Erst waren es die Fälle aus Hessen, dann mehrten sich die Nachrichten über rechtsextreme Chat-Gruppen von Polizisten auch aus anderen Bundesländern. Und nun steht auch Sachsen im Fokus, wo sich die Regierung seit Jahren doch stets bemüht hat, dergleichen lieber unter den Teppich zu kehren. Aber falsch verstandener Korpsgeist ist erst recht die ideale Spielwiese für Beamte, die den Staat und die Demokratie verachten.

Und Minister, die solche Umtriebe kleinreden, tragen leider erst recht dazu bei, dass der Staat gegen rechtsextremistische Entwicklungen zahn- und machtlos ist. Hier hat ein völlig falsch verstandenes Links-Rechts-Extremismus-Denken dazu geführt, dass sich aus „Einzelfällen“ ein gewisses Netzwerk von Staatsdienern bildet, die rechtsextremes Gedankengut für normal halten.

Bei der sächsischen Polizei kam es in den vergangenen Jahren zu weitaus mehr Vorkommnissen, die offiziell als „Verdachtsfälle mit Bezug zum Rechtsextremismus“ gewertet werden, als bislang bekannt war, kann nun Kerstin Köditz, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, feststellen, nachdem sie die jüngste Antwort auf ihre entsprechende Anfrage bekommen hat.

Demnach wurden seit 2014 weitere 20 einschlägige Vorfälle bekannt, allein sechs davon im aktuellen Jahr. Insgesamt waren daran 23 Beamtinnen und Beamte sowie Tarifbeschäftigte beteiligt. Unterm Strich stehen damit inzwischen sogar 37 Fälle im Raum, wie die Antwort von Innenminister Roland Wöller ergab.

„Vor einigen Monaten hatte ich mich schon einmal zu diesem Thema erkundigt (Drucksache 7/946), daraufhin waren erstmals Zahlen öffentlich gemacht worden – zunächst war ,nur‘ von 17 Fällen die Rede“, kommentiert Kerstin Köditz die neuen Zahlen. „Die jetzt mitgeteilten Fälle sind damit offenbar nicht identisch und kommen obendrauf. Beunruhigend: Offenbar hat das zuständige Innenministerium immer noch keinen vollständigen Überblick, obwohl über das Thema schon länger debattiert wird.

Der erst im Oktober vorgestellte Bundes-Lagebericht ,Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden‘ führte für Sachsen bereits 28 Fälle in Sicherheitsbehörden auf, eingeschlossen das Landesamt für Verfassungsschutz. Schon anhand dieser wohl zu niedrig angesetzten Zahl landete der Freistaat im bundesweiten Vergleich auf einem unrühmlichen fünften Platz. Wie sich jetzt zeigt, könnte es in Wirklichkeit noch viel schlechter stehen. Wir haben es mit mehr als nur einigen ,Einzelfällen‘ zu tun!“

Und während Wöller die Zahlen zu den bekannten Fällen zur sächsischen Polizei herausgibt, verweigert er die zum Landesamt für Verfassungsschutz mit den Worten: „Die Fragen betreffen Informationen über Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen. Zu solchen Fragen nimmt die Staatsregierung grundsätzlich nicht öffentlich Stellung, da überwiegende Gründe des Geheimschutzes (Artikel 51 Absatz 2 Verfassung des Freistaates Sachsen) entgegenstehen.“

In der Parlamentarischen Kontrollkommission gäbe es auf Verlangen dann wohl Auskunft dazu.

„Ausgerechnet zu Vorfällen beim Geheimdienst verweigert mir Innenminister Roland Wöller, den der Ministerpräsident noch immer nicht entlassen hat, nun eine öffentliche Antwort: ,Zu solchen Fragen nimmt die Staatsregierung grundsätzlich nicht öffentlich Stellung‘, heißt es lapidar“, kritisiert Köditz.

„Was die Polizei betrifft, sind vier der fünf Direktionen betroffen, zudem die Bereitschaftspolizei und das Landeskriminalamt. Die Palette reicht von verfänglichen Äußerungen in sozialen Netzwerken und rassistischen Sprüchen über den persönlichen ,Kontakt zu polizeilich erfasstem Straftäter‘ und das frühere Mitführen einer Reichskriegsflagge bis hin zu einer mutmaßlichen Gewaltdrohung gegenüber Ausländer/-innen. In einem Fall steht sogar der Verdacht einer seit 2019 anhaltenden ,Unterstützung rechtsextremer Organisationen‘ im Raum.

Dass das wohl oft genug keine harmlosen Streiche waren, macht die Tatsache deutlich, dass sich der Freistaat von etlichen dieser Beamten und Angestellten dann doch lieber trennte.

„In fast allen der 20 ,neuen‘ Fälle wurden Disziplinarverfahren eingeleitet, die überwiegend noch laufen“, so Köditz. „Es kam bislang zu drei vorläufigen Dienstenthebungen und zu vier Entlassungen bzw. Beendigungen des Arbeitsverhältnisses. Fünf Personen wurde das Führen der Dienstgeschäfte untersagt. Das gilt auch für einen Beamten des LKA, der den ,Namen einer rechtsextremistischen Person als Deckname‘ verwendet haben soll. Hier handelt es sich offenbar um jenen SEK-Angehörigen, der sich selbst den Namen des NSU-Mörders Uwe Böhnhardt verliehen hatte.“

Verfassungsschutz: Rechtsextremismus in Sachsen weiter auf hohem Niveau

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Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

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