschreibung. Der Punkt drei muss als Bekenntnis zu den Leipziger Buchhändlern verstanden werden und als ein Versuch, Vertrauen wieder aufzubauen. Der Punkt vier gilt dem Erhalt der vielfältigen und kulturell wertvollen Leipziger Buchhandlungen.“

Aber so denkt Leipzigs Verwaltung nicht.

Auch ihr Alternativvorschlag liest sich auf den ersten Blick nicht wirklich wie ein Alternativvorschlag zu Antrag des Jugendparlaments, sondern wie ein Beharren auf Paragrafen. Diese wurden nicht in Leipzig geschmiedet. Aber sie haben es in sich.

Die Macht der Paragrafen

„Die vom Antrag anvisierten Vorgaben zur Ausschreibung des Bucherwerbs der Leipziger Städtischen Bibliotheken pro Bibliotheksstandort ist aus mehreren Gründen nicht umsetzbar“, schreibt die Stadtbibliothek in ihrer Stellungnahme zum Alternativvorschlag.

„Öffentlicher Auftraggeber ist die Gebietskörperschaft Leipzig in Gänze, vgl. § 99 Ziff. 1 GWB. Mithin würde es zu keiner anderen vergaberechtlichen Würdigung führen, wenn die Leipziger Stadtbibliothek, die fünfzehn Zweigstellen und die Busbibliothek lediglich eigene Beschaffungsbudgets zur Verfügung gestellt und separat ausgeschrieben würden, da die Beschaffungsbudgets im Ergebnis zusammengerechnet werden müssten.“

Das GWB ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das eigentlich im §1 definiert: „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“

Doch über die Festlegung von Maximalsummen für freihändige Vergabe öffentlicher Einrichtungen wird dafür gesorgt, dass kleine Bewerber praktisch systematisch vom Wettbewerb ausgeschlossen werden.

Das wird in der Begründung durch die Leipziger Stadtbibliothek sehr deutlich.

„Für eine andere Betrachtungsweise nach § 3 Abs. 2 Satz 2 VgV wäre es notwendig, dass die Bibliotheksstandorte als ‚eigenständige Organisationseinheit selbstständig für ihre Auftragsvergabe oder bestimmte Kategorien der Auftragsvergabe‘ verantwortlich sein müssten.

Eine solche Umstrukturierung hätte weitreichende personelle und organisatorische Veränderungen und Auswirkungen auf die Prozesse der Städtischen Bibliotheken, die zum einen nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen sind und zum anderen einer Prüfung weiterer positiver wie negativer Auswirkungen (u.a. finanzielle Folgen der geänderten Prozesse ggf. auch zulasten des Gesamtbudgets, Anpassungen städtischer Regelungen) bedürften“, kann man da lesen.

„Auch ist der Beschlusspunkt, den Erwerbungsetat hauptsächlich an in Leipzig ansässige Händler zu vergeben, nicht umsetzbar, da der Erwerbungsetat für Bücher über dem EU-Schwellenwert liegt, vgl. § 1 Abs.1 SächsVergabeG. Selbst wenn, sind abweichende Vergabearten ober- wie unterhalb des Schwellenwertes nur unter Ausnahmetatbeständen und deren restriktive Anwendung/Auslegung zulässig. Neben dem Verweis von § 1 Abs. 2 SächsVergabeG auf die VOL/A (dort u.a. § 3 Abs. 5 VOL/A) gibt es aber in § 4 Abs. 2 SächsVergabeG eine Sonderregelung für freihändige Vergaben auch über 25 T€, aber eben nur für die Beschaffung preisgebundener Schulbücher, nicht für allgemeine Printmedien.“

Womit das 2019 zuletzt novellierte Sächsische Vergabegesetz die Begründung für die europaweite Ausschreibung der Erwerbsposten hergibt. Das sich wiederum auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen bezieht.

Wenn kleine Bewerber genauso behandelt werden wie Big Player

Man merkt schon, dass hier Leute die Paragrafen formuliert haben, denen die kleinteilige Wirtschaft, die von vielen kleinen Aufträgen lebt, herzlich egal war. Gegen die war das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch nie gedacht, sondern gegen die Monopolisierung von Aufträgen durch große und marktbeherrschende Unternehmen.

Dass die kleinen Buchhandlungen auch erst investieren müssten, um große Buchpakete überhaupt abwickeln, einwickeln und etikettieren zu können, ist in der Stadtbibliothek durchaus bewusst. Bislang werden die neuen Bücher dort noch selbst mit Chip und Lesecode versehen. All das soll aber weitgehend ausgelagert und vom Auftragnehmer schon mit erledigt werden.

„Neben der Absicherung des Bedarfes und der Nutzen-/Aufwandsbetrachtung spielen bei der Festlegung der Vertragslaufzeit im Rahmen der Würdigung von § 3 VgV vor allem auch Gesichtspunkte der wirtschaftlichen Beschaffung eine Rolle. Um eine solche wirtschaftliche Beschaffung zu ermöglichen, werden u.a. auch die ggf. notwendigen Anschaffungen und deren Amortisationen auf Seiten der Bieter für bestimmte im Zusammenhang mit der Leistungserbringung verbundener Investitionsgüter (u.a. erforderliche Gerätschaften) abgewogen“, schreiben die Städtischen Bibliotheken tatsächlich unverblümt in ihrer Stellungnahme.

Es geht also auch ums Outsourcen und die Befreiung eigener Mitarbeiter/-innen von Arbeiten, die bislang im Haus erledigt wurden.

Aber um derartige Investitionen zu leisten, müssten sich mehrere Leipziger Buchhändler zu einer Kooperationsgemeinschaft zusammentun. Aber dass sie es tun und im Vorgriff auf einen möglichen Zuschlag im Verfahren Geld einsetzen, das die meisten nicht haben, ist eher unwahrscheinlich.

Das ahnt man im Haus am Wilhelm-Leuschner-Platz durchaus.

„Da – dem vorliegenden Beschlussvorschlag folgend – eine neue Ausschreibung der Leistungen vorgesehen ist, steht noch nicht fest, ob und wenn ja in welchem Umfang örtliche Buchhändler sich an der Ausschreibung beteiligen und ggf. einen Zuschlag erhalten. Somit kann die Verwaltung zu erwartende Einbußen, Entlassungen und Schließungen nicht prüfen. Zudem ist festzuhalten, dass bisher nicht mit allen, sondern nur mit rund einem Drittel aller Buchhandlungen in Leipzigs eine Geschäftsbeziehung bestand“, liest man da.

Verwaltung hält an Ausschreibung fest

Und eine neue Ausschreibung zu starten, hat auch das Jugendparlament nicht vorgeschlagen. Das war die Verwaltung selbst, die in einer Antwort an die Linke-Stadträtin Juliane Nagel erklärte: „Die Stadtverwaltung hat nach intensiver interner Beratung am 10.06.2022 entschieden, das Verfahren zur Vergabe von Buchmedien einschließlich Nebenleistungen (Folierungen und andere bibliotheksspezifische Serviceleistungen) für die Leipziger Städtischen Bibliotheken aufzuheben. Die bisherige Aufteilung in Fachlose wird neu strukturiert, um dem örtlichen und regionalen Buchhandel die Beteiligung zu erleichtern. Die Vergabe wird in diesem Jahr neu ausgeschrieben.“

Das Jugendparlament wollte eher eine Korrektur des Ausschreibeverfahrens.

Was die Stadt jetzt vorlegt, ist eher ein Kompromiss.

Was die Stadtbibliothek jetzt vorschlägt

„Insgesamt werden 10 Lose ausgeschrieben (bisher 6), bei sieben davon soll der Erwerb von Büchern ohne Nebenleistungen zur ausleihfertigen Bearbeitung (z.B. Folierungen, Anbringen von Aufklebern, etc.) ausgeschrieben werden, was kleineren Buchhandlungen eine Teilnahme an der Ausschreibung erleichtern wird“, geht die Stadtbibliothek tatsächlich einen Schritt auf die kleinen Buchhandlungen zu.

„Drei dieser sieben Lose sehen ausschließlich die Lieferung von Büchern vor (Lose 1 – 3, Kinderbücher, Belletristik und Sachliteratur Erwachsene).

Bei weiteren vier dieser sieben Lose werden neben der Lieferung der Bücher zusätzlich auch die Serviceleistungen Bereitstellung von Bestellvorschlagslisten oder die regelmäßige Medienzusammenstellung (Abo) nach Vorgaben der LSB ausgeschrieben. Für diese Serviceleistungen ist ein Preis zu veranschlagen. Es handelt sich um die Lose 4 – 7 (Comics/Mangas/Graphic Novels; Sachliteratur Musik und Noten; Regionalkunde und fremdsprachige Literatur). Der Gesamtbestellwert der genannten sieben Lose beträgt jährlich 354 T€.

Lediglich bei den restlichen drei Losen (Lose 8 – 10: Kinderbücher, Belletristik für Erwachsene und Jugendliche sowie Sachliteratur) werden neben der Lieferung der bestellten Bücher umfangreichere Serviceleistungen wie Auswahllisten in elektronischer Form oder die ausleihfertige Bearbeitung der Bücher gefordert. Der Gesamtbestellwert beträgt jährlich 305 T€.

Da für die Lose 1 -3 aufgrund der Buchpreisbindung und dem Bibliotheksrabatt Preisgleichheit besteht und der Preis somit nicht als Auswahlkriterium herangezogen werden kann, wird in diesem Fall analog der Vergabe der Schulbücher verfahren, das heißt, die eingereichten Angebote werden per Los ausgewählt.“

Neue Rahmenverträge ab Januar 2024 möglich

Jetzt muss sich der Fachausschuss Kultur mit diesem Alternativvorschlag aus dem Dezernat Kultur beschäftigen. Der zumindest so aussieht, als könnte der Löwenanteil der jährlichen Buchbestellungen der Städtischen Bibliotheken auch künftig in der Stadt bleiben. Wenn der Stadtrat dem zustimmt, könnte nach Vorstellungen der Stadt die Ausschreibung 2023 neu starten.

„Die Neuausschreibung des Bucherwerbs der Leipziger Städtischen Bibliotheken soll nach Beschluss des Stadtrates noch im Jahr 2022 wieder aufgegriffen, die Ausschreibung selbst somit im 1. Quartal 2023 durchgeführt werden. Da mit einem Abschluss des Gesamtverfahrens nicht vor Ende 2. Quartal 2023 zu rechnen ist (Überarbeitung und Fertigstellung der Ausschreibung, Zeitdauer der Veröffentlichung, Auswertung, Erarbeitung eines Vergabevorschlags, Einbringung und Entscheidung durch das Vergabegremium, Abschluss der Verträge), sollen die neuen Rahmenverträge zum 1.1.2024 abgeschlossen werden.“

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