Der eigentliche Schlag kam gestern schon mit zwei Meldungen von den Gewerkschaften Ver.di und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Sie verkündeten am Donnerstag, dass Leipzig auch heute im ÖPNV und der Kinderbetreuung lahmliegen wird. Und dass es am Montag, dem 27. März 2023, nahtlos weitergeht, wenn auch bei der Deutschen Bahn nicht mehr viel fahren dürfte. Damit erhöhen die Gewerkschaften im Namen von rund 2,5 Millionen Angestellten den Druck auf die Arbeitgeber erheblich.

Am Montag, 27. März 2023 beginnt sie, die 3. Verhandlungsrunde zwischen kommunalen Arbeitgebern, Teilen des Bundes und der Gewerkschaft Ver.di über die Ausgestaltung eines neuen Flächentarifes für Millionen Angestellte in Kitas, Horten, bei den ÖPNV-Unternehmen und in den Verwaltungen der Städte – mit Auswirkungen auf weitere Berufsgruppen, kommt es zu einer Einigung. Denn im Anschluss sollen die Ergebnisse „zeit- und wirkungsgleich auf Beamte, Richter, Soldaten und Pensionäre des Bundes übertragen werden“, so Ver.di.

Noch steht man sich angesichts der Inflationsentwicklung und der Nachholeffekte auf die Löhne und den Leistungen, die die Angestellten in der Corona-Zeit vollbracht haben, weitgehend unversöhnlich gegenüber: die Gewerkschaften kämpfen, wie stets, auch um ihre Daseinsberechtigung, vor allem im nur wenig organisierten Osten, und dabei um 10,5 Prozent mehr Lohn oder mindestens 500 Euro mehr über alle Gehaltsklassen hinweg bei zwölf Monaten Laufzeit.

Was relativ kurz ist und bedeuten würde, dass es in einem Jahr wieder zu Streiks und Arbeitskämpfen kommen kann. Gleichzeitig versucht sich Ver.di so auch den Rücken freizuhalten, wenn die Inflation weiter Auftrieb erhält.

Die Arbeitgeber, letztlich die deutsche Bevölkerung über ihre Kommunen und Bundeseinrichtungen, warnen vor Milliardenkosten angesichts dieser Forderungen und bieten derzeit 5 Prozent mehr Lohn auf 27 Monate, also zwei Jahre und drei Monate gültig. Die eigentliche Zerreißprobe steht also ab Montag bevor, wenn sich die Verhandler ab dann bis zum 29. März zu dritten und wahrscheinlich vorerst letzten Gesprächen treffen werden.

Bei einer Nichteinigung ist Ver.di bereit, nach einer Urabstimmung unter den Mitgliedern, im gesamten öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen in den unbefristeten Ausstand zu gehen. Dann könnten die Auswirkungen der vergangenen Warnstreiks, wie die nicht fahrenden Bahnen in Leipzig seit gestern und Notbetreuungen in den Horten und Kitas, nur der Auftakt für eine echte Eskalation sein. Angeschlossen an die Erzieher/-innen, Bahnfahrer/-innen und Verwaltungsangestellten sind auch Mitarbeiter/-innen der Stadtreinigung.

Und ab Sonntagnacht legt die EVG die Deutsche Bahn und den Nahverkehr beim ersten Warnstreik lahm, auch die Flughäfen werden bestreikt, während durch einen ersten Ausstand von Mitarbeiter/-innen der Autobahngesellschaft verkehrlich überwachte Tunnel auf deutschen Autobahnen nicht passierbar sein werden.

Bei der EVG heißt es zum Bahnstreik: „Der Warnstreik beginnt in der Nacht vom 26. auf den 27. März 2023 ab 0:00 Uhr. Je nach Schicht werden sich dem befristeten Arbeitskampf weitere Beschäftigte anschließen, sodass die Auswirkungen der Arbeitsniederlegung den ganzen Tag über andauern werden“.

Während die Deutsche Bahn bereits mitteilte, dass am Montag der gesamte Fernverkehr lahmliegen wird, sind auch die Nahverkehre der Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Bayern betroffen. Zu bereits gekauften Fernreisetickets heißt es bei der Deutschen Bahn, alle bis zum 23. März gekauften Tickets für den Streikzeitraum könnten bis 4. April flexibel genutzt werden.

Leipzig am Freitag, 24. März 2023

Die LVB informiert bereits über die Auswirkungen am Montag, 27.03.2023. Screen: LVB
Die LVB informiert bereits über die Auswirkungen am Montag, 27.03.2023. Screen: LVB

Der Augustusplatz füllt sich ab 9 Uhr schnell. Die Menge ist dieses Mal beeindruckender als noch bei den ersten Warnstreik-Demos auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz und kampfbereiter. Wie schon bei den letzten Demonstrationen im Februar und März 2023, steht die Hauptforderung nach mehr Lohn im Zentrum der Berichte über Arbeitsbedingungen und Personalmangel. Denn auch das bildet einen der Hintergründe der Streikbereitschaft: Mit den hinter der Inflation zurückbleibenden Löhnen interessieren sich auch weniger für die Berufsbilder Erzieher/-in oder Straßenbahnlenker/-in.

Eine unter vielen Geschichten fällt auf: Eine Leipziger Erzieherin für die ganz Kleinen beklagt, dass sie allein mit acht Kindern nicht mal zum Windelwechseln ins Bad kann, ohne dass die Kollegin vom Nebenzimmer durch die offene Tür auf die anderen Babys aufpasst. Hier wird also der Personalmangel in der Kleinkindbetreuung zum Risiko.

Die Stimmung ist dennoch gut auf dem Augustusplatz, man ist sicher, dass Verhandlungsrunde Nummer drei Klarheit schaffen wird: Entweder für einen klaren Lohnzuwachs oder einen Streik, wie ihn Deutschland wohl in der Breite und Auswirkung noch nie erlebt hat.

Dann wäre der Warnstreik am Montag kommender Woche nur der erste mit diesem Superlativ und könnte von der Reaktion auf eine Erfolglosigkeit von Montag an noch übertroffen werden.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar