Teile der sächsischen SPD und Grünen und damit der Koalitionspartner der sächsischen CDU fordern offen den Rücktritt des Innenministers Roland Wöller (CDU). Sie geben ihm die politische Verantwortung für die Ausschreitungen nach einer „Querdenken“-Kundgebung am Samstagabend in Leipzig. Zu den Unterzeichner/-innen eines Briefs gehört unter anderem der Leipziger SPD-Vorsitzende Holger Mann. Wöller selbst bezeichnete das Versammlungsgeschehen heute in einer kurzen Stellungnahme als „friedlich“.

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) stand dieses Jahr häufig in der Kritik – auch innerhalb der Koalition mit SPD und Grünen. Anlässe waren etwa seine Rolle im sogenannten Fahrradgate und die Diskussionen über eine möglicherweise rechtswidrige Beobachtung von AfD-Politiker/-innen durch den Verfassungsschutz. Das Fahrradgate gilt dabei noch nicht ausgestanden.

Doch nach den Ausschreitungen nach der Querdenken-Demonstration am Samstag ist die Kritik noch massiver.

„Die gestrigen Geschehnisse müssen Konsequenzen haben“, so der Grünen-Landessprecher Norman Volger. „Eine klare Umsteuerung in der Vorbereitung und Durchführung solcher Einsätze durch die Polizei einerseits. Andererseits muss der Innenminister angemessene – personelle – Konsequenzen ziehen.“ Ob dies seinen eigenen Rücktritt mit einschließe, ließ Volger offen. Es könnte sich also auch auf den derzeitigen Polizeipräsidenten Torsten Schultze beziehen, in dessen direkter Verantwortung der Einsatz am 7. November lag.

Noch deutlicher wurde der Grünen-Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann, der twitterte, dass das „Vertrauen in die Führung des Innenministeriums definitiv am Ende“ sei. Die Grüne Jugend Sachsen schrieb, dass Wöller „nicht mehr tragbar“ sei und umgehend zurücktreten müsse.

Wöller schiebt die Verantwortung auf die Gerichte

Der sächsische Innenminister hatte sich heute mit einer kurzen Stellungnahme im Livestream zu Wort gemeldet. Darin gab er dem Oberverwaltungsgericht Bautzen die Verantwortung für das Geschehen. Dieses hatte gegen den Willen der Stadt Leipzig und der Entscheidung des Leipziger Verwaltungsgerichtes entschieden, dass die Querdenken-Kundgebung statt an der neuen Leipziger Messe auf dem Augustusplatz stattfinden darf.

Die Polizei hat laut Wöller dennoch „gewalttätige Ausschreitungen“ verhindert und „umsichtig“ gehandelt. Eine „friedliche Versammlung“ mit Gewalt aufzulösen, habe nicht zur Debatte gestanden. Von einer friedlichen Versammlung kann allerdings keine Rede sein. Sowohl Journalist/-innen als auch die Polizei – beide betroffen – berichteten über massive Angriffe durch Personen, die wohl überwiegend der Neonaziszene zuzuordnen sind.

Deutlich wurde auch Henning Homann, der Generalsekretär der sächsischen SPD. Er schrieb auf Twitter, dass Wöller dafür die Verantwortung trage, dass eine „Kundgebung von Corona-Leugnern in Sachsen zum rechtsfreien Raum“ geworden sei. „Nach den Erfahrungen bei Kundgebungen in Berlin und Dresden kann es dafür keine Rechtfertigung geben.“

SPD-Mitglieder fordern Rücktritt

Am Sonntagabend folgte eine Erklärung von rund zwei Dutzend SPD-Mitgliedern aus Sachsen, darunter die Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe, der Leipziger SPD-Vorsitzende Holger Mann, die Jusos-Landesvorsitzende Sophie Koch und weitere Vorstandsmitglieder wichtiger SPD-Organisationen. Darin heißt es unter anderem: „Es reicht! Keine Kompromisse mehr bei Führungsversagen! Wir fordern den Rücktritt von Innenminister Roland Wöller.“

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kündigte heute an, innerhalb der Koalition zeitnah die Zusammenarbeit von Ordnungsbehörde und Polizei sowie die Entscheidungen der Gerichte auszuwerten. Zu der Kritik an Innenminister Wöller und der Polizeiführung in Leipzig äußerte er sich nicht.

Impressionen (Zusammenschnitt) vom 7. November 2020 in Leipzig

Video: L-IZ.de

Falsche Polizeitaktik, überforderte Einsatzleitung? Das hat ein Nachspiel im Innenausschuss des Landtages

Falsche Polizeitaktik, überforderte Einsatzleitung? Das hat ein Nachspiel im Innenausschuss des Landtages

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten unter anderem alle Artikel der LEIPZIGER ZEITUNG aus den letzten Jahren zusätzlich auf L-IZ.de über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall zu entdecken.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

René Loch über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 2 Kommentare

Die Stadt hat mit dem Augustusplatz für nur 20 000 Teilnehmer der Querdenkendemo Platz vorgehalten. In unmittelbarer Nähe wurden Gegendemos genehmigt, die die Polizei abschotten musste. Da deutlich mehr an der Querdenkendemo teilnehmen wollten und teilgenommen haben reichte der Platz nicht aus. Gleichzeitig war von der Stadt nur ein Ausgang vom Augustusplatz in Richtung Osthalle Bahnhof vorgesehen. Dort standen Polizeiketten. Die abwandernden Teilnehmer der Querdenkendemo befanden sich im Kessel. Wer diese Situation kennt und dann verbal auf der Polizei eindrischt weil diese dann nicht eingedroschen hat, befindet sich in guter Tradition zu 89. Es ist zu befürchten, dass die Koalition in Dresden zerbricht, sofern SPD und Grüne am Fehlverhalten der Polizei festhält und die Stadt Leipzig als Hauptverursacher der chaotischen Zustände nicht erkennen will.

Schreiben Sie einen Kommentar