Die Gemeinde Großpösna südöstlich von Leipzig verantwortet das umstrittene Bebauungsplanverfahren ‚Östlich Grunaer Bucht‘ für die Neuerrichtung eines Inklusionscampingplatzes der Städtischen Eigenbetriebe Leipzig (SEB), eines Strandbades und eines universitären Wassersportzentrums am Störmthaler See. Eine lokale Naturschutzallianz versucht seit Jahren vergeblich, in der Planung auf eine naturverträgliche Ausführung hinzuwirken.

Der B-Planvorentwurf, den die Gemeinde Großpösna nun im Sommer vorstellte, bestätigte alle Befürchtungen:

(1) Zerstörung eines geschützten Biotopes sowie besonderer Biotopmosaike und damit Verlust von Lebensraum seltener Arten.

(2) Öffnung eines bisher verkehrsfreien Naturraumes für den motorisierten Individualverkehr mit Anlage von Straßen und Parkierungsanlagen, neue Flächenversiegelung inmitten einer in Regeneration befindlichen Natur.

(3) Schwächung des ohnehin unzureichend ausgebildeten Biotopenverbunds im Südraum Leipzig.

Im Rahmen der frühzeitigen öffentlichen Beteiligung waren nun die Träger öffentlicher Belange angehalten, ihre Stellungnahmen bis Mitte August einzubringen.

Dabei kommen die sächsischen Landesverbände des NABU und BUND zu einer ebenso kritischen als auch ablehnenden Einschätzung zum B-Planentwurf wie die lokale Naturschutzallianz.

„Im Fazit lehnt der NABU Sachsen den Vorentwurf Bebauungsplan ‚Östlich Grunaer Bucht‘ Gemeinde Großpösna LK Leipzig ab“, resümiert die NABU-Stellungnahme. Und auch der BUND stellt klar: „Das Vorhaben wird als kritisch betrachtet.“

NABU: Östlich Grunaer Bucht ist würdig, als Naturschutzgebiet ausgewiesen zu werden

„Es handelt sich um ein naturschutzfachlich wertvolles Gebiet, in dem Eingriffe und Störungen des Menschen minimiert (Besucherlenkung) werden sollten, statt es unter Verlust von Biodiversität weiter im Sinne einer intensiven Freizeitnutzung auszubauen.“

Die Stellungnahme des NABU bezieht sich in diesem Zusammenhang auch auf Vorgaben der Regionalplanung, welche Revieransprüche für ausgewählte seltene Arten und die Gestaltung einer ‚Pufferzone‘ zu angrenzenden Vorranggebieten Natur und Landschaft im Bereich ‚Östlich Grunaer Bucht‘ vorsieht.

„Die sorgfältige Untersuchung der Tierwelt des Plangebietes durch die Ökostation Borna zeigt den Arten- und Biotopreichtum dieses Gebietes auf. Das Plangebiet besitzt aus naturschutzfachlicher Sicht mindestens regionale Bedeutung und ist in großen Teilen würdig, als Naturschutzgebiet ausgewiesen zu werden“, stellt der NABU-Landesverband Sachsen fest.

„Die artenschutzfachlichen Ausführungen verstoßen zudem gegen das sächsische Prüfschema für artenschutzrechtliche Fachbeiträge“, bemängelt der NABU auch die Qualität des Umweltberichtes. Für die meisten prüfrelevanten Arten werden erst gar keine ausgleichenden Maßnahmen geplant, obwohl das sächsische Prüfschema eine Einzelartenprüfung für streng geschützte und besonders bedrohte Arten vorsieht.

BUND: nachhaltige Mobilitätsoptionen gegenüber dem motorisierten Individualverkehr stärken

In der Stellungnahme des BUND erfährt insbesondere das Mobilitätskonzept aufgrund des hohen zu erwartenden Verkehrsaufkommens Kritik. „Der aktuelle Planungsstand sollte in einigen Bereichen nachgebessert werden, um die Eingriffe in den Naturhaushalt weiter zu minimieren und mögliche Risiken für ansässige Arten und ihre Habitate zu reduzieren oder gar auszuschließen“, fordert der BUND-Landesverband Sachsen.

Der BUND fordert konkret, den klassisch abgesetzten Parkplatz gänzlich zu vermeiden. Für die Besucher ohne Einschränkungen sollen andere Verkehrsmittel in ihrer Attraktivität gegenüber dem Pkw erhöht werden, z. B. durch Fahrradstellplätze und einen ÖPNV-Anschluss, der eine fußläufige Erreichbarkeit von der Haltestelle aus ermöglicht. Die Bedeutung nachhaltiger Mobilitätsoptionen müsse gegenüber dem motorisierten Individualverkehr gestärkt werden.

Citizen-Science-Ansatz dokumentiert weitere prüfungsrelevante Vogelarten

Allein 98 Vogelarten zählte die artenschutzfachliche Kartierung der Ökostation Borna-Birkenhain aus dem Jahr 2021, darunter zwölf Vogelarten mit naturschutzrechtlich besonders hervorgehobenem Schutzstatus. Daneben wurden diverse streng geschützte Fledermaus-, Reptilien-, Insekten- sowie Pflanzenarten erfasst.

Weil das Bauamt Großpösna die Ergebnisse der Artenerfassung bis weit ins Jahr 2022 zurückhielt, rief der ortsansässige Verein UferLeben zu einer eigenen zivilgesellschaftlichen Artenerfassung 2022 auf. Die Veröffentlichung der offiziellen Artenliste erfolgte letztendlich erst in Zusammenhang mit dem Umweltbericht zum B-Planvorentwurf. Durch den Citizen-Science-Ansatz im Jahr 2022 konnten weitere, bisher nicht erfasste Vogelarten dokumentiert werden. Darunter drei Vogelarten mit hoher naturschutzfachlicher Relevanz.

Die Beutelmeise ist gemäß Roter Liste Deutschland 2021 ‚vom Aussterben bedroht‘ (Kat. 1). Auf www.ornitho.de, dem führenden europäischen Ornithologenportal, ist die Sichtung von Eltern- und Jungtieren im Planareal 2022 mehrfach dokumentiert. Daneben ist ein Nestfund der Beutelmeise bereits aus dem Jahr 2020 bekannt.

Die Beutelmeise hat somit ganz sicher im Areal ‚Östlich Grunaer Bucht‘ ihren Lebensraum, und dennoch wurde sie in der Erhebung 2021 nicht erfasst. Dazu kommen eine Seeschwalbenart und der Flussuferläufer, zwei weitere gemäß Roter Liste ‚stark gefährdete‘ Arten (Kat. 2). Man kann also davon ausgehen, dass gerade sehr seltene oder scheue Arten sich auch einer professionellen Erfassung entziehen können.

Welche Auswirkung die Mindererfassung auf das aktuelle B-Planverfahren hat, ist zum heutigen Zeitpunkt unklar. Der aktuelle Umweltbericht und die Stellungnahmen der Naturschutzverbände haben diese wichtigen Informationen noch nicht fachgerecht einordnen können. Zumindest wird es für die Projektplaner dadurch nicht einfacher, sondern stärkt eher die Einschätzung des NABU, eine Unterschutzstellung des Areales ‚Östlich Grunaer Bucht‘ aufgrund der außergewöhnlichen Artenvielfalt anzustreben.

Regionalplanung Westsachsen: Ansprüche geschützter Tier- und Pflanzenarten sind zu berücksichtigen

Zumindest sieht die Regionalplanung jedoch eine besondere Berücksichtigung von seltenen und geschützten Arten sowie geschützten Biotopen bei Erschließungsmaßnahmen vor. So steht im Braunkohleplan Tagebau Espenhain bereits 2004: „Nutzungsansprüche von Wegeführungen auf der Grundlage einer Bestandskartierung der geschützten Tier- und Pflanzenarten sowie der nach § 26 geschützten Biotope festzulegen. Dabei sind auch Revieransprüche für ausgewählte Tierarten … und besondere Standorte seltener Pflanzen … zu berücksichtigen.“

Um die Revieransprüche aller Rote-Liste-Arten zu berücksichtigen, hat der Verein UferLeben die zusätzlichen Arten Beutelmeise, Flussseeschwalbe und Flussuferläufer der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) des Landkreises Leipzig zur Verifizierung nachgemeldet.

Im nächsten Schritt müssten die Projektplaner darlegen, wie die Revieransprüche von dieser Vielzahl an besonders geschützten Arten (Feldlerche, Heidelerche, Sperbergrasmücke, Neuntöter, Grauspecht, Grünspecht, Grauammer, Habicht, Mäusebussard, Waldohreule, Wendehals, Blaukelchen, Beutelmeise, Flussseeschwalbe und Flussuferläufer) überhaupt berücksichtigt werden können, denn dazu macht der bisher vorgelegte Umweltbericht zum B-Planvorentwurf keine ausreichenden Angaben.

Druck und Dilemma bei der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Leipzig

Es ist schon recht ungebührlich, der UNB einen so vorhabengetriebenen Umweltbericht vorzulegen, der für die UNB nun zum Dilemma wird. Auf der einen Seite sollte sich die naturschutzfachliche Einschätzung der UNB wohl kaum grundlegend von der naturschutzfachlichen Einschätzung der Naturschutzverbände unterscheiden, denn alle agieren zugunsten des Naturschutzes.

Auf der anderen Seite gerät die UNB in Anbetracht der in Aussicht gestellten 22 Millionen Fördermittel für das Inklusionsvorhaben unter immensen Druck. Wie soll unter diesen Umständen noch eine objektive Abwägung der Naturschutzbelange möglich sein? Zumal wenn Lokalpolitiker schon so viel verkündet und ‚arrangiert‘ haben.

Immerhin hat die Stadt Leipzig auch schon im Juli 2022 zehn Hektar Grundstück am Störmthaler See erworben. Jedoch hatten die Stadt Leipzig und ihre Projektplaner offensichtlich keine Kenntnis von den ökologischen Besonderheiten vor Ort. Denn jetzt konkurriert ihr Vorhaben mit einer Schatzkammer der biologischen Artenvielfalt.

„Ein Herzensprojekt, wie alle Beteiligten einstimmig versichern – von Landrat Henry Graichen (CDU) über die Zweite Beigeordnete des Landkreises, Ines Lüpfert, bis zu Großpösnas Bürgermeisterin Gabriela Lantzsch (parteilos) und Peter Böhmer, Leiter des Städtischen Eigenbetriebs (SEB) Behindertenhilfe der Stadt Leipzig“, berichtete die LVZ am 22. Juli 2022 in einem Artikel unter dem Titel ‚Leuchtturmprojekt für die Region – Im Leipziger Neuseenland entsteht ein Inklusionscampingplatz‘. Zunehmend entsteht der Eindruck, dass der Inklusionsgedanke gegen den Naturschutz ausgespielt wird.

Denn letztendlich ist es vorrangig ein Vorhaben für Freizeit und Erholung, welches immerhin 22 Millionen Euro öffentliche Strukturwandel-Fördermittel in Anspruch nehmen möchte. Ein „Herzensprojekt“, welches Inklusion für Menschen mit Behinderung verspricht, aber mit Exklusion von Natur beginnen würde. Durch die Stellungnahmen von NABU, BUND und lokaler Naturschutzinitiative müssten alle Beteiligten sensibilisiert sein.

So signalisiert auch der Fördermittelgeber, die Sächsische Agentur für Regionalentwicklung (SAS), auf Nachfrage von UferLeben e.V.: „Selbstverständlich ist auch für uns als Beratungsstelle für den Strukturwandel von großer Bedeutung, dass geförderte Projekte eine breite Zustimmung in der Öffentlichkeit finden und von den im Entscheidungsprozess befassten Interessenverbänden und Vereinen der betreffenden Region mitgetragen werden.“

* Dr. Frank Beutner ist aktives Mitglied im Umweltschutz- und Kulturverein „UferLeben Störmthaler See e.V.“.

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Die Hochwasserosion hat im Bereich des Gösselverlaufes trockene Steilwände geschaffen, die in Kombination mit dem feuchten Bacheinlauf ein kleinteiliges von sehr seltene Arten besiedeltes Biotopmosaik entstehen lies. Der übertriebene mit sehr vielen Steuergeldern geförderte Ordnungssinn des Bergbausanierers hat verhindert, dass solche Biotopmosaike im Südraum großflächig erhalten geblieben sind. Nun wird es Zeit die entsprechenden Kartierungen durchzuführen und Kontakt mit der geeigneten in Leipzig ansässigen Rechtsanwaltskanzlei aufzunehmen. Eine andere Sprache versteht der Investor nicht. Ein analoger Fall zum Bockwitzer See und Holzberg. Die Zeichen für einen Erfolg vor Gericht stehen sehr gut…

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