An ihren Fragen soll man sie erkennen. Und erkennt man sie auch. Denn eine kritische Berichterstattung über das eigene Tun und Lassen mag die AfD in Sachsen nicht wirklich. Weshalb sie die Staatsregierung mit ganzen Ladungen von Anfragen zu allen möglichen demokratischen Initiativen in Sachsen überhäuft – alles unter dem Deckmäntelchen, es könnte ja eine staatliche Finanzierung hinter diesen Initiativen stecken.
Was dann die Legende, der gesellschaftliche Protest gegen die AfD sei vom Staat finanziert, befeuert. Ein Leipziger Landtagsabgeordneter hat sich jetzt das Projekt „Chronik.LE“ und dessen Broschüre „Leipziger Zustände“ zum Vowand genommen.
Das Ergebnis ist ganz ähnlich wie bei der AfD-Landtagsanfrage zu Campact und Katapult: Es gibt keine sächsische Förderknete für beide Projekte. Aber das spielt ja im AfD-Kosmos kaum eine Rolle. Dort erzählt man munter weiter seine Geschichten über all die demokratischen Initiativen, die irgendwie doch wohl vom Staat finanziert wären, damit sie die edle Alternative in Blau ärgern sollen.
Und geärgert werden die „Alternativen“ ja inzwischen auch recht regelmäßig durch die Broschüre „Leipziger Zustände“. In der jüngsten Broschüre wurde natürlich auch das Agieren und Abschneiden der AfD im sächsischen Landtagswahlkampf 2024 untersucht. In einer Publikation, die nun seit Jahren vor allem rechtsextremistische Aktivitäten in und um Leipzig beleuchtet.
Aber da möchte man irgendwie nicht verortet werden, auch wenn der Sächsische Verfassungsschutz die Partei seit 2023 „als gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft hat.
Alles einseitig und agitativ?!
Dabei möchte man doch so gern wie eine normale bürgerliche Partei aussehen. Aber normale bürgerliche Parteien fluten die Staatsregierung nicht mit immer neuen Anfragen, ob der Staat die eine oder andere demokratische Initiative nicht doch mit Geld unterstützt.
Was ihn besonders ärgert, formulierte der Leipziger Landtagsabgeordnete und Stadtrat Tobias Keller gleich in der Begründung seine Anfrage: „Das Projekt ‚Chronik.LE‘ verstehtsich nach eigener Darstellung als ‚Dokumentation und Analyse faschistischer, rassistischer und diskriminierender Ereignisse in und um Leipzig‘. Die Verantwortlichen sind zugleich Herausgeber einer Broschüre namens ‚Leipziger Zustände‘. Der im Januar 2025 erschienenen Ausgabe der ‚Leipziger Zustände‘ ist zu entnehmen, dass die Publikation unter anderem durch den Freistaat Sachsen gefördert wird. Die Broschüre setzt sich in weiten Teilen aus(partei-)politisch einseitigen bis agitativen Beiträgen zusammen.“
Da fühlte sich wohl jemand getroffen. Aber wie sieht das mit der Förderung durch den Freistaat wirklich aus? Wer steckt wirklich hinter der Publikation?
„chronik.LE ist eine AG des Leipziger Vereins ‚Engagierte Wissenschaft‘ und wird von einer ehrenamtlichen Redaktion betreut“, beschreiben die jungen Wissenschaftler selbst ihre Arbeit. „Wir legen Wert auf eine seriöse, verlässliche Berichterstattung. Hierzu recherchieren wir in Medienberichterstattung, Polizeimeldungen und kleine Landtagsanfragen und sichten soziale Netzwerke. Ein Großteil der Dokumentation erfolgt über einen Ansatz möglichst breiter Beteiligung.“
Was also verstreut in den Medien berichtet wird, wird hier komprimiert. Und kommentiert. Das wirft dann natürlich ein Schlaglicht – auch auf die AfD. Und es ist eine große Fleißarbeit: „chronik.LE ist ein Dokumentationsprojekt mit dem Ziel einer möglichst umfassenden Sammlung und Analyse neonazistischer, rassistischer und diskriminierender Aktivitäten in Leipzig und den umliegenden Landkreisen. Unsere bisherige Arbeit zeigt: neonazistische Aktivitäten und Alltagsrassismus sind in der Region weit verbreitet. Anlass des Projekts war vor allem die Zunahme rechter Gewalt und das Erstarken der lokalen Neonaziszene in Leipzig und Umland.“
Mahnung seit 2008
Daran darf man sich durchaus erinnern. Weshalb chronik.LE seit 2008 seine Broschüre veröffentlicht. Auch als Mahnung und Warnung. Denn damals bevorzugte es auch die sächsische Staatsregierung, vor den rechtsextremen Umtrieben im Land lieber beide Augen zu schließen. Auch Polizei und Verfassungsschutz taten sich schwer, das auch damals schon rücksichtslose Agieren von Rechtsextremen im Land wahrzunehmen. Das änderte sich nur ein bisschen, als 2011 die rechtsextreme Zelle des NSU bekannt wurde, die jahrelang unbehelligt in Zwickau unterkommen konnte.
Die Arbeit von chronik.LE war also die ganz Zeit wichtig. Keller wollte nun aber wissen, wie der Freistaat das Projekt eigentlich fördert. Die Antwort ist nicht so ganz einfach. Denn direkt fließt kein Geld in die „Leipziger Zustände“.
„Das Projekt ‚Chronik.LE‘ sowie die Broschüre ‚Leipziger Zustände‘ oder derartige Vorhaben haben in der Zeit von 2020 bis zum Abfragedatum (31. Januar 2025) keine Finanzmittel durch den Freistaat Sachsen erhalten“, teilt Innenminister Armin Schuster auf die AfD-Anfrage hin mit.
„Im Rahmen des Bundesprogramms ‚Demokratie leben!‘ erhält die Stadt Leipzig Fördermittel des Bundes und Kofinanzierungsmittel des Freistaates Sachsen für die Arbeit der sogenannten Lokalen Partnerschaft für Demokratie (PfD). Die Vergabe von Fördermitteln an die Letztempfänger im Rahmen des Bundesprogramms ‚Demokratie leben!‘ wurde entsprechend den bis zum 31. Dezember 2024 geltenden Fördergrundsätzen durch den lokalen Begleitausschuss entschieden und in kommunaler Selbstverwaltung umgesetzt.
Die Landesmittel zur Kofinanzierung der PfD derStadt Leipzig sind in Kapitel 0303 Titel 63351 veranschlagt. Publizistische Beiträge des Projekts ‚Chronik.LE‘ erschienen in den Jahrbüchern 2021 und 2022 des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung an der Universität Leipzig. Das Institut wird seit dem Jahr 2020 aus Mitteln des Freistaates Sachsen gefördert. Die Bereitstellung der Mittel erfolgte bisher aus Kapitel 06 15 Titel 685 01. Für die Beiträge von ‚Chronik.LE‘ in den Jahrbüchern wurden seitens des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts keine Honorare oder andere Vergütungen gezahlt.“
Weshalb die Herausgeber natürlich transparent in der Broschüre angegeben haben, dass der Trägerverein durch die Partnerschaft für Demokratie „Leipzig. Ort der Vielfalt“ gefördert wird. Und das natürlich mit einer Absicht.
Eine Dokumentation von Gewalt und Propaganda
Absichtslose Veröffentlichungen über die rechtsextreme Gefahr ergeben ja nun wirklich keinen Sinn. Auch wenn die Herausgeber der „Leipziger Zustände“ betonen: „Wie immer werden in unserer Broschüre zahlreiche aufwühlende und verstörende Themen behandelt. Von alltäglicher Diskriminierung bis hin zu Gewalt und Mord finden sich auch in der Region Leipzig zahlreiche konkrete Fälle, die Ausdruck extrem rechter Einstellungen sind. Texte mit dezidierten Schilderungen von Gewalttaten und Mord haben wir mit einer entsprechenden Content-Note versehen.“
Denn es geht nicht nur um die AfD, sondern auch um die Haltungen und Ansichten, die sie befördert oder verharmlost und damit anschlussfähig ist zu noch extremeren Akteuren.
Und so dokumentiert chronik.LE eben all die Vorgänge, die sonst im Medienalltag oft untergehen: „Gewalt- und Propaganda-Aktionen organisierter und nicht organisierter Neonazis, Verschwörungsideologien, Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Antiromaismus, Sexismus, Antifeminismus, fundamentalistische und Neue Rechte sowie Anfeindungen gegen LGBTIQ*, Obdachlose und Menschen mit Behinderungen. Die Verharmlosung und Verherrlichung des Nationalsozialismus, Reichsbürger und völkische Siedler“.
Dass das AfD-Abgeordnete nicht so gern lesen, erzählt aber eben nichts über ihre Zartfühligkeit. Mehr darüber, dass sie eine so intensive Berichterstattung über das, was sie so treiben, gern verschwinden lassen möchten. Gern mit der Mutmaßung, es gäbe noch mehr solcher Publikationen wie die „Leipziger Zustände“, von denen die Regierung ja wissen müsste.
Aber auf diese Mutmaßung erwiderte Armin Schuster dann nur: „Die Fragestellung kann mangels Bestimmtheit nicht beantwortet werden. Mit den fragegegenständlichen Angaben ist eine Recherche seitens der Staatsregierung in ihren Auskunftssystemen nicht möglich.“
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