Wenn die Atmosphäre in einem Land wie Sachsen scheinbar immer mehr ins Rechtsradikale abdriftet, dann entsteht auch der Humus für die rechtsextremen Aktivitäten, die die Sache erst noch so richtig befeuern. Erst recht, wenn die Zivilgesellschaft wegguckt und dergleichen als „normal“ abtut. Ergebnis: Eine wachsende Zahl rechtsextremer Konzerte 2017 in Sachsen.

Eigentlich müssten Sachsens Verantwortliche seit 2011 ein verstärktes Augenmerk auf diese Szene haben. Denn eine Terrorgruppe wie „NSU“ konnte sich in Sachsen nur etablieren, weil hier rechtsradikale Netzwerke unbehelligt agieren konnten. Und augenscheinlich weiter agieren. Denn Zahlen zu Szene-Vertrieben, Bands und Konzerten zeigen ja nur die Oberfläche dieser Netzwerke. Mit den einen wird Geld verdient, mit den anderen Publikum geworben und Stimmung gemacht.

Und einige Orte in Sachsen scheinen richtig attraktiv für rechtsextreme Veranstalter zu sein.

„Die Zahl extrem rechter Musikveranstaltungen im Freistaat hat sich 2017 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt – und die Zahl neonazistischer Bandprojekte und ‚Liedermacher‘ aus Sachsen ist auf ein neues Hoch geklettert. Das ergibt sich aus aktuellen Landtagsanfragen zu Strukturen und Aktivitäten der extremen Rechten, die ich regelmäßig stelle“, bilanziert Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Landtag, das Ergebnis ihrer regelmäßigen Anfragen an die Staatsregierung. „Demnach gab es im vergangenen Jahr mindestens 46 Konzerte, Live-Auftritte bei Kundgebungen sowie ‚Liederabende‘ der rechten Szene. Im Vorjahr waren es noch 23 solcher Veranstaltungen gewesen. Sachsenweit sind außerdem 42 Bandprojekte und ‚Liedermacher‘ aktiv – zehn mehr als noch im Jahr 2016, das bereits eine Rekordzahl aufwies.“

Dabei zeigen die Veranstaltungsorte schon, wo die rechtsextreme Szene sich in Sachsen besonders zu Hause fühlt.

„Allein zehn der braunen Musik-Events im vergangenen Jahr fanden – seit Jahren der Spitzenreiter – in Staupitz (bei Torgau) statt, vier in Weißwasser. Je drei Mal waren Riesa, Plauen, Aue und Pirna das Ziel. In Pirna wurde im Übrigen ein ‚Liederabend‘ am 21. Juli 2017 untersagt“, zählt Köditz auf. „Offenbar kann die Szene in Sachsen ansonsten unbehelligt feiern und sich dabei immer stärker vernetzen. So zeigt sich am Beispiel des Konzertgeschäfts sehr deutlich die überregionale Kooperation: Besonders häufig standen Neonazi-Interpreten aus Brandenburg auf der Bühne. Nach Sachsen reisten aber auch Rechtsrock-Bands aus Italien, Frankreich, Spanien, der Schweiz, Finnland, der Ukraine, den USA und Großbritannien.“

Und sächsische Nazi-Bands reisten dafür emsig zu Rechtsrock-Konzerten in Tschechien. Die rechte Szene ist auch längst schon international vernetzt. Und die sächsischen Behörden sind dafür nicht wirklich gerüstet. Auch sechs Jahre nach Bekanntwerden des „NSU“ nicht.

„Zu befürchten ist jetzt, dass Sachsen im laufenden Jahr seine Rolle als Szene-Magnet noch vertiefen wird, etwa durch das für April angekündigte ‚Schild & Schwert‘-Festival in Ostritz, wo mit einem braunen Großaufgebot zu rechnen ist“, sagt Köditz. „Die besorgniserregende Entwicklung ist nicht zuletzt möglich, weil die Staatsregierung nicht genügend gegensteuert: Ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten fehlt unter dem neuen Innenminister genauso wie unter seinem Vorgänger.“

Über 60 Neonazi-Objekte konnten 2017 in Sachsen gezählt werden

Über 60 Neonazi-Objekte konnten 2017 in Sachsen gezählt werden

 

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