Im Februar machte die NDR-Reportage „STRG_F“ einmal wieder darauf aufmerksam, dass seit einigen Jahren ein Leipziger Kleinversand die Welt mit rassistischem und nationalistischem Schriftgut versorgt. „Der Schelm“ nennt sich dieser nationalsozialistische Versandhandel, der seit seiner Gründung antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Literatur versendet. In der Reportage wird als einer der Vertriebsmitarbeiter der ehemalige NPD-Stadtrat Enrico Böhm ausgemacht, stellte die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel in ihrer Anfrage an die Staatsregierung dazu fest.

„Inhaber des Verlages ist Adrian Preißinger, vorbestrafter Neonazi“, betonte sie in ihrer Anfrage und wollte natürlich wissen: „Welche Ermittlungen wurden nach dem Veröffentlichen des oben genannten Beitrages gegen wie viele Personen wegen welcher Straftatbestände eingeleitet? Was ist der Stand der Ermittlungen? Gab es Hausdurchsuchungen, Inhaftierungen und wurde bereits Anklage erhoben?“ und: „Seit wann ermitteln die sächsischen Behörden mit welchen Ergebnissen und unter Anwendung welcher Ermittlungsmaßnahmen gegen die Betreiber und Mitarbeiter/-innen des Versandhandels ,Der Schelm‘ (bitte Zahl der Tatverdächtigen, Straftatbestände, konkrete Ermittlungsmaßnahmen angeben)? Warum konnte bisher keine Anklage erhoben werden?“

Lauter berechtigte Fragen. Aber auch die Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik der Linksfraktion weiß, dass man auf solche Fragen keine Antworten bekommt, wenn Verfahren noch laufen. Journalisten übrigens auch nicht. Denn die Ermittler versuchen natürlich zu Recht dafür zu sorgen, dass der Ermittlungsstand nicht nach außen dringt, bevor man keine hieb- und stichfesten Beweise hat.

Und so antwortet Justizministerin Katja Meier (Grüne) dann auch und betont: „Aufgrund der Veröffentlichung der genannten Reportage wurden keine Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die in dem Beitrag gezeigten Erkenntnisse, insbesondere zu einer möglichen Verbindung zwischen dem Verlag ,Der Schelm‘ und dem Onlineversand ,Lokis Truhe‘ bzw. Enrico Böhm, sowie die als Versandadresse angegebene Anschrift in Leipzig waren vielmehr auch vor Veröffentlichung der Reportage bereits Gegenstand der Ermittlungen. So ermittelt die Staatsanwaltschaft Leipzig seit Mai 2016 gegen einen Beschuldigten als Verantwortlichen des Verlags ,Der Schelm‘.

In dem Ermittlungsverfahren ist derzeit noch eine weitere Person als Beschuldigte erfasst. Gegen zwei weitere Beschuldigte wurde das Ermittlungsverfahren im November 2018 gemäß S 170 Abs. 2 SIPO eingestellt. Den Beschuldigten lag bzw. liegt aufgrund des Angebots des Versandhandels Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz sowie gegen das Urheberrechtsgesetz zur Last.

Es erfolgten im Laufe des Verfahrens mehrere Durchsuchungen und Beschlagnahmen von Beweismitteln in unterschiedlichen Objekten. Die Ermittlungen – insbesondere die Auswertung der Beweismittel – dauern an, weshalb noch keine Abschlussentscheidung getroffen werden konnte. Darüber hinaus wurde bisher davon abgesehen, einen Haftbefehl gegen die Beschuldigten zu beantragen.“

Beschuldigte, die sich irgendwie von den Untersuchungen gar nicht besonders gemeint fühlen und ja laut NDR-Recherchen einfach munter weiter gemacht haben.

Ein zentrales Problem spricht Juliane Nagel in ihrer nächsten Frage an: „Welche Möglichkeit bestehen dem Inhaber (sic!, d. Red.) habhaft zu werden, wenn dieser, wie im Beitrag von ,STRG_F‘ recherchiert, sich in Russland aufhält?“

Sind dann die russischen Behörden kooperationsbereit?

Katja Meier: „Sollten die weiteren Ermittlungen neben dem dringenden Tatverdacht das Vorliegen von Haftgründen ergeben, könnte ein entsprechender Untersuchungshaftbefehl beantragt und gegebenenfalls internationale Fahndungsmaßnahmen gegebenenfalls samt Auslieferungsverfahren eingeleitet werden.“

Das ist also noch nicht geschehen. Auch Sachsens Ermittler geraten an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, wenn sie es mit internationaler Internetkriminalität zu tun bekommen. Da sieht ihre Arbeit zuweilen etwas schwerfällig aus, wenn Medien (wie in diesem Fall der NDR) schon über eigene Rechercheergebnisse berichten.

„Wie kann es sein, dass ein Medienformat innerhalb weniger Tage/Wochen Mitarbeiter/-innen des Versandhandels ausfindig machen kann und die Ermittlungsbehörden dies nicht vermögen?“, hatte Juliane Nagel gefragt.

Katja Meier: „Der Staatsregierung ist nicht bekannt, wie die für die Reportage Verantwortlichen Personen mit Bezug zum genannten Versandhandel ausfindig gemacht haben. Von einer weitergehenden Beantwortung wird abgesehen. Die Frage ist auf eine Bewertung gerichtet, die die Staatsregierung bisher nicht getroffen hat. Zur Abgabe einer Bewertung ist die Staatsregierung nicht verpflichtet.“

Was die Vermutung ja nicht aus der Welt räumt, dass Sachsens Ermittler hier nicht wirklich erfolgreich agieren. Von einem Fall fürs Gericht kann noch nicht einmal die Rede sein.

Denn auf Juliane Nagels Frage „Welche Ermittlungsverfahren laufen derzeit im Zusammenhang mit dem Versandhandel ,Lokis Truhe‘? (bitte Zahl der Tatverdächtigen, Deliktsgruppe, Straftatbestände, Datum der Einleitung und Stand der Ermittlungen angeben)“ kann die Justizministerin nur antworten: „Derzeit sind im Zusammenhang mit dem Versandhandel ,Lokis Truhe‘ keine noch nicht abgeschlossenen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen oder anhängigen staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren im Zuständigkeitsbereich des Freistaates Sachsen bekannt.“

Die Ermittler ermitteln also noch. Und das schon ziemlich lange.

Ein Schelm und sein Helfer + Video

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Es gibt 2 Kommentare

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Man hat den Eindruck, die wollen dieser Leute gar nicht habhaft werden. Journalisten machen die Arbeit, die eigentlich Ermittlungsbehörden machen müssten. Es wäre gut, wenn man mal die Bilder dieser Nazis sehen würde, damit man die erkennt, wenn man in Leipzig unterwegs ist.

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