„Denn scheinbar war die Straßenbahn überall dort schneller, wo Städte rücksichtslos auf das Modell Stadtbahn gesetzt haben.“ – „Schneller“ ist etwas, was in Deutschland sehr wichtig ist, wichtiger noch als in Österreich oder in der Schweiz. Nur ist es zu relativieren: Schon Helmut Qualtinger (den ich aus verschiedenen politischen Gründen nicht sonderlich schätze) hat treffend getextet: „Ich weiß zwar nicht, wo ich hinfahre, dafür bin ich schneller dort.“

In Deutschland steht vor allem das Auto viel mehr im Vordergrund – schon der Ausdruck „Vorfahrt“ in Deutschland weist darauf hin, dass „Fahren“ im Vordergrund steht, während „Vortritt“ in der Schweiz und „Vorrang“ in Österreich durchaus auch ein Mensch haben kann.

Schneller will die Industrie, schneller wollen die Autofahrer, und schneller für den öffentlichen Verkehr hat häufig das Ziel, mehr Umsatz in Hardware und Software und mehr freien Platz und freie Zeit für die Autofahrer zu schaffen – das natürlich nicht nur in Deutschland, aber dort durch die sogenannten Förderungsmaßnahmen, die von – aus meiner Sicht fadenscheinigen – Berechnungen abhängen, sehr deutlich ausgeprägt.

Wer hat schon jemals ausgerechnet, ob eine Autobahn oder eine Tiefgarage „wirtschaftlich“ für die Allgemeinheit, für den Staat ist?

„Mit der Erneuerung der Verkehrstechnik an Knotenpunkten und der Überarbeitung der LSA-Programme ergeben sich notwendige Spielräume, den ÖPNV im Verkehrsfluss weitreichender zu bevorrechtigen“, heißt es unter diesem Maßnahmenpunkt.

Worum geht es bei Bevorrechtigung?

Warum soll man den ÖPNV bevorrechtigen? Diese Betrachtungsweise kommt aus der Autofahrersicht. Ich sehe keine Bevorrechtigung darin, dass wegen eines kreuzenden oder abbiegenden Zuges mit 100 Passagieren 10 Autos mit vielleicht insgesamt 12–15 Insassen geringfügig warten müssen.

Was ich zwischen den Zeilen herauslese, ist, dass die EDV-Branche teure Programme verkaufen will, die Wortwahl „notwendige Spielräume“ zeigt schon, wie gering der Nutzen für die Fahrgäste sein wird.

„Damit können Busse und Straßenbahnen diese Kreuzungen schneller passieren, sodass die Fahrtzeit abschnittsweise reduziert werden kann und die Fahrgäste ihre Ziele schneller erreichen können.“

In Einzelfällen mag das möglich sein – wir haben in Währing einen Fußgängerübergang, der fahrleitungsabhängig (was technisch auch schon veraltet ist) geschalten wird, der Straßenbahn ein paar Sekunden bringt, und den Fußgängern und den Autofahrern nicht „schadet“.

Sonst ist die Voraussetzung für derartige Programme, dass die Straßenbahn möglichst selten verkehrt.
Eine wichtige Haltestelle ist Spitalgasse/Währingerstraße/Nussdorfer Straße, dort verkehren die Linien 5 und 33 Nord Süd und zurück, die Linien 40, 41 und 42 West Ost und zurück, die Linien 37 und 38 biegen ab und verkehren somit Ost Nord und zurück.

Platz für Voreinordnungsgleise ist dort nicht, die Währingerstraße in Fahrtrichtung stadteinwärts ist vor der Kreuzung so eng, dass der Gehsteig bis an das Straßenbahngleis reicht.

In der morgendlichen Hauptverkehrszeit an Schultagen beträgt die Frequenz (ich habe es extra laut Fahrplan nachgerechnet) bis zu 118 Züge in 1 Stunde, vormittags dann erheblich weniger, ab etwa 14:00 Uhr wieder zunehmend und in den Abendstunden langsam abnehmend. Dabei kein sturer „Taktverkehr“, sondern den Erfordernissen angepasste Fahrpläne.

Wenn Straßenbahnen zügig fahren können

Die hohe Inanspruchnahme dieser Linien kommt sicher nicht daher, dass irgendein Zug bevorrechtigt wird, sondern daher, dass der Straßenbahnverkehr dicht ist – für den um 7:32 Uhr aus dem 5er aussteigenden Fahrgast ist es dabei völlig uninteressant, ob der nächste 40er oder 41er der verspätete von 7:30 Uhr ist oder der überpünktliche, der eigentlich erst um 7:33 Uhr kommen sollte.

Und – was das wichtigste ist – dass so mancher Fahrgast der Linien 40 und 41, aber auch 37 und 38 ein großes und ein kleines Auto zu Hause stehen hat und mit der Straßenbahn in die Stadt fährt.

Denn hier sollen ja als Erstes die Taktzeiten verdichtet werden, was aber nur Sinn ergibt, wenn Straßenbahnen zügig und ohne permanente Wartezeiten an Ampeln und Kreuzungen vorankommen.

Vielleicht könnte man an der betreffenden Kreuzung die „Takt“-Zeiten aller Linien auf 6 Züge pro Richtung und Stunde (= alle 10 Minuten, was es in Wien an Werktagen zwischen 6:00 und 19:00 Uhr nur ganz vereinzelt gibt) senken, dann wären es nur 84 Züge pro Stunde und da hätte dann die EDV eine Chance, etwas zu machen. Die Fahrgäste würden dann auch bald weniger werden …

ÖPNV muss Freude machen

Wichtig für den öffentlichen Verkehr ist, dass er nützlich ist und auch Freude macht: in London führt an der Underground oder Tube nichts vorbei, in Wien ist die U-Bahn für weite Strecken sicher nützlich, daneben kann aber eine Fahrt mit der Straßenbahn auch Freude machen – was wohl mit einem Autobus oder Rufbus oder dergleichen nie so richtig der Fall sein kann.

Wer einmal in Hamburg oder Köln gewesen ist, weiß, wie unangenehm öffentlicher Verkehr sein kann. Einmal mit der U3 (Hamburg) fahren, mag ein positives Erlebnis sein, aber sonst …

In Leipzig sind wir nur vom Hotel in der Nähe der Thomaskirche zum Völkerschlachtdenkmal und zurück gefahren. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich zu meiner Frau – die das allerdings nicht sonderlich interessiert – gesagt habe: „Sie haben hier das gleiche Problem wie in Graz – zu geringer Gleismittenabstand!“.

Insgesamt war der Eindruck der Fahrt mit der Straßenbahn gut, die Fahrzeuge waren sauber und pünktlich, in einem hat der Fahrscheinautomat nicht funktioniert, im anderen schon. In Gelsenkirchen gibt es keine Automaten im Zug, sondern an den Haltestellen – dort gab es nach einem heftigen Gewitter „Freifahrt“.

In den Niederlanden gibt es die OV-kaart – eine Art Chipkarte, die landesweit die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel möglich macht. Klingt aus der Sicht des Autofahrers gut. Wie und wo und mit welchen Tücken, das verleidet nicht nur meinen Verwandten in Holland die Fahrt mit der Straßenbahn.

Wenn es jemand zustande brächte, die Vorteile des Londoner Systems und die Vorteile des Wiener Systems zu vereinen und gleichzeitig die Nachteile beider Systeme zu vermeiden, dann wäre viel geschafft. Für Deutschland und Österreich sehe ich die Zukunft diesbezüglich nicht rosig – es fehlen politischer Wille und politische Einsicht, und die Querschläge der EDV-Branche sind weitgehend „fahrgastunabhängig“.

Zusammenfassend: Die Fahrt mit der Straßenbahn muss Freude machen, die Wartezeiten sollen kurz sein, und die eine oder andere sogenannte „Bevorrechtigung“ mag nützlich sein.

Ob die Straßenbahn ein bisschen schneller und ein bisschen langsamer ist, das ist für den Fahrgast nur von untergeordneter Bedeutung, wenn man von zu Hause ins Burgtheater und in die Staatsoper fahren kann, und auch noch nach Vorstellungsschluss nicht länger als 3–4 Minuten auf die Fahrt nach Hause warten muss, wenn man von der Apotheke zur Wäscherei, vom Spielzeuggeschäft zum Eissalon mit der Straßenbahn „schneller“ ist, als in einer deutschen Stadt die nächste Tiefgarage zu finden.

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