Schon in der Septembersitzung war es eine große Debatte wert. Seit über einem Jahr beschäftigt sich der Leipziger Stadtrat mit den unaushaltbaren Zuständen in Leipzigs Bürgerämtern, die sich in der Corona-Zeit regelrecht aufgeschaukelt haben. Online ist oft gar kein Termin mehr zu bekommen. Dafür stehen sich die Leipziger morgens die Beine in einer langen Schlange in den Bauch. Das soll sich endlich ändern, verspricht Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning.

Die Ursachen dieser Missstände sind vielfältig. Aber sie haben nichts mit dem zu tun, was in der Debatte am 18. Oktober von AfD-Stadtrat Roland Ulbrich als Erklärung behauptet wurde.

Rassistischer Quatsch

Hörning bezeichnete das, was Ulbrich von sich gegeben hatte, denn auch nur als „rassistischen Quatsch“. Denn für alles, was in unserem Land nicht richtig läuft, ist aus Ulbrichs Sicht „der Ausländer“ schuld. Er redete zwar von Framing – aber das war in seinem Fall genau das, was er tat: Am Rednerpult zu behaupten, dass „illegale“ oder gar „kriminelle“ Einwanderer den Deutschen alles wegnehmen.

Am Ende auch noch die Meldetermine im Bürgeramt. Was er gleich noch mit der Falschaussage verband, aus der Bürgerämtern seien Sachbearbeiter abgezogen worden, „um die speziellen Anliegen von Damen und Her­ren zu bearbeiten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind“, wie es im Änderungsantrag der AfD-Fraktion bemäntelnd formuliert war. Deshalb bekämen so viele Leipziger keinen Termin mehr.

Aber man kann seine Rede auch als Beleg dafür nehmen, dass seine Fraktion sich nicht einmal mehr die Mühe macht, sich mit den tatsächlichen Problemen zu beschäftigen, die Leipzigs Bürgerservice hat. Und die liegen ganz woanders. Einerseits ist es der tatsächliche Personalmangel, der aus vielerlei Gründen angewachsen ist.

Dazu gehört auch das starke Wachstum der Stadt, das in der jüngeren Vergangenheit nicht mit einem Personalzuwachs im Bürgerservice kompensiert wurde. Die Corona-Zeit, in der die Bürgerämter komplett auf Online-Terminvergaben umschwenkten, verschärfte das Problem.

Dazu kommen aber auch noch gesetzliche Vorgaben, die – so Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning – insbesondere im Standesamt zu einem geradezu heftigen Mehraufwand gesorgt haben – und für noch viel mehr Ärger bei den antragstellenden Bürgen. Grund war eine Gesetzesänderung im Bund.

Weg von der strikten Terminvergabe

Als die Debatte Ende 2021 begann, war die Lawine längst im Rollen. Mit dem Doppelhaushalt 2023/2024 beschloss der Stadtrat dann sowieso schon mehr Personalstellen im Bürgerservice. Im Frühjahr, als die Linksfraktion eine Anfrage zu dem Thema stellte, genehmigte der Stadtrat weitere Stellen, sodass der Bürgerservice Anfang 2024 um 26 Stellen aufgestockt werden kann. Die Stellen sind jetzt alle ausgeschrieben, erklärte Hörning am 18. Oktober.

Und dass die Bürgerämter weniger leisten als im Vorjahr, ist schlicht nicht nachweisbar. So war es im Frühjahr schon in der Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion nachlesbar: „Der terminfreie Zugang sichert mit höherer Terminflexibilität eine gleich hohe Gesamtzahl von Dienstleistungen aus. In der Zeit zwischen Januar und April 2023 konnten mit 167.088 bearbeiteten Anliegen im Vergleich zum Vorjahr (167.058 Anliegen) fast identische Fallzahlen generiert werden.

Die Wartezeit für Bürger/-innen ohne Termin ist seit Januar 2023 erwartungsgemäß angestiegen und beträgt durchschnittlich 18 Minuten, wohingegen sich die Wartezeit für Bürger/-innen mit Termin auf durchschnittlich 7 Minuten beläuft. Damit ist durch die neue Terminvergabe eine wesentliche Verbesserung eingetreten, da vorher die Wartezeiten deutlich höher waren (in Spitzenzeiten ca. ein bis zwei Stunden).“

Doch es genügt nicht, den riesigen Stau abzubauen, der sich nach Corona aufgebaut hat.

Das war das Anliegen der Linksfraktion, die jetzt beantragt hat: „Bei der weiteren Ausgestaltung des Service und der Öffnungszeiten sowie der Terminvergabe der Bürgerservicebüros soll ein terminfreier Zugang zu den Dienstleistungen in der Art ermöglicht werden, dass während der terminfreien Öffnungszeiten alle bis 11:00 Uhr erschienenen Einwohnerinnen und Einwohner noch am selben Tag ihr Anliegen vorbringen und die entsprechende Dienstleistung in Anspruch nehmen können.“

Start für den Wartezeiten-Monitor

Den Antrag stellte am 18. Oktober Linke-Stadträtin Marianne Küng-Vildebrand vor. Schon etwas erleichtert, weil die Verwaltung in ihrem Standpunkt die wesentlichen Forderungen des Antrags tatsächlich erfüllte. Endlich, fand Küng-Vildebrand. Und auch Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft und Sascha Matzke (FDP) zeigten sich nach all den zähen Gesprächen in der Ratsversammlung und im Verwaltungsausschuss erleichtert, dass die Verwaltung nun endlich deutlich reagiert.

Die kosmetischen Versuche über den Sommer, die Sache in den Griff zu bekommen, haben eindeutig nicht gereicht.

Weshalb Küng-Vildebrand dann auch gleich den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung stellte, der jetzt in Aussicht stellt: „Das Zugangssystem der Bürgerbüros wird flexibilisiert, sodass Einwohnerinnen und Einwohner ganztägig mit und ohne Termin aufgerufen werden können. Eine digitale Bestätigungsfunktion in der Terminvergabe wird zugunsten von Menschen, die digital weniger affin sind, nicht umgesetzt. Über das einheitliche Online-Terminvergabe-System der Stadt wird ein Wartezeiten-Monitor für Bürgerbüros und andere Bürgerservicestellen eingeführt.“

Stadträtin Marianne Küng-Vildebrand (Die Linke). Foto: Jan Kaefer

Es ging so einfach nicht weiter. Das gesteht jetzt die Verwaltungsvorlage auch zu: „Die durchschnittliche Wartezeit steigt deutlich an. Sie beträgt im Juli 2023 ca. 46 Minuten, in einigen Fällen jedoch auch mehrere Stunden. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Wartezeit mit Termin beträgt im Juli ca. 8 Minuten. Vor der Pandemie betrug die durchschnittliche Wartezeit ca. 20 bis 25 Minuten“, kann man da lesen.

Und: „Insbesondere in Bürgerbüros mit wenigen Mitarbeiter/-innen (z. B. Liebertwolkwitz, Böhlitz-Ehrenberg, Wiederitzsch) oder besonders beliebten Bürgerbüros (z. B. Otto-Schill-Straße, Stötteritzer Straße) kommt es regelmäßig zur Überlastung.“

Was man natürlich vermindern kann, wenn mögliche Antragsteller schon am Handy oder am PC erfahren, ob sich der Weg zum nächsten Bürgeramt zeitlich lohnt.

Aber da muss noch technisch etwas umgestellt werden, so die Verwaltung: „Perspektivisch erhalten die Besucher/-innen der Bürgerbüros, durch einen sogenannten Wartezeitenmonitor im Internet, Einsicht in die aktuelle Auslastung der Warteräume und können auf dieser Basis entscheiden, welches Bürgerbüro sie aufsuchen möchten oder ggf. einen anderen Zeitpunkt für die Erledigung ihrer Anliegen wählen.

Für die Integration des Wartezeitenmonitors bedarf es aktuell noch Abstimmungen zwischen dem Fachverfahrenshersteller und der Lecos.“

Nur 0,3 Prozent der Termine werden nicht wahrgenommen

Eine Vermutung in der Stadtratsdebatte war ja auch, dass sich die Bürgeramtsmitarbeiter eine vergnügte Pause gönnen, wenn Antragsteller, die einen Termin haben, einfach nicht kommen.

Aber diese Stellschraube ist nicht wirklich die, an der es sich noch extra zu drehen lohnt, wie die Verwaltung miteilt: „Durchschnittlich beträgt der Anteil, der nicht wahrgenommenen Termine aktuell ca. 0,3 Prozent, ist also verschwindend gering.“

Im Gegenteil: Künftig können auch diese nicht wahrgenommenen Terminzeiten besser genutzt werden. „Mit der Umstellung auf eine ganztägige Öffnung für Einwohner/-innen mit und ohne Termin ab November, können nicht wahrgenommene Terminzeiten durch spontan vorsprechende Einwohner/-innen aufgefüllt werden. Entsprechend sind die Vorteile der Bestätigungsfunktion hinfällig.“

Leipzig nimmt also jetzt Abschied von einem viel zu unflexiblen System, das in der Corona-Zeit seinen Sinn hatte, aber schlicht keinen Puffer hat, um den danach massiv gestiegenen Bedarf aufzufangen. Am Fleiß der Bürgeramtsmitarbeiter/-innen lag es nicht. Die Antragsteller melden in der Regel auch eine zügige und kompetente Bearbeitung ihrer Anliegen.

Und gerade durch Änderungen in der Bundesgesetzgebung sind viele Anliegen komplexer und aufwendiger geworden, so Hörning. Die Aufstockung des Pesonals kommt jetzt also spät, aber ist dringend notwendig.

Dass der „Quatsch“-Änderungsantrag der AfD-Fraktion nur die Stimmen der AfD selbst bekam, war dann folgerichtig.

Da Marianne Küng-Vildebrand den Verwaltungsvorschlag mit den darin enthaltenen Änderungen zur Abstimmung stellte, wurde auch dieser abgestimmt und bekam dann doch erstaunlicherweise die Stimmen aller Anwesenden. Für die Leipziger, die ein dringendes Anliegen in den Bürgerbüros haben, dürfte sich die Lage also ab November nach und nach entspannen.

Erst recht, wenn die Mitarbeiter/-innen im Bürgerservice weitere personelle Unterstützung bekommen.

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