Der Tatbestand der Volksverhetzung ist eigentlich sehr genau definiert. Vieles, was derzeit in Foren und sogenannten "sozialen" Netzwerken wie Facebook kursiert, erfüllt den Tatbestand ohne Abstriche. Doch nicht nur der lernunwillige amerikanische Großkonzern will nicht reagieren. Auch sächsische Ermittler tun sich schwer.

Nicht nur die Leipziger Landtagsabgeordnete Juliane Nagel hat dazu die Staatsregierung angefragt. Auch ihr Fraktionskollege aus der Linksfraktion, Enrico Stange, hat den Innenminister mit einem ganzen Anfrage-Bündel gelöchert. Denn es kann ja nicht sein, dass die Staatsregierung in der Öffentlichkeit den großen Macher markiert, die “sozialen” Netze aber weiter zugepöbelt werden und die eigentlich beauftragen Abteilungen gar nicht zugreifen.

Zur Ankündigung der Sächsischen Staatsregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage (Landtags-Drucksache 6/2376), dass das Operative Abwehrzentrum (OAZ) beauftragt wurde, die praktische Realisierbarkeit verfahrensunabhängiger Recherchen für das Aufgabenfeld „PMK rechts mit Schwerpunkt Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte“ zu prüfen, ist der innenpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke mehr als skeptisch. Denn von Prüfung bis Anzeige ist in Sachsen ein großer Schritt.

“Dieser Prüfung müssen Taten folgen, denn bisher ist es bei den sächsischen Polizeibehörden nicht üblich, verdachtsunabhängig Postings und Kommentare in sozialen Netzwerken auf fremdenfeindliche Kommentare und Aufrufe zu Straftaten zu überprüfen. Kontrollen erfolgten bisher nur im Rahmen von Anzeigen und Ermittlungen gegen Personen und Organisationen”, kommentiert Enrico Stange das, was er nun an Antworten von Innenminister Markus Ulbig (CDU) zusammengesammelt hat.

Denn dass jetzt erst mal Regeln fürs Prüfen erarbeitet werden sollen, erscheint schon etwas makaber im Angesicht der Schwemme von Aufrufen zu Hass und Gewalt.

Enrico Stange: “Angesichts des Zusammenwirkens von Postings in sozialen Netzwerken und Angriffen auf Unterkünfte von Asylsuchenden und Flüchtlingen und zunehmender Gewaltbereitschaft gegen Ausländer ist dringender Handlungsbedarf seitens der Ermittlungsbehörden angezeigt, um fremdenfeindlicher Hetze entschieden entgegenzutreten. Seit Jahren geht die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung in Sachsen zurück. 2009 waren es noch 358, auf das Jahr 2014 kamen hingegen nur 242 Ermittlungen, ein Minus von rund 32 %. Dieser Rückgang geht einher mit dem Zurückgehen von Ermittlungen von Amts wegen oder aufgrund von Hinweisen anderer Behörden. Im Jahr 2009 betrug der Anteil dieser Verfahren im Verhältnis zur Gesamtzahl rund 94 %. 2014 waren es nur noch 67 %, bei andererseits stetig wachsender Bereitschaft von Privatpersonen, solche Straftaten anzuzeigen. So stieg die Zahl von Ermittlungen aufgrund von Anzeigen von Privatpersonen von 22 Ermittlungen 2009 auf bereits 79 im Jahr 2014 (Parlaments-Drucksache 6/2375). Diese Gesamtentwicklung unterliegt auch einer Wandlung öffentlicher Kommunikation und deren Verbreitungswegen. So wird heute eben viel häufiger über die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und andere zu Straftaten aufgerufen.”

Die Zahlen erzählen etwas Seltsames. Denn während die verbalisierte Gewalt in den digitalen Netzen zunimmt, haben Sachsens Ermittler ihre Aktivitäten zurückgefahren. Da wundert es freilich nicht mehr, dass die Pöbler im Netz sich immer sicherer fühlen und immer mehr Zulauf bekommen, frei nach der alten Sarrazin-Devise “Das muss man doch mal sagen dürfen.”

Mit Presse- und Redefreiheit hat das alles nichts mehr zu tun. Oft genug sind es Aufrufe zu Straftaten, Beleidigungen, Bedrohungen oder eben all das, was der Paragraph zur Volksverhetzung abdeckt. Dass all das so gut wie gar nicht von Strafverfolgungsbehörden bearbeitet wird, sorgt mit dafür, dass die politische Diskussion zusehends verroht und die eigentlichen Brandstifter zunehmend das Gefühl haben, sie könnten online geradezu “die Sau rauslassen”.

“Die Staatsregierung muss bei der Verfolgung des Straftatbestandes der Volksverhetzung dringend handeln und kann sich nicht auf zivilgesellschaftliches Engagement allein verlassen. Denn eine Verrohung der Sprache und rassistische Äußerungen in der Öffentlichkeit, zu der Facebook, Twitter und Co zählen, sind der Boden, auf dem weitere Straftaten entstehen”, sagt Enrico Stange dazu. “Deshalb ist es ein weiteres Armutszeugnis der Staatsregierung, dass von den für 2015 avisierten 100 zusätzlichen IT-Spezialisten für Sachsens Polizei bis zum 1. August nur 25 eingestellt wurden. Von diesen sind fünf tatsächlich neue Mitarbeiter, 20 waren schon in einem Dienstverhältnis mit dem Freistaat. Allerdings sind alle im Polizeiverwaltungsamt eingestellt, für Information und Kommunikation zuständig. Weder beim Landeskriminalamt (LKA) noch beim Operativen Abwehrzentrum sind benötigte Spezialisten angekommen.”

Das heißt: Obwohl der Bedarf erkannt wurde, dass Sachsen dringend Ermittler braucht, die in der Lage sind, auch Straftatbestände im Internet zu verfolgen, hat es diese bis heute nicht. Da wundert es auch nicht, dass angezeigte Straftatbestände nicht verfolgt werden. Womit mal wieder das ganze Ulbigsche Dilemma sichtbar wird: Gerade zu dem Zeitpunkt, als er den strukturierten Aufbau der Polizei beginnen musste, hat er ein wildes Kürzungsprogramm gestartet. Seine Vorstöße, die digitale Kompetenz der Ermittler zu stärken, laufen ins Nichts, weil er einfach die Leute nicht bekommt, die er zur digitalen Strafverfolgung braucht. Und besonders viel Mühe, die Leute zu bekommen, scheint er sich auch nicht zu geben.

Enrico Stanges Anfrage zu Facebook-Fahndungen.

Enrico Stanges Anfrage zu Straftaten in “sozialen” Netzwerken.

Stanges Anfrage zu den eingestellten Computerspezialisten aus dem Juli.

Enrico Stanges Nachfrage zu den eingestellten Computerspezialisten.

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„Deshalb ist es ein weiteres Armutszeugnis der Staatsregierung, dass von den für 2015 avisierten 100 zusätzlichen IT-Spezialisten für Sachsens Polizei bis zum 1. August nur 25 eingestellt wurden.

Bei aller (berechtigten) Kritik sollte nicht vergessen werden, dass diese – wie viele andere Berufsgruppen auch – nicht im Bäckerladen gebacken werden. Universitäten / Fachhochschulen bilden oftmals am Bedarf vorbei aus. Es erfolgt gar keine Koordination zwischen persönlichen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Interessen. Ein einziges Chaos, wie jeder sein Süppchen kocht. Auch “Die Linke,” besonders die in Sachsen, rührt gewaltig mit in diesen Suppentöpfen. Doch wie das so ist, zu viele Köche verderben der Brei. In Sachsen ist der längst ungenießbar, aber keinen scheint das zu stören.

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