Das war dann am Mittwoch, 23. Juni, kurz nach 20 Uhr die wohl knappeste Entscheidung, die der Leipziger Stadtrat in letzter Zeit gefällt hat. Mit einer Stimme Mehrheit wurde die Vorlage „Annahme Kaufangebot für eine vierzügige Grundschule mit Zweifeldsporthalle mit der Rubin 72. GmbH“ abgelehnt. Vorhergegangen waren anderthalb Stunden heftige Diskussion, in der es auch sehr persönlich wurde.

Teilweise auch ideologisch, denn das deutete ja Finanzbürgermeister Torsten Bonew in seiner einleitenden Rede zu dieser Vorlage schon an: Hier ging es um das allerwichtigste Thema, das in einer Gesellschaft wie der unseren darüber entscheidet, wer Macht hat und wer nicht: nämlich die Eigentumsfrage an Grund und Boden.Und Bonew wurde auf seine Weise sogar so deutlich, wie man es von ihm so noch nicht gehört hatte: Er ließ seinen Unmut darüber spüren, dass ein Staatskonzern wie die Deutsche Bahn, als er vor Jahren überall in Deutschland seine nicht mehr benötigten Grundstücke verkaufte, nicht den Kommunen den Zugriff ermöglichte, sondern wertvolle Filetstücke privaten Investoren veräußerte.

In Leipzig gleich mehrfach passiert – etwa am Eutritzscher Freiladebahnhof (wo die Stadt ja auch noch Schulen bauen muss) genauso wie am Bayerischen Bahnhof. So gelangte auch das wichtige Grundstück an der Kurt-Eisner-Straße an die Stadtbau AG, mit deren Tochterfirma Rubin 72 GmbH jetzt dieses Vertragspaket geschlossen werden sollte.

Ein Paket, in dem nicht nur der Kauf der Schule für 25 Millionen Euro steckt, die die Rubin 72 an der Kurt-Eisner-Straße selbst bauen soll, sondern auch ein Mietvertrag über die ersten drei Jahre (Umfang: 4,7 Millionen Euro) für die gleiche Schule, der einen zuvor viel längeren Mietvertrag ersetzte. Obenauf dann noch ein Tausch von vier Grundstücken, darunter Lagen wie an der Käthe-Kollwitz-Straße, der Reichsstraße 20 (mit dem Restaurant „Leos Brasserie“ darauf) und der Antonienstraße.

Der Tausch erregte dann in der Diskussion besonders die Gemüter, denn um das Grundstück, auf dem die Schule stehen soll, zu bekommen, bekam die Stadt von der Stadtbau AG kein Kaufangebot, sondern nur ein Tauschangebot: vier werthaltige Grundstücke in der Stadt im Wert von 5,2 Millionen Euro gegen das Schulgrundstück.

Da der Rat selbst aus guten Gründen beschlossen hat, keine städtischen Grundstücke mehr zu veräußern, wurde hier also ein Tauschhandel konzipiert, an dessen Ende dennoch vier Grundstücke den Eigentümer gewechselt hätten.

Man merkte schon, dass hier ein Investor durchaus wusste, in welchen Nöten die Stadt steckt, die im Leipziger Süden unbedingt eine weitere Grundschule braucht. Und zwar ziemlich schnell. Da sitzt dann der, der das Grundstück hat, am längeren Hebel, auch wenn die erste Vertragsversion schon in den Ausschüssen des Stadtrates scheiterte.

Was dann Finanzbürgermeister Torsten Bonew dazu zwang, noch einmal mit Rubin 72 in Verhandlung zu gehen und den jetzt vorliegenden Vertrag auszuhandeln, den Linksfraktion und Grünen-Fraktion noch vor der Ratsversammlung wiederum ablehnten.

Vonseiten der Linken auch mit dem Verweis auf die auffälligen Wechselspiele der Stadtbau AG mit der Stadt Leipzig. Linke-Stadtrat Matthias Weber nannte explizit die Vorgänge auf dem Jahrtausendfeld (wo die Stadt seit über 10 Jahren Schulen bauen möchte), an der Rolf-Axen-Straße und am Stadtarchiv. Ein Thema, das natürlich nicht ausdiskutiert wurde und auch OBM Burkhard Jung zu einigen sehr emotionalen Äußerungen brachte.

Da las ihm nicht nur Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft die Leviten.

Warum ausgerechnet die Linken so vehement gegen die Vorlage sprachen, machte Franziska Riekewald, ihre stellvertretende Fraktionsvorsitzende, deutlich: „Wir alle wissen, für wie viel Geld die Stadtbau AG das Grundstück damals von der Deutschen Bahn erworben hat. Es jetzt zu einem 20-fachen des damaligen Marktwertes zu vertauschen, mag aus Sicht des Investors ein lukratives Geschäft sein, aus unserer Sicht ist es Abzocke.“

Und besonders ärgerlich empfand gerade Katharina Krefft jetzt den Druck, mit dem die Vorlage durch den Stadtrat gebracht werden sollte. Denn vertraglich fertig war das Ganze schon vor einem Jahr. In die Ausschüsse kam es aber erst vor acht Wochen und die tagten nicht nur einzeln, sondern auch zusammen.

Druck und mangelhafte Unterlagen

Immerhin geht es um dringend benötigten Schulhausbau, aber auch um eine Menge Geld und städtische Grundstücke, die auf ihre Weise wertvoll sind. Und um vertragliche Details, die sich gerade die Finanzsprecher der Fraktionen besonders genau anschauen wollten.

Steffen Wehmann, der Finanzexperte der Linken, stellte entsprechend lakonisch fest: „Es lagen bis zur Abstimmung noch immer nicht alle Dokumente auf dem Tisch, somit ist die Datenlage zur Beschlussfassung mehr als dünn. Auf dieser Grundlage lässt sich solch eine weitreichende Entscheidung mit allen Folgen nicht treffen.“

Und Katharina Krefft stellte auch die vom Finanzdezernat vorgelegte Vergleichstabelle gründlich infrage, in der die Kosten für den vorgelegten Vertrag verglichen wurden mit den Kosten, die der Stadt entstehen, wenn sie die Schule jetzt nicht gebaut bekommt. Immerhin standen da den runden 30 Millionen Euro für den Rubin 72-Vertrag satte 76 Millionen Euro gegenüber.

Von denen aber, so Krefft, etliche Millionen sowieso anfallen, weil das bereits geplante Schulbauprojekte der Stadt sind.

Und auf der linken Seite der Berechnungen des Deals fehlten dann noch die über 5 Millionen Euro für den Tauschwert der städtischen Grundstücke. Ganz so, als ob diese irgendwie gar keinen Wert hätten – vom strategischen Blickwinkel der Lagen mal ganz abgesehen.

Kein Wunder, dass etliche Redner/-innen an diesem Abend das Gefühl hatten, dass das Vertragspaket so nicht zustimmungsfähig ist.

Erpressbarkeiten und berechtigtes Misstrauen

Ob Stadt und Stadtbau AG mit ihrer Tochter-GmbH „Rubin 72“ freilich noch einmal nachsitzen und das Paket neu justieren, ist noch nicht klar. Fast die Hälfte der Stadträt/-innen jedenfalls neigte am Mittwochabend dazu, dem durchaus spürbaren Druck, diese Schule endlich zu bekommen, nachzugeben. Und da hätte man sich einige ideologische Streitereien, die die Diskussion so ausufern ließen, durchaus sparen können.

Hier ging es um genau das, was die Bodenfrage in Deutschland so zermürbend und frustrierend macht: Wie einstmals staatliche Grundstücke zum Pfand werden können, um eine Stadt in ihrer Invest-Not massiv unter Druck zu setzen. Denn dass Leipzig, nachdem das Liegenschaftsamt vor 20 Jahren massiv städtische Grundstücke verkauft hatte, um den Haushalt zu sanieren, jetzt mit dem Rücken zur Wand steht, merkte auch die SPD-Fraktion an, wo man sichtlich die Nöte selbst spürte.

Das sprach die Schulexpertin der SPD-Fraktion, Ute Köhler-Siegel, direkt an: Das Tauschmodell fand sie eindeutig nicht zielführend und war auch schon kurz davor, dem OBM als echauffierte Lehrerin gründlich den Kopf zu waschen.

Normalerweise wäre nach der Diskussion eine Zurückverweisung in die Gremien angesagt gewesen, da mehr als offensichtlich war, dass auch der nachverhandelte Vertrag noch nicht wirklich fair ist. Dazu warf Andreas Geisler (SPD) noch weitere Fragen auf, deren Antworten fehlten. Speziell beim Objekt Reichsstraße 20 merkte er an, dass man hier auch einfach ohne weitere Klärung mit „Leos Brasserie“ die Zukunft eines Leipziger Gastronomen in das große Monopoly der Grundstückstauscherei involvieren würde.

Schlimmer noch die Unklarheiten, die das alles bei den Leipziger Wasserwerken ausgelöst hätte – immerhin sei sogar der Bau des inneren Rings der Trinkwasserversorgung vom Deal betroffen.

Dass dann noch Sven Morlock für die Freibeuter eine höhere Vertragsstrafe bei Nichteinhaltungen des offenkundig nicht sauber ausverhandelten Vertrages auf wenigstens 500.000 statt 250.000 Euro forderte, zeigte zudem, dass das Vertrauen in die Stadtbau AG selbst bei eingefleischten Liberalen in den letzten Jahren gelitten haben könnte. Und man verstanden hat, wie lukrativ die ganzen Grundstückskäufe und -verkäufe längst sind, sodass Vertragsstrafen durchaus auch mal irgendwo anders verrechnet werden.

Bis heute dauert schließlich auch das Gezerre um die Bebauungen am Bayerischen Bahnhof an, wo die Stadtbau die letzten Jahre nutzte, um erst einmal Teilstücke an andere Immobilienfirmen weiterzuveräußern.

Die Abstimmungen

Aber in der Abstimmung wurden dann nicht nur die Änderungsanträge von Linken und SPD abgelehnt, sondern auch die Verwaltungsvorlage selbst – diese dann freilich nur knapp mit 33 zu 32 Stimmen, wobei es vor allem Linke und Grüne waren, die hier geschlossen dagegen stimmten. Auf der Tafel sah es vorher scheinbar mit 32 Ja- zu 31 Nein-Stimmen noch andersherum aus.

Aber die Abstimmungsanlage hatte da bei zwei Stadträten schon während der ganzen Sitzung zuvor bei Linken und Grünen ihre Aussetzer.

Genauso, wie diesmal der Livestream aus dem Stadtrat mehrere Aussetzer und Übertragungsprobleme hatte, weil die Stadt sich seit Mittwoch mal selbst als Rundfunkanbieter versucht.

Die Debatte vom 23. Juni 2021 im Stadtrat

Quelle: Livestream der Stadt Leipzig

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Es gibt 3 Kommentare

@markus.
Ich denke schon, dass dies den Beteiligten bewusst war und ist. Das sieht man auch am Ergebnis der Entscheidung.
Die unvollständigen und miserabel vorgelegten Unterlagen sind mit ein Grund, warum offensichtlich so entschieden wurde. Abgesehen vom veralteten Modell.
Schule ist wichtig, klar; aber man kann sich als Stadt (-rat) auch nicht einfach erpressen lassen mit unbefriedigenden Gegenwerten.
Geld kann man irgendwie wieder beschaffen, bei Grundstücken sieht es wesentlich schlechter aus.

Das Leipziger CDU-Blatt hetzt heute bereits online gegen Grüne und Linke, sie hätten einen Schulbau verhindert und täten dies vielleicht auch beim nächsten Projekt am Bahnhof.
Von dazugehörigen Fakten in dem Artikel fehlt fast jede Spur.

Damit löst man das Dilemma auch nicht.
Oder man will einfach nur stänkern.

Vielleicht sollten sich alle Beteiligten nochmal vor Auge führen, was hier gebaut werden soll: eine Schule.
Die Leidtragenden sind mal wieder die Kinder. Gerade die Schüler haben in der Pandemie am meisten mit gelitten. Sonst ist und doch auch nicht zu teuer, siehe Energiewende…

Ehrlich gesagt wäre ich nicht sicher, wie ich mich entscheiden würde:
Mehrere gute Grundstücke mit allerdings problematischen Fallsituationen gegen ein Grundstück für die Daseinsfürsorge; ausgehandelt mit einem rein kapitalistisch agierenden Immobilienhai.
So dilettantisch, wie die Unterlagen aber wohl aussahen, hätte ich eher verneint.

Die bescheidene Situation jetzt der Bahn in die Schuhe zu schieben, finde ich allerdings auch frech.
Hier wird abgelenkt vom skandalösen Versagen der Stadt, in dem Grundstücke ohne Ende verkauft wurden. Das fällt dem jetzigen Stadtrat natürlich richtig übel auf die Füße.
War die Stadt aktiv und fragte bei der Bahn nach?

Wie setzen sich eigentlich die angeblichen 76Mio Euro Alternativlösung zusammen?

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