Das hat es so in der jüngeren Geschichte der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) auch noch nicht gegeben. „Aufgrund von Betriebsversammlungen, auf Einladung des LVB-Betriebsrates, kommt es am Mittwoch, 9. November, zu Einschränkungen im LVB-Linienangebot. Nach einer hohen Anmeldequote und Interesse an der wirtschaftlichen Situation des öffentlichen Personennahverkehrs in Deutschland, kommt es an diesem Tag zum Ausfall einzelner Linien“, meldeten die LVB am Montag, dem 7. November.

Und: „Um die Fahrplanstabilität insgesamt zu gewährleisten, fahren am Mittwoch, 9. November, nur die Straßenbahnlinien 1, 3, 4, 7, 9, 11, 14, 15 und 16, sowie die zahlreichen Buslinien, außer die Buslinien 60 und 89. Straßenbahnlinien, die sich größtenteils den Fahrtweg mit anderen Linien teilen, wie die 2, 8, 10 und 12, fahren an diesem Tag nicht.“

Ein massiver Ausfall im Linienbetrieb, weil sehr viele Fahrerinnen und Fahrer an einer Betriebsversammlung teilnehmen wollen. Das steht ihnen gesetzlich zu. Aber es erzählt auch von den über Jahre gewachsenen Problemen bei der Bezahlung des Fahrpersonals im ÖPNV.

Es geht nämlich nicht nur den LVB so. Der gesamte Nahverkehr in Deutschland leidet unter der massiven Unterfinanzierung, mit welcher der ÖPNV in den vergangenen drei Jahrzehnten zum „Sparen“ gezwungen wurde.

Linienausfälle bei den LVB: Zeugnis der strukturellen Unterfinanzierung des ÖPNV

Die voraussichtlich hohe Beteiligung an der für den heutigen Mittwoch, 9. November, geplanten Betriebsversammlung und die sich daraus ergebenden Linienausfälle bei der LVB sind aus Sicht der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) der vorläufige Gipfel einer schon lange deutlich spürbaren Unzufriedenheit über die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Nahverkehr.

ver.di betont seit Jahren, dass bessere Arbeitsbedingungen dringend notwendig seien, um den ÖPNV der Zukunft zu organisieren. Schon jetzt seien bundesweit zehntausende Stellen unbesetzt – Tendenz steigend. Selbst der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) geht davon aus, dass bis 2030 rund 74.000 Stellen nachbesetzt werden müssen, die altersbedingt freiwerden. Von einem drohenden Arbeitsplatzverlust könne keine Rede sein. Das Gegenteil sei zutreffend: Schon heute gelinge es dem Unternehmen nicht mehr, zu den vorherrschenden Bedingungen alle offenen Arbeitsplätze zu besetzen.

„Wer bei den Leipziger Verkehrsbetrieben nach einer dreijährigen Ausbildung als Fachkraft im Fahrbetrieb seine Arbeit aufnimmt und damit erhebliche Verantwortung für Menschenleben und schweres Gerät übernimmt, erhält nur wenige Cent mehr als beispielsweise eine ungelernte Hilfskraft im Handel. Gerade für diese Beschäftigten ist die aktuelle Preisentwicklung nicht zu bewältigen“, erklärt Paul Schmidt, Landesfachbereichsleiter und ver.di-Tarifverhandler im ÖPNV.

Aus diesem Grund habe ver.di mit dem kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) im September eine Inflationsprämie von 200 Euro ab Oktober 2022 bzw. 300 Euro ab April 2023 für die Beschäftigten im kommunalen ÖPNV vereinbart. Diese werde bei den Verkehrsunternehmen in Chemnitz, Dresden und Zwickau gezahlt, in Leipzig und Plauen jedoch nicht.

Dazu sagt Paul Schmidt: „Die Beschäftigten in Leipzig und Plauen fühlen sich als Arbeitnehmer zweiter Klasse. Sie leisten jeden Tag die gleiche wertvolle Arbeit wie in den anderen Städten – bekommen aber nicht die gleiche Entlastung. So kann es nicht weitergehen.“

Finanzielle Möglichkeiten ausgereizt

„Richtig ist, dass die finanziellen Möglichkeiten der Verkehrsunternehmen weitestgehend ausgereizt sind. Die aktuelle Situation ist Zeugnis der strukturellen Unterfinanzierung des ÖPNV“, ergänzt Schmidt. Problematisch sei, dass in der Vergangenheit vor allem Investitionen – also beispielsweise die Baumaßnahmen und die Beschaffung von Fahrzeugen – subventioniert wurden, nicht jedoch die Betriebskosten der Unternehmen.

„Wir können nicht länger akzeptieren, dass Sparprogramme auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Die Kolleginnen und Kollegen leisten jeden Tag systemrelevante Arbeit, diese muss auch finanziell gewürdigt werden. Dafür muss die Politik in Bund, Land und Kommune Farbe bekennen – einen ÖPNV zum Spartarif wird es nicht mehr geben“, so der Gewerkschafter.

Regionalisierungsmittel reichen nicht

Auch die geplanten Maßnahmen der Bundesregierung werden keine Lösung der Probleme herbeiführen. Die angekündigte Erhöhung der Regionalisierungsmittel in Höhe von einer Milliarde Euro liegt deutlich unterhalb des von den Verkehrsunternehmen errechneten Mehrbedarfs in Folge der Energie- und Inflationskrise. Auch das 49-Euro-Ticket ist keineswegs ausfinanziert und droht, weitere finanzielle Belastungen in die Unternehmen zu tragen.

Der VDV hat einen deutlich höheren Finanzbedarf ermittelt, um die Klimaziele zu erreichen: „Für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ergibt sich 2030 ein zusätzlicher konsumtiver Finanzierungsbedarf in Höhe von 6,8 Mrd. Euro und für den Öffentlichen Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) von 7,8 Mrd. Euro.“

Die Politik müsse endlich entscheiden, ob sie es mit der Verkehrswende ernst meint, betont ver.di. „Wenn das der Fall ist, brauchen wir massive Investitionen in den ÖPNV – und zwar nicht nur in Infrastruktur, sondern vor allem auch in das Personal. Andernfalls droht schon in der ab Januar anstehenden Tarifrunde eine heftige und langwierige Auseinandersetzung.“

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