Die „Social Center“-Aktivisten machen Ernst: Einen Monat nach dem Start einer Kampagne, die ein selbstverwaltetes Zentrum für Geflüchtete und andere benachteiligte Personengruppen fordert, haben etwa 60 Unterstützer am späten Mittwochabend einen Teil der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät in der Karl-Heine-Straße besetzt.

Wer den Twitter-Account der Kampagne „Social Center for all“ aufmerksam verfolgt, konnte bereits gegen 20 Uhr erahnen, dass der heutige Workshop in den Räumlichkeiten der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig mit Überlänge läuft. So wurde in einer Nachricht verkündet, dass man auch noch in der Nacht vorbeikommen könne. Eine Stunde später wurde es dann offiziell: Seit 21 Uhr halten etwa 60 Aktivisten mehrere Räume des Gebäudekomplexes in der Karl-Heine-Straße besetzt (hier die Erklärung dazu auf L-IZ.de).

Zum Start des Workshops um 18 Uhr hatten sich etwa 40 Personen in jenem Teil des Komplexes versammelt, in dem bis vor einigen Monaten die Bibliothek untergebracht war. Der Entschluss, die Räume zu besetzen, war zu diesem Zeitpunkt bereits gefasst. Nun sollten die Details geklärt werden: Wer kümmert sich um das Essen? Wann geht man mit der Nachricht an die Öffentlichkeit? Wer malt die Transparente? Und was ist zu tun, wenn die Polizei kommt? Die Diskussion fand zunächst in einer großen, später in kleineren Gruppen und überwiegend auf Englisch statt. Wurde Deutsch gesprochen, übersetzten Personen simultan ins Englische und Arabische.

Der Flyer der Initiative, welcher am 16.12.2015 im Stadtrat herumlag. Scan L-IZ
Der Flyer der Initiative, welcher am 16.12.2015 im Stadtrat herumlag. Scan L-IZ

Noch am Nachmittag hatten mehrere an der Kampagne Beteiligte im Rathaus für ihre Sache geworben, stießen bei den Stadträten jedoch nur auf geringe Resonanz. Ein Anfang der Woche veröffentlichter Offener Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) werde laut dessen Aussage gerade bearbeitet, berichtete eine der Anwesenden.

Mit dem „Social Center“ möchten verschiedene Aktivisten und linke Gruppen einen selbstverwalteten Ort schaffen, an dem Menschen in verschiedenen prekären Lebenslagen zusammenkommen und sich organisieren können. Häufig genannt werden dabei beispielsweise Geflüchtete und Erwerbslose. Mitte November hatte die Kampagne einen Aufruf formuliert, in dem die Stadt dazu aufgefordert wurde, ein Haus zur Verfügung zu stellen – anderenfalls wolle man sich eins nehmen. Diese scheinen die Aktivisten nun in die Tat umgesetzt zu haben.

„Viele Menschen werden derzeit in Zelten am Stadtrand untergebracht. Die Erziehungswissenschaftliche Fakultät zeigt, dass es genügend leer stehende Gebäude in Leipzig gibt“, erklärte ein Sprecher der Kampagne. Die Besetzung sei zeitlich unbefristet. Ein Mitarbeiter der Security-Firma hätte bereits angekündigt, die Polizei zu rufen. Wie damit umzugehen ist, werde derzeit im Plenum beraten. Zusätzlich laufen Planungen für eine Demonstration am Donnerstagnachmittag oder -abend.

Update (10.45 Uhr): Am späten Abend rückte die Polizei mit mehreren Einsatzfahrzeugen an. Als kurz vor Mitternacht klar wurde, dass die Universität die Besetzung zunächst für eine Nacht dulden wird, verließen die Beamten das Gelände wieder. Zuvor hatten sie eigenen Angaben zufolge die Personalien einiger Personen aufgenommen, die sich als Ansprechpartner zur Verfügung gestellt hätten.

Laut Universitätspressesprecher Carsten Heckmann befinden sich die Mitglieder des Rektorats aktuell in Gesprächen, wie weiter zu verfahren ist. Die Uni, die das Gelände von der Stadt gemietet hat, verfügt über das Hausrecht. Mitarbeiter würden sich derzeit ein Bild vor Ort machen. Ob auch Rektorin Schücking oder ein anderes Rektoratsmitglied den Besetzern einen Besuch abstatten wird, ließ Heckmann offen.

Einer Sprecherin der „Social Center“-Kampagne zufolge hätten 30 Personen die Nacht vor Ort verbracht. Ein Raum sei in Absprache mit Universitätsmitarbeitern mittlerweile verschlossen worden, da sich darin Technik befindet. Im Moment sitzen die Besetzer in mehreren Gruppen zusammen und bereiten sich unter anderem auf ein Gespräch mit dem Dekanat der Fakultät vor. Gleichzeitig laufen auch die Planungen für eine Demonstration, die – sofern sie stattfinden wird – um 18 Uhr beginnen soll.

Update (14.08 Uhr): Die Universität Leipzig ließ soeben per Pressemitteilung verlauten, dass die Besetzung „bis auf Weiteres“ geduldet werde. Zuvor habe es zwischen dem Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät und den Aktivisten ein „ausführliches Gespräch“ gegeben. Mittlerweile steht zudem fest, dass um 18 Uhr eine Demonstration vor dem besetzten Gebäude beginnen soll.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

René Loch über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Sehr schöner Artikel, ich drück alle Daumen. Bewundernswert, wie sich manche Menschen für Schwächere einsetzen, einfach so, weil es wichtig ist. Ohne Bedingung und ohne Angst vor der Aufgabe. Meinen Respekt haben diese Menschen.

Schreiben Sie einen Kommentar