Sachsen kommt nicht zur Ruhe. Aber nicht deshalb, weil die Sachsen in ihrer Gesamtheit Krach und Remmidemmi machen, sondern weil Zuspitzung, Lärm und Radikalisierung die politischen Mittel der Rechtsextremen sind, mit denen sie sich Aufmerksamkeit verschaffen. Aufmerksamkeit ist die bare Münze im Medienzeitalter. Und wer mit Krach und Gewalt permanent von sich Reden macht, der steht im Fokus. Und schürt die Stimmung.

Und wer mit dieser zunehmenden Radikalität die Bilder, Nachrichten und Talkshows bestimmt, der verstärkt natürlich den Eindruck, es hier mit einer starken Bewegung zu tun zu haben, gar dem viel zitierten „Volk“, auch wenn es immer wieder dieselben radikalen Netzwerker sind, die wissen, wie man die öffentliche Stimmung anheizt.

Auch im wortwörtlichen Sinn. Denn die Aktionisten aus den rechtsextremen Netzwerken scheuen in Sachsen schon lange nicht mehr davor zurück, tätlich zu werden gegen Menschen, die sie verachten. Oder gegen die Unterkünfte, in denen diese Menschen untergekommen sind. Es ist eine Stimmungsmache mit System. Und das Hauptziel ist das Verbreiten von Verunsicherung und Angst.

Die Landtagsabgeordnete der Linken, Juliane Nagel, fragt aus guten Gründen aller Vierteljahre die neuesten Zahlen zu diesen Übergriffen ab. Denn wenn sich Medien nun seit drei Jahren immer wieder auf das so zum Über-Thema hochgepuschte Thema „Flüchtlinge“ fokussieren, geraten die eigentlichen Täter und Scharfmacher immer wieder aus dem Blick und tun dann so, als wären sie brave, gesetzestreue Bürger, die nie ein Wässerchen trüben könnten.

Erst die Straffälle, wie sie die Polizei sammelt, machen sichtbar, wie systematisch die sächsischen Netzwerker der neuen und neueren Rechten zündeln. Und das öffentliche Schaulaufen der vereinigten Rechtsradikalen in Chemnitz war kein Zufall, kein singuläres Ereignis, sondern Ergebnis dieser Kette von Männerbündelei und Stimmungsmache.

Sie nutzten nur den nächstmöglichen greifbaren Vorfall, in dem ein Asylbewerber für eine Gewalttat verantwortlich war, um mit einem inszenierten Trauermarsch so zu tun, als würden die befeindeten Ausländer ganz allein für alle Gewalttaten im schönen Sachsen verantwortlich sein.

Und als wäre da sonst nichts. Nicht diese permanenten Angriffe und Übergriffe, die den asylsuchenden Menschen in Sachsen den Tag zum Albtraum machen.

Der Sommer war in dieser Beziehung nicht anders als das Frühjahr davor oder der Winter oder …

Die Zahl der Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten und auf geflüchtete Personen in Sachsen bleibt im Jahresvergleich auf hohem Niveau, der aktuelle Quartals-Vergleich bringt teilweise eine dramatische Zunahme, kann Juliane Nagel nun feststellen. Zugleich steigt die Zahl der eingestellten Ermittlungsverfahren wegen Attacken auf Asylunterkünfte. Das ergibt sich aus der Antwort der Staatsregierung auf eine Kleine Anfrage.

„Laut Antwort des Innenministeriums auf meine entsprechende Quartalsanfrage (Parlaments-Drucksache 6/14933) gab es in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 insgesamt 14 Straftaten gegen Asylunterkünfte. Unter anderem wurde eine Unterkunft in Dresden-Gorbitz mit einer CO2-Waffe beschossen, in Werdau gab es eine Brandanschlagsdrohung. Damit liegt die Zahl der Anschläge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum etwa genauso hoch“, zählt Juliane Nagel, Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik der Linksfraktion im Landtag, auf. „In den ersten drei Quartalen 2017 hatte es zwölf entsprechende Anschläge gegeben.“

Aber auch die Zahl von Straftaten gegen geflüchtete Personen bleibt auf erschreckend hohem Niveau.

„Waren es von Januar bis September 2017 211 derartiger Attacken, waren es 2018 bisher 216. Im Vergleich zum 2. Quartal 2018 (Parlaments-Drucksache 6/13958) hat sich die Zahl allerdings fast verdoppelt: von 44 auf 82“, stellt die Landtagsabgeordnete fest. „Negativer Spitzenreiter ist erwartungsgemäß die Stadt Chemnitz, wo zwischen Juli und September 32 Straftaten gegen Geflüchtete, darunter Körperverletzungsdelikte, Beleidigungen und Volksverhetzung, ausgeübt wurden.“

Eigentlich erwartet man bei so einer Entwicklung, dass mehr Täter ermittelt und verurteilt werden. Aber obwohl oft genug sofort das Zentrum zur Aufklärung extremistischer Straftaten, das PTAZ, eingeschaltet wird, verlaufen die Ermittlungen meist im Nebel.

„Gleichzeitig steigt die Zahl der Einstellungen von Ermittlungsverfahren. Die Einstellungsquote bei Straftaten gegen Asylunterkünfte liegt bezogen auf das Jahr 2015 bei rund 78 %, 2016 bei rund 88 % und 2017 bei 70 %. In den meisten Fällen können Täter*innen nicht ermittelt werden“, so Juliane Nagel.

Und das erzeugt augenscheinlich gerade bei den Tätern ein Gefühl der Narrenfreiheit. Und bei vielen Bürgern wohl die Einstellung, derartige Handlungen seien jetzt wieder akzeptabel. Als könnte man sich jetzt wieder an so etwas gewöhnen.

„Rassistische Einstellungen brechen sich in Sachsen weiter durch Straftaten und Gewaltausübung gegen die Unterkünfte von Geflüchteten und gegen geflüchtete Menschen anhaltend massiv Bahn, und das, obwohl die Zahl der nach Sachsen kommenden geflüchteten Menschen stark zurückgegangen ist“, sagt Juliane Nagel.

„Gleichzeitig zeigen sich Polizei und Justiz zahnlos im Ermitteln und Verfolgen der entsprechenden Straftaten. Aus dem Jahr 2016 sind bisher nur 4 von 113 Anschlägen auf Asylunterkünfte vor Gericht gelandet. Diese Zahlen ermutigen Täter*innen, die für ihr menschenfeindliches Handeln keine Konsequenzen fürchten müssen. Ich erwarte von den zuständigen Behörden engagierteres und konsequentes Handeln. Schließlich geht es dabei um den Schutz der Unversehrtheit von Menschen und ihren Wohnhäusern!

Wer die Hetzjagden gegen Migrant*innen in Chemnitz verharmlost, wie es Ministerpräsident Kretschmer in seiner Regierungserklärung getan hat, oder nach einer härteren Gangart gegenüber Geflüchteten ruft, wie Innenminister Wöller, muss sich nicht wundern, wenn sich Rassismus auch tätlich entlädt.“

Radikalisierung der Rechtsextremen bringt jetzt endlich auch die sächsische Politik auf Trab

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