Nachdem es in der gestrigen Nacht noch einmal hektischer geworden war, ist der 14. September für Mohammad K., seine Angehörigen und Unterstützer zwar dynamisch, aber weniger stressig angelaufen. Vorerst wird Mohammad K. im Leipziger Uniklinikum verbleiben, von einer Operation ist die Rede. Aus einer Verbringung nach Dresden wurde also heute vorerst ebenso wenig, wie eine Abschiebung.

Darüber hinaus hat sich mit Rechtsanwalt Robin Michalke ein Jurist gefunden, welcher den Fall übernommen hat und nun rechtliche Schritte einleiten kann. Welche das genau sein werden, wird sich zeigen müssen, gestern war noch von einem Gang vors Verwaltungsgericht Leipzig die Rede – doch jeder Fall ist gerade in den Zuwanderungs- und Asylregeln anders, hochindividuell. Zur Stunde beraten sich Verwandte und der Rechtsbeistand über die nächsten Schritte.

Seit 16 Uhr findet zudem nach der am gestrigen Abend stattgefundenen – mit 200 Teilnehmenden relativ großen – Demonstration eine weitere kleinere Versammlung vor der Leipziger Ausländerbehörde an der Prager Straße 128 statt.

Bekommt Mohammad K. eine Chance?

Nicht individuell, sondern von der Bundesregierung gewollt, ist hingegen der neue „Chancenaufenthalt“, worauf heute in einer Mitteilung die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) hinwies. Und bei dessen Berücksichtigung natürlich Sachsen mal wieder zu den Schlusslichtern gehört.

Ihre Partei werbe „seit Juni dieses Jahres dafür, dass Sachsen geduldete Menschen im Vorgriff auf den anstehenden Chancenaufenthalt vor Abschiebungen schützt“. Dies hätte den 26-jährigen Mohammad K., welcher seit sechs Jahren in Deutschland lebt und davon sogar vier Jahre arbeitstätig war, „möglicherweise vor der Abschiebung bewahrt“.

Wut und Fragen: Juliane Nagel (Linke) am 13.09.2022 auf dem kleinen Willy-Brandt-Platz bei der Demo für Mohammad H. Foto: LZ

Denn, so Nagel weiter, „der Bund plant, Menschen, die mindestens fünf Jahre in Deutschland auch geduldet leben, einen zunächst einjährigen Aufenthalt zu ermöglichen. Neun Bundesländer haben bereits Maßnahmen ergriffen, diese Menschen schon heute vor Abschiebung zu schützen. Sachsen ist nicht dabei. Das macht mich angesichts der Ereignisse von heute besonders wütend“.

Die Frage, ob diese Regelung für Mohammad K. eine Möglichkeit darstellt, in Leipzig bleiben zu können, hängt auch an seinem individuellen Status.

Denn am 6. Juli 2022 wurde der Bundeskabinettsbeschluss verkündet, mit dem Gesetzentwurf zum „Chancenaufenthalt“ würde eine „einjährige Aufenthaltserlaubnis (für) langjährig Geduldete“ die Möglichkeit geben, „die notwendigen Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen“.

Stichtag für diese Gruppe Menschen, die nach Schätzungen des Bundesinnenministeriums bei 136.000 Personen liegt, wäre der 1. Januar 2022. Wer an diesem Tag „seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland lebe, nicht straffällig geworden ist und sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennt“, solle so eine Chance zum dauerhaften Leben in Deutschland erhalten.

Für gut integrierte Jugendliche bis 27 Jahre gelten sogar nur 3 Jahre. Mohammad K. ist nach ersten Informationen 26, lebt seit sechs Jahren in Deutschland und hat davon vier gearbeitet – bis man ihm die Tätigkeit staatlich verbot. Warum man also trotz eines auf dem Weg befindlichen Gesetzes, welches auf ihn zutreffen könnte, die Abschiebung vorbereitet hat, ist eine Frage, welche die Landesdirektion Sachsen zu beantworten hat.

Neben diesen Hinweisen auf die eventuellen Chancen Mohammad K.s, doch nicht abgeschoben zu werden, übte Juliane Nagel heute starke Kritik am gestrigen Einsatz in der Kästner-Straße. Da der Betroffene sich selbst verletzt hatte und „betonte, dass von ihm keine Fremdgefährdung ausgeht“, hätte eher „eine medizinische und psychologische Versorgung (…) oberste Priorität gehabt. Dass die Polizeipräsenz die Lage nicht entspannt, sondern zur Eskalation beitragen muss, liegt doch auf der Hand“.

Von dem neuen, humaneren „Leitfaden Rückführungspraxis“ der aktuellen Staatsregierung aus CDU, SPD und Grünen (hier eine Einordnung des Flüchtlingsrates dazu) jedenfalls sei da nichts zu sehen gewesen, so die Linke.

Tatsächlich waren, nachdem die Selbstverletzungen des Mannes früh bekannt waren, über die bereits vor Ort befindlichen Einsatzbeamten hinaus weitere Polizisten vom Sondereinsatzkommando (SEK) hinzubeordert worden, während unter anderem der Leipziger Stadtrat Jürgen Kasek (Grüne) und weitere Personen bereits erste Vermittlungsversuche unternahmen.

Update 19:40 Uhr: Auf LZ-Nachfrage hin bestätigt das nahe Umfeld von Mohammad K. heute, dass ein Haftrichter im Uniklinikum Leipzig war und einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hat. Dies ist nun offenbar die Reaktion darauf, dass die eigentliche Abschiebung am gestrigen 13. September 2022 nicht stattgefunden hat.

Diese finden nahezu immer kurzfristig, ohne Haftbefehl und unter sofortiger Verbringung in einen Flug Richtung Ausland statt. Nun soll offenbar sichergestellt werden, dass Mohammad K. vom Krankenhaus aus im Zweifel nicht in seine Wohnung, sondern in Haft kommt. Eine durch die Selbstverletzungen notwendige Operation wurde am heutigen Tage noch nicht durchgeführt.

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