Mit großer Mehrheit und einem umfangreichen gemeinsamen Änderungsantrag ist in der Ratsversammlung am 18. Oktober das erste Teilkonzept Landwirtschaft in Leipzig auf den Weg gebracht worden. Darin werden erstmals transparente Vergabekriterien für städtische landwirtschaftliche Flächen vereinbart. Vorab hatten sich die Fraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen, Die Linke und SPD am Runden Tisch mit Vertreter/-innen aus Wissenschaft, Agrargenossenschaften, Umweltverbänden und Vertreter/-innen der solidarischen Landwirtschaft ausgetauscht.

Nachgeschärft wurde vor allen Dingen, dass bei der künftigen Vergabe von Flächen der Komplettverzicht auf Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger honoriert wird, während andererseits nicht nur Junglandwirt/-innen, sondern auch Ausbildungsbetriebe und Existenzgründer/-innen Punkte erhalten.

Zudem wurde das Ziel von mindestens 30 Prozent Biolandbau bis 2030 noch einmal als Zielgröße verankert. Einig sind sich alle Beteiligten, dass zeitnah die weiteren Teilkomponenten des Konzepts etwa zur Frage der künftigen Flächenkulisse und der regionalen Wertschöpfung folgen müssen.

Linke, Grüne und SPD hatten den ganzen vom Liegenschaftsamt vorgelegten Kriterienkatalog noch einmal nachgeschärft. Und das nach einem sehr intensiven Prozess mit drei Runden Tischen, an denen auch die Vertreter/-innen der Landwirtschaft saßen.

Und die Debatte am 18. Oktober zeigte, dass auch die Verwaltung diese Zielrichtung teilt und mittragen kann. Leipzig nimmt dabei, wie Bürgermeister Thomas Dienberg, dem das zuständige Liegenschaftsamt untersteht, betonte, eine „Vorreiterrolle in Deutschland“ ein, was die Zielvorgabe hin zu einer ökologischen Landwirtschaft auf städtischen Flächen betrifft.

Ein Meilenstein

„Mit dem jetzt vorliegenden Kriterienkatalog zur Vergabe der Flächen haben wir einen Meilenstein bei der Zielstellung der Umstellung der Landwirtschaft auf nachhaltige, ökologische Produktion erreicht. Der Kriterienkatalog macht Leipzig in der Frage deutschlandweit zur Vorreiterin. Gerade vor dem Hintergrund der Belastung von Grundwasser und Böden durch Einträge aus der Landwirtschaft ist der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger ein wichtiger Punkt“, kommentiert Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek das Ergebnis.

„Allerdings müssen die Bedingungen so formuliert sein, dass auch die Betriebe der konventionellen Landwirtschaft Anreize zum Umstieg auf ökologische Bewirtschaftung bekommen. Deswegen müssen wir verstärkt über regionale Wertschöpfung sprechen und regionale Produkte besser vermarkten.“

Jürgen Kasek (Bündnis 90 / Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 18.10.23. Foto: Jan Kaefer

Ein großes Problem bleibt freilich die Frage, wie sich der Markt für ökologisch produzierte Landwirtschaftsprodukte in Leipzig entwickelt. Da fehlt nämlich noch ein Konzept.

Darauf wies auch Michael Neuhaus als Redner für die Linksfraktion hin: „‚Mit Lebensmitteln spielt man nicht‘ heißt auch, die Landwirtschaft nicht dem Markt zu überlassen. Obwohl die möglichst billige Produktion von Lebensmitteln die Natur zerstört und die Kosten vieler Landwirte kaum deckt, haben immer mehr Menschen Probleme ihren Wocheneinkauf bezahlen. Mehr Bio würde für viele weniger Kino, Sport, und, und, und bedeuten.

Die Verlierer dieses Systems sind die Konsumenten, die Landwirte und die Natur. Die Gewinner die Lebensmitteldiscounter. Unser Ziel sind bezahlbare, gesunde und nachhaltig produzierte Lebensmittel für alle, und vor allem für diejenigen, die kein dickes Portemonnaie haben. Mit dem Vergabekatalog für die landwirtschaftlichen Flächen der Stadt Leipzig wollen wir einen ersten Schritt in die richtige Richtung machen und dafür sorgen, dass derjenige den Acker bekommt, der das beste Konzept hat.“

Es fehlen noch die Wertschöpfungsketten

Aber die intensive Vorarbeit würdigte auch Andreas Geisler, Stadtrat der SPD: „Die Vorlage Gesamtkonzeption Landwirtschaft Teil 1 ermöglicht den Einstieg in ein wichtiges Thema, aber eben auch nicht mehr! Ursprünglich wollten wir die Vorlage als ungenügend zurückweisen, denn es fehlt eine Gesamtstrategie für die Landwirtschaft, also ein Leitbild für Leipzig. Es fehlen regionale Wertschöpfungsketten und Märkte oder auch der Zugang zur Versorgung von Schulen, Kitas und Krankenhaushäusern mit regionalen Bioprodukten. Auch eine interkommunale Genossenschaft ist denkbar, die helfen könnte, erste Verarbeitungsschritte für Bio-Produkte hier in der Region abzubilden und durch kurze Wertschöpfungsketten Bio-Produkte für mehr Menschen bezahlbar zu machen.“

Andreas Geisler (SPD) im Leipziger Stadtrat. Foto: Jan Kaefer

Das Konzept habe also noch einige Fehlstellen, die in Zukunft geschlossen werden sollten. Immerhin hatte die Verwaltung, nachdem der Stadtrat im Januar 2020 die Erstellung eines Landwirtschaftskonzepts beschlossen hatte, dessen Erstellung bis Ende 2020 abschließen sollen.

Zweieinhalb Jahre später nur das erste Teilkonzept vorzulegen, sei doch ein bisschen spät, merkte dann auch CDU-Stadtrat Falk Dossin an, der mit Andreas Geisler und Michael Neuhaus noch einen eigenen Änderungsantrag vorgelegt hatte, der einige zu strenge Zielvorgaben aus der Vorlage entschärfte. Denn natürlich habe Leipzig nichts gekonnt, wenn es die Landwirtschaftsbetriebe mit einer zu hohen Messlatte vor unerfüllbare Bedingungen stelle.

Mit einigen kurzfristigen Änderungen noch in der Ratsversammlung wurde dieser Änderungsantrag genauso von der Verwaltung übernommen wie der von SPD, Linken und Grünen gemeinsam verfasste Änderungsantrag, der die ökologischen Vergabekriterien stärkte.

Ziel: klimabewusste Bewirtschaftung

„Unser gemeinsamer Änderungsantrag verbessert die Vorlage insoweit, dass wir dem Ansinnen als Startpunkt für eine weitere Entwicklung zustimmen können, auch um den Stau bei den Vergaben zu lösen und wieder eine langfristige und nachhaltige Bewirtschaftung der Landwirtschaftsflächen auf Leipziger Flur zu ermöglichen“, sagte Andreas Geisler dazu.

„Für einen wirklichen Wandel in der Landwirtschaft auf den Flächen der Stadt im Sinne von klimabewusster Bewirtschaftung, mehr Gehölzen und Feldhecken, mehr Wasseraufnahmevermögen und intakten Gewässern 2. Ordnung, mehr Humusbildung, einer Abkehr von Kunstdünger, Stärken der regionalen Nachfrage, einer kritischen Überprüfung von Flächenversiegelungen und einem Auflösen der Flächenkonkurrenzen sowie für den Weg hin zu einer pestizidfreien Landwirtschaft braucht es bei Verwaltung und Betroffenen noch viel Arbeit und Mut zur Veränderung. Es wird kein Weg daran vorbeiführen, das Ganze mit weiteren Vorlagen zu verfeinern. Wir schlagen deshalb nach drei Jahren eine Überprüfung vor, um Maßnahmen und Vergaben so zu gestalten, wie es notwendig ist, um den Herausforderungen, vor denen wir stehen, gerecht zu werden.“

Der gemeinsame Antrag sieht tatsächlich die komplexe Aufgabenlage für die Landwirte, die sich ja inzwischen auch um Themen wie Wasserschutz, Artenschutz, Landschaftspflege Gedanken machen müssen.

„Das heißt, wir müssen bessere Rahmenbedingungen für eine nachhaltige und biologische Landwirtschaft schaffen und dürfen dabei auch die Landschaftspflege außer Acht lassen. Leider spiegelt sich das in der aktuellen Förderpolitik von Bund, Land und EU nicht wider. Dort werden oft die falschen Anreize gesetzt“, betont Geisler.

„Die bundesweiten Ökofeldtage, die im Jahr 2025 hier im Leipziger Raum, auf dem Wassergut Canitz, stattfinden, können wir nutzen, um diese Themen direkt und praxisnah zu erleben. Für die anstehende Evaluierung des Landwirtschaftskonzepts ist das ein wichtiger Impuls. Der Verwaltung wünschen wir mehr Mut bei dieser Umgestaltung, denn sie ist mindestens genauso wichtig wie die Energiewende. Dazu gehört aus unserer Sicht auch der Aufbau eines eigenen Landwirtschaftsbetriebes, um das Thema aus eigenem Erleben mitzugestalten. Andere Großstädte sind dort weiter als wir.“

Falk Dossin (CDU) im Leipziger Stadtrat am 18.10.23. Foto: Jan Kaefer

Bessere Chancen für Solidarische Landwirtschaft

Und erste Zustimmung zu dem Beschluss vom 18. Oktober gab es von KoLa Leipzig, Solidarische Landwirtschaft:

„Wir, die Gemüsegenossenschaft KoLa Leipzig, begrüßen die Beschlussvorlage zum Flächenvergabekonzept. Wir sind froh, dass die Stadt Leipzig den Mut hat, hier ein deutliches Zeichen auf dem Weg zur Agrarwende zu setzen. Der Zugang zu Land mit guten Bodenqualitäten und erreichbaren Grundwasservorkommen ist eine der größten Hürden für Solawis.

Zudem werden Neugründungen von Solawis mit hohem ökologischen Anspruch erleichtert, wenn sie Zugang zu Flächen in unmittelbarer Stadtnähe – also nahe bei ihren Mitgliedern, haben. Das Flächenvergabekonzept beinhaltet nun ganz konkrete Kriterien, welche die Nachhaltigkeit von Betrieben bewertet.

Haben mehrere Betriebe Interesse an der Pacht einer Leipziger Fläche, werden nun Betriebe bevorzugt, die nachweislich klimaschonende Anbaumethoden verfolgen, ökologisch, bestenfalls solidarisch wirtschaften, aus der Region kommen, Ausbildungsplätze anbieten und in denen Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern reduziert werden.

Wir befinden uns als solidarische Landwirtschaft umgeben von Flächen, welche der Stadt Leipzig gehören und aktuell konventionell bewirtschaftet werden. Der Kauf von Flächen ist mit den aktuellen Bodenpreisen wirtschaftlich nicht stemmbar. Für den Fall, dass unsere aktuellen Pachtverträge nicht verlängert werden oder wir neue Flächen benötigen, ist es für uns eine große Sicherheit, zu wissen, dass Leipzig unseren hohen ökologischen und sozialen Anspruch bei der Flächenvergabe berücksichtigt.

Wir denken, dass die Verfügbarkeit von lokalen, erschwinglichen, gesunden und frisch produzierten Lebensmitteln für die Leipziger*innen damit erhöht wird.“

Und auch der BUND Leipzig sieht Leipzig jetzt in Sachen Landwirtschaft auf dem, richtigen Weg.

„Wir als BUND Leipzig sind aus der Perspektive der Ökologie und des Naturschutzes nicht 100 Prozent glücklich mit dem erstellten Vergabekonzept. Aus unserer Sicht müsste Pestizidverzicht eine Grundvoraussetzung sein. Wir befinden uns gerade in Zeiten massiven Artensterbens und Verlust an Biodiversität. Es ist unabdingbar, die Verwendung von Pestiziden einzustellen, um einen landwirtschaftlichen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit und Artenvielfalt zu begünstigen.

René Quittenbaum und Lisa Falkowski vom BUND Leipzig. Foto: Jan Kaefer

Wenn wir die Pestizideinsatzmenge nicht drastisch reduzieren, vergiften wir uns selbst und auch eine Vielzahl an Nicht-Zielorganismen. Ebenso reichern sich die Stoffe im Grundwasser an und werden über weite Strecken transportiert. Im Fokus sollte daher vor allem auch der Gesundheitsschutz für Mensch und Tier stehen“, kommentieren Lisa Falkowski (Vorstand BUND RG Leipzig, Beisitzerin Landesvorstand, Sachsen) und René Quittenbaum (Vorstand BUND RG Leipzig) die Entscheidung vom 18. Oktober.

„Positiv ist, dass wir uns zumindest auf eine Verschärfung bei einigen bedeutsamen Kriterien einigen konnten und es nach 3 Jahren eine Evaluierung geben wird. Dabei wird sich zeigen, inwieweit wir in Richtung Nachhaltigkeit und Förderung der Regionalität gekommen sind.

Neben den regionalen Einflussmöglichkeiten, die wir hier in Leipzig haben, ist es vor allem auch wichtig auf Landes- und Bundesebene Maßnahmen zu schaffen, um den Anreiz für biologische Landwirtschaft zu steigern und zu fördern. Es ist essenziell auf eine biologische, ökologische und biodiverse Landwirtschaft zu bauen, um dem Artensterben entgegenzuwirken und auch unsere Gesundheit in den Vordergrund zu stellen.“

Die AfD-Faktion hatte zwar das Ratsinformationssystem gleich mit einem halben Dutzend Änderungsanträgen gefüttert. Aber einer wie der andere ging völlig am Thema vorbei und zeigte – wie Jürgen Kasek es ausdrückte – dass die AfD-Fraktion das Thema gar nicht verstanden hatte.

Die Änderungsanträge von Linken, Grünen und SPD und von Falk Dossin, Michael Neuhaus und Andreas Geisler wurden von OBM Burkhard Jung nach den kleinen Korrekturen in der Ratsversammlung mit in die Vorlage der Stadt übernommen, die dann als großes Paket abgestimmt wurde. Mit dem klaren Ergebnis von 46:11 Stimmen bei einer Enthaltung.

Dagegen gestimmt hat nur die Fraktion, die gar nicht verstanden hat, worum es in der Vorlage eigentlich ging. Aber das ist nun einmal auch schwer, wenn man so stupide Klimawandel und Artensterben immerfort leugnet.

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