Eigentlich läuft der aktuelle Dienstleistungsauftrag der Stadt Leipzig mit den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) noch bis 2028. Aber so kann man ÖPNV in einer Großstadt eigentlich nicht planen. So plant man bestenfalls Dienstleistungsaufträge für Catering und Toilettenpapier. Aber nicht für Planungen für ein komplettes Straßenbahnnetz, das nach Auftrag durch den Stadtrat weit über 2030 hinaus kräftig erweitert werden muss.

Das steht so eigentlich schon im 2018 beschlossenen Mobilitätsszenario. Aber mit dem Nahverkehrsplan von 2019 wurde es schon konkretisiert, ist klar, dass die LVB einige große Streckenerweiterungen bauen müssen – darunter die sogenannte Südsehne entlang des Schleußiger Weges. Aber wie soll ein kommunales Unternehmen so etwas planen, wenn 2028 nicht nur der Betrauungsauftrag ausläuft, sondern auch gleich noch die Genehmigung für das Streckennetz der LVB?Letzteres einer der modernen Bocksprünge der Bürokratie, die eben nicht zur Vereinfachung der Dinge führt, sondern selbst den Dauerbetrieb eines Gleisnetzes immer weiter portioniert.

Eigentlich hätte das in der Ratsversammlung am 9. Februar noch einmal zu einer großen Grundsatzdiskussion führen können. Aber augenscheinlich besteht auch im Leipziger Stadtrat kein Bedarf mehr daran, über die verkorksten Liberalisierungsideen der EU in Sachen ÖPNV zu diskutieren. Denn spätestens die Diskussion über das künftige Mobilitätskonzept der Stadt ab 2016 hat gezeigt, dass eine Großstadt wie Leipzig gut beraten ist, wenn sie die Hoheit über ihren Nahverkehr in der Hand behält.

Planen weit über 2028 hinaus

In der Vorlage des Planungsdezernats liest sich das so:

„Mit Vorlage VII-DS-01799 (Betrauung der LVB mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen im ÖPNV) hat die Ratsversammlung am 12.11.2020 das Ziel der vorgezogenen Direktvergabe der Verkehrsleistungen mit Straßenbahn und Bus sowie neuer innovativer Mobilitätsangebote an die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH beschlossen. Die europaweite Vorabbekanntmachung – welche keine eigenwirtschaftlichen Anträge zur Folge hatte – wurde am 25.11.2020 im EU-Amtsblatt veröffentlicht.

Anschließend erstellte eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Verkehrs- und Tiefbauamtes, der LVB, der LVV, der bbvl sowie der hinzugezogenen Rechtsberatung ‚BBG und Partner‘ einen Entwurf für einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag. Dieser soll nunmehr mit Wirkung zum 01.04.2022 an die LVB erteilt werden und für eine Laufzeit von 22,5 Jahren gelten.“

Damit gewinnen Stadt und LVB einen Planungshorizont bis 2044, innerhalb dessen vor allem das Gleisnetz der Straßenbahn deutlich ausgebaut werden muss. Das, was im Nahverkehrsplan von 2019 steht, ist erst der Auftakt. Da muss noch viel mehr kommen, wenn man das Angebot tatsächlich so ausbauen will, dass es auch tausende Autofahrer zum Umsteigen animiert.

Was ÖPNV wirklich kostet

Dazu kommt auch noch: „Im Zusammenhang mit der Erarbeitung des ÖDA und verschiedener Abstimmungsprozesse festigte sich die Auffassung, dass der seit 1999 bestehende und in mehreren Iterationen fortgeschriebene Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag neu gefasst werden muss, um den neuen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Der Stadtrat wird dabei zukünftig die Gelegenheit haben, vorab für zwei Jahre Vorgaben hinsichtlich des Planausgleichs der LVB zu beschließen.“

Denn der Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag ist zu einem regelrechten Flickenwerk geworden. 1999 stand noch drin, dass die LVB mit steigenden Fahrgastzahlen von der Stadt auch mit steigenden Zuschüssen belohnt wird. Zehn Jahre später wurde dieser Zusammenhang gekappt und die LVB sollten sich mit 45 Millionen Euro Zuschuss begnügen. Was im Lauf der Zeit dazu führte, dass wesentliche Gelder für Investitionen fehlten.

Auch da musste der Stadtrat erst Druck machen und Stadt und LVB zu Klarheit zwingen, was die tatsächlich von der Stadt bestellten Leistungsumfänge betrifft. Und die lagen nun einmal deutlich über 60 Millionen Euro pro Jahr.

Man kann es auch so formulieren: Die LVB haben über Jahre dazu beigetragen, die Finanzlage von Stadt und LVV deutlich zu entspannen. Und zwar gerade in den Jahren, als es um den Finanzskandal bei den Wasserwerken ging. Aber eben leider mit Folgen, die man im Gleisnetz erleben kann. Was ja schön ist. Wenn die Bahnen im Schritttempo fahren müssen, weil die Gleise knirschen, sieht man mehr von der Stadt …

Aber gerade die Diskussion über das Zukunftsszenario hat auch deutlich gemacht, dass der Mutterkonzert LVV deutlich mehr Geld in die LVB geben muss, damit das Unternehmen die Investitionslücken flicken und attraktiver werden kann.

Bericht alle zwei Jahre

Die entsprechenden Summen sind gleich in der Neubetrauung mit verankert: „Der im Rahmen der Vorlage VII-DS-01977 vom 18.12.2020 bereits beschlossene Gesamtfinanzierungsbeitrag der Stadt in Höhe von maximal 66,3 Mio. € für das Jahr 2022 wird ausdrücklich bestätigt. Auf Basis des Beschlusspunktes zu 5. und der Orientierung an den Erkenntnissen aus den Vorberatungen im Verwaltungsausschuss zur Wirtschaftsplanung inkl. Mittelfristplanung von LVB und LVV wird ein Gesamtfinanzierungsbeitrag der Stadt Leipzig von 70,0 Mio. € für das Jahr 2023 und von 72,3 Mio. € für das Jahr 2024 beschlossen.“

Und tatsächlich meldete am 9. Februar keine Fraktion mehr weiteren Gesprächsbedarf an. Der freilich auch in der Vorlage mit verankert ist. Denn da kann man auch lesen: „Dem Stadtrat ist jeweils vorab zweier Haushaltsjahre eine Vorlage zur Beschlussfassung vorzulegen, die nach Maßgabe des neu abzuschließenden Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrags (vgl. Beschlusspunkt 3) den jeweiligen Gesamtfinanzierungsbeitrag der Stadt zur Absicherung der Finanzierung der betrauten Verkehrsleistung der LVB festlegt. Diese Festlegung orientiert sich an den Erkenntnissen aus den Vorberatungen im Verwaltungsausschuss zur Wirtschaftsplanung inkl. Mittelfristplanung der LVV und der LVB.“

Auch das ein Erfolg für die Ratsfraktionen, die sich über Jahre überhaupt erst einmal das Recht erkämpft haben, an diesem Punkt ein Wörtchen mitreden zu können.

Weshalb es am 9. Februar auch keinen wirklichen Dissens über die Vorlage gab. Sie wurde dann ohne Diskussion auch kurzerhand und einstimmig von der Ratsversammlung so beschlossen.

Die Debatte vom 9. Februar 2022

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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