LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 66Wer in den vergangenen Jahren so manche Presseveröffentlichung über das Leipziger Umwelt- und Ordnungsdezernat aufmerksam beobachtete, durfte zum Ergebnis kommen, dass hier ein Bürgermeister agiert, der gern mal links und rechts von klaren Regeln schippert. Ob es das Verbot regelwidrig mitgeführter Gegenstände wie Angelruten und Starklichtstrahlern bei den „Legida“-Demonstrationen waren, welche erst nach gehörigem öffentlichen Druck in den Auflagen auftauchten oder die schleichende Eventisierung der Leipziger Flussgewässer auf Kosten des Auwaldes: immer wieder lächelte Heiko Rosenthal (Linke) die meisten Probleme im Stadtrat weg.

Am 17. März 2019 stand durch einen Antrag seiner eigenen Partei und einer Bürgeranfrage mit dem stetig wachsenden Problem regelwidrig abgestellter Autos auf Radwegen und in absoluten Halteverboten (wie in der Inneren Jahnallee) ein weiteres Feld seiner Arbeit im Fokus der Leipziger Ratsversammlung. Eine Sicherheitsfrage, bei der es um rund 250.000 regelmäßige Radfahrer in Leipzig ging. Und auch das bürgermeisterliche Lächeln nicht mehr weiterhalf.

„Es ist eine Ermessensentscheidung der Kolleginnen vor Ort und muss von Fall zu Fall entschieden werden“, ob nun abgeschleppt werden würde oder nicht, so Rosenthal. Die Fahrradstaffel würde zudem zukünftig auch Aufgaben im ruhenden Verkehr wahrnehmen. Erneut eine in diesem Fall mindestens halbfalsche Erläuterung und ein neuerliches Versprechen auf bessere Zeiten für Radfahrende. Doch statt der erhofften Ruhigstellung der Ratsmitglieder ging mit Norman Volger (Grüne) nur der erste von mehreren Stadträtinnen auf die Palme.

Nachdem er Heiko Rosenthal vorgeworfen hatte, bereits seit rund 1,5 Jahren nur zu beschwichtigen statt zu handeln, verteilte der Fraktionsführer der Grünen erste Fakten im Ratssaal: „In den letzten drei Jahren wurden 11.500 Vorfälle gemeldet, also Knöllchen an Falschparker auf Radwegen verteilt. Und in genau 100 Fällen wurde abgeschleppt.“

Stadtrat Norman Volger (Grüne) sichtlich sauer am 17. April, als es um das Thema Parken auf Radwegen ging. Foto: Michael Freitag
Stadtrat Norman Volger (Grüne) sichtlich sauer am 17. April, als es um das Thema Parken auf Radwegen ging. Foto: Michael Freitag

Dies wären weniger als ein Prozent aller Fälle, in denen Pkw-Nutzer einen Radweg blockierten, wo „die Mitarbeiter des Ordnungsamtes zu dem Ergebnis gekommen sind, dass hier eine Gefährdung der Radfahrer stattfinden könnte. Sie werden also ihrer Aufgabe nicht gerecht“, so Volger. Eine Ouvertüre zu einem Watschenkonzert, welche in einem Beschluss münden sollte, der die Lahmen im Leipziger Ordnungsamt zum Gehen und so manchen Falschparker öfter sein Auto in der Sammelstelle abholen lassen dürfte.

Als der studierte Jurist Heiko Rosenthal in seiner Funktion als oberster Ordnungshüter der Leipziger Verwaltung am 17. April 2019 auf den Ermessensspielraum hinwies, welchen die Mitarbeiter des Ordnungsamtes beim Abschleppenlassen von Pkws auf Radwegen und in absoluten Halteverboten hätten, lag er sicher nicht falsch. Nur die Auslegung dieses Spielraumes dürfte in Leipzig seit Jahren zu lax ausgelegt worden sein, wie Norman Volger (Grüne) anhand der Abschleppquote von gerade einmal einem Prozent nachwies.

Was zu den Gefährdungen auch von immer mehr Kindern führt, da diese ab dem 10. Lebensjahr nicht mehr auf dem Fußweg fahren dürfen, sondern sich ebenfalls in den Normalverkehr einreihen sollen.

So stellte bereits im Jahr 2002 das Bundesverwaltungsgericht klar: „Ein auf einem Radweg abgestelltes Fahrzeug kann nur dann sofort abgeschleppt werden, wenn dieser vollständig blockiert ist. Darüber hinaus können Fahrzeuge auch abgeschleppt werden, wenn sie den Radweg nur teilweise blockieren. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Radfahrer dazu gezwungen werden, auf eine viel befahrene Straße oder auf den Gehweg auszuweichen.“ (BVerwG, 18.02.2002, Az. 3 B 149/91).

Mit dieser Einschätzung waren die obersten Verwaltungsrichter jedoch nie allein. So stellte auch das Verwaltungsgericht Berlin fest, mit dem Abschleppen „muss man grundsätzlich rechnen, wenn man seinen Pkw verbotswidrig abstellt und dadurch andere behindert. Beim Parken im absoluten Halteverbot darf das Fahrzeug auch ohne konkrete Behinderung abgeschleppt werden.

Hier liefere die „negative Vorbildwirkung“ Grund genug, was letztlich bedeutet: stellt sich der erste – wie derzeit nicht nur auf Leipziger Radwegen sondern auch in der Inneren Jahnallee zu beobachten – ungestraft ins absolute Halteverbot, folgen bald weitere und die Gefährdung für die schwächeren Verkehrsteilnehmer wächst.

So auch an der Karl-Liebknecht-Straße, zu welcher am gleichen Tag der zweite Offenbarungseid seitens des Ordnungsdezernenten folgte.

Abstimmung zum vermehrten Abschleppen auf Radwegen. Foto: Michael Freitag
Abstimmung zum vermehrten Abschleppen auf Radwegen. Foto: Michael Freitag

Alles Auslegungssache und ab Samstag halb sechs ist Dienstschluss

In einer Anfrage hatte sich der PARTEI-Politiker und Bürger im Leipziger Süden, Thomas „Kuno“ Kumbernuß erkundigt, wann die Ordnungskräfte endlich die Radwege entlang der Südmagistrale freihalten wöllten. Den nötigen Schuss Sarkasmus lieferte er gleich mit: „Wie viele Halbwaisen müssen von nur einem Erziehungsberechtigten weinend in den Schlaf gesungen werden, da ein Elternteil das Fahrrad nutzend verstarb ob der Untätigkeit des Ordnungsamtes in Bezug auf die Durchsetzung der Straßenverkehrsordnung entlang der Karl-Liebknecht-Straße und wie viele Eltern müssen ihre Kinder weit vor ihrer Zeit zu Grabe tragen, weil das Ordnungsamt es nicht für nötig hielt, die Radwege der Karl-Liebknecht-Straße ihrer eigentlichen Bestimmung nutzbar zu machen?“

Man kontrolliere entlang der KarLi und an anderen Orten der Stadt mindestens einmal täglich, so der Ordnungsdezernent. Dafür habe man „69 Kolleginnen im Schichtdienst, an Wochentagen von 7 bis 22 Uhr und an Sonnabenden 9 bis 17:30 Uhr.“ Ab und zu kämen noch kurzzeitige Schwerpunktkontrollen unter Einbeziehung der Bereitschaftspolizei hinzu.

So hätte man 2017 insgesamt 1.533 Fallerfassungen bei 30 Abschleppungen im Leipziger Süden gehabt, 2.482 seien es 2018 bei nur noch 19 Abschleppvorgängen gewesen. Bis 9. April 2019 seien 874 in diesem Jahr hinzugekommen, ganze sechs Mal fand man, die Gefahrenlage durch Abschleppen beseitigen zu müssen.

Was Kumbernuß zur Frage trieb, wieso man im Süden nochmals um die Hälfte weniger abschleppte als schon bei den vergleichsweise wenigen Fällen in ganz Leipzig. Erneut griff Rosenthal zum Trick mit der Auslegungsfrage der Mitarbeiter vor Ort, was Stadträtin Ute-Elisabeth Gabelmann (Piraten) zu einer lakonischen Feststellung brachte. Nun wisse man ja wenigstens, dass man sich in Leipzig an Samstagen ab 17:30 Uhr überall hinstellen könnte, wo man eben wollte, da die Mitarbeiter dann ja Dienstschluss hätten.

Übrig blieb der Eindruck eines Ordnungsbürgermeisters, den man erneut zum Jagen tragen muss, wenn es um die Sicherheit der Radfahrenden in Leipzig geht. Denn am gleichen Tag beschloss die Ratsversammlung, dass sich nunmehr auch OB Burkhard Jung um die Fragen kümmern und regelmäßig Bericht erstatten muss. Die Anzahl der beseitigten Gefahrenstellen auf Radwegen und in absoluten Halteverboten dürfte demnächst steigen, das Entgelt fürs Falschparken auch. Statt der üblichen 30 Euro zahlt man an den Sammelstellen 200 bis 300 Euro. In bar gegen die Herausgabe des Pkw.

Hilfe naht von junger Seite

Während sich also demnächst öfter Autofahrer ohne Pkw von der Inneren Jahnallee und anderen Orten zu Fuß oder per Bahn fortbewegen dürften, haben die Jugendparlamentarier die Ratsdebatte ebenfalls aufmerksam verfolgt. Und einen Antrag in den Stadtrat eingebracht, welcher die Umwidmung der KarLi in eine Fahrradstraße fordert.

„Dabei geht es nicht darum, den MIV von der Straße zu verbannen (daher ggf. mit Zusatzzeichen), sondern vielmehr dem Radverkehr Vorrang zu gewähren, das Überholen zu ermöglichen und dadurch den Verkehr für Radfahrer*innen sicherer zu machen“, so die jungen Menschen. Und weiter verlangen sie: „Die Stadtverwaltung prüft bis zum IV. Quartal 2019, ob die Karl-Liebknecht-Straße sowie der Peterssteinweg im Abschnitt zwischen Dimitroffstraße und Emilienstraße als Fahrradstraße, ggf. auch mit Zusatzzeichen ‚PKW frei‘, ausgewiesen werden kann. Dabei wird auch berücksichtigt, ob ggf. einzelne Teilstrecken davon entsprechend ausgewiesen werden können.“

So oder so. Gemütlicher wird’s für die privaten Pkw-Nutzer im wachsenden Leipzig nicht mehr. Dafür plant die Stadt jedoch einen deutlichen Ausbau des ÖPNV und längst haben sich verschiedene Carsharing-Firmen in Leipzig angesiedelt. Zeit, über das „zweite Wohnzimmer“ noch einmal gründlich nachzudenken, denn auf Bundesebene rollt nun auch noch eine CO2-Steuer für Pkw-Nutzer heran.

Die beiden Debatten zur KarLi und zum Abschleppen am 17. April im Stadtrat Leipzig

Quelle: Livestream der Stadt Leipzig

Weitere Artikel und Videos zu den Debatten im Stadtrat finden Sie auf l-iz.de unter https://www.l-iz.de/tag/stadtrat

Leipziger Zeitung: Wo ein Wille ist … zwei Wahlen stehen vor der Tür

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