„Zeit! Zeit!“, ist auch so ein beliebter Ausruf von Oberbürgermeister Burkhard Jung, wenn in der Leipziger Ratsversammlung zu viel geschwafelt, debattiert, diskutiert wird. Das war am 9. Februar besonders eklatant. Es erzählt aber auch davon, wie schwer es vielen Menschen fällt, auf den Punkt zu kommen. Auch wenn die Öffnung des Liviaplatzes im Waldstraßenviertel sicher ein Thema ist, über das man viel diskutieren kann.

Und das wird auch noch kommen, das ist sicher. Denn seit 2017 kämpft der Stadtbezirksbeirat Mitte um dieses Projekt. Am 9. Februar ging auch noch Martin Biederstedt, Grünen-Stadtrat und 2015-2019 Mitglied des Stadtbezirksbeirats, ans Mikrofon, um für die Rettung seines Projektes zu kämpfen. Seines Babys, wie er es nannte.

Doch seit Ende 2022 wird diskutiert und gibt es auch die Petition zur Öffnung des Platzes, über die wir hier schon mehrfach berichtet haben.

Die Kollision von Baustelle und Pilotprojekt

Biederstedt deutete auch an, warum hier zwei Projekte kollidierten, die eigentlich nicht kollidieren sollten. Denn drei Jahre lang musste der Stadtbezirksbeirat Mitte kämpfen, bis im Stadtrat dann endlich die Umsetzung des Pilotprojekts Liviaplatz beschlossen wurde. Was ja noch nicht Start des dreijährigen Pilotzeitraums war. Denn vor dem Start gab es noch eine intensive Bürgerbeteiligung.

Wenn in der Stadtratssitzung behauptet wurde, die hätte es nicht gegeben, war das schlichtweg falsch.

Auch wenn – wie richtig festgestellt wurde – nun auch andere Bewohner des Waldstraßenviertels durch die Diskussion überhaupt erst einmal auf das Pilotprojekt aufmerksam wurden. Und zwar im positiven Sinn.

Da kann man natürlich fragen: Braucht es dazu erst eine große mediale Diskussion, damit diese Aufmerksamkeit entsteht? Hat die Stadt da was falsch gemacht?

Was bekommen wir eigentlich noch mit?

Die Antwort wäre wohl diffizil. Denn mit der Zerstörung der klassischen Medienstrukturen in Deutschland und dem Abdriften von immer mehr Menschen in die Welt der „social media“ bekommen sie natürlich immer weniger mit von dem, was um sie herum geschieht. Auch dann, wenn eine Stadt wie Leipzig auf allen Kanälen „twittert“.

Ein Thema am Rand. Aber es spielt hinein in die völlig ausgeuferte Debatte um den Liviaplatz. Denn augenscheinlich klingelten in allen Faktionen die Telefone. Bei der CDU, die einen eigenen Änderungsantrag zur Petition eingebracht hat, waren es vor allem die Geschäftsleute, denen die ganzen Umleitungen durch die Baustelle Waldstraße und den gesperrten Liviaplatz zu umständlich waren. Bei der Linksfraktion riefen dann eher die Anwohner an, die jetzt – nach der Petition – fürchteten, dass das Projekt Liviaplatz sang- und klanglos beendet wird.

Knappe Mehrheit für temporäre Projektunterbrechung

Auch wenn die Ratsversammlung dann am 9. Februar eben doch, wenn auch nur für den weniger weit gehenden Änderungsantrag der SPD-Fraktion stimmte, die lediglich für eine temporäre Unterbrechung des Pilotprojekts Liviaplatz warb: „Der Stadtrat beschließt die temporäre Öffnung des Pilotprojektes bis Ende der 2. Bauphase (voraussichtlich Juli 2023), also bis zur Errichtung der Feuerbachschleife und bis zur Möglichkeit der allseitigen Überquerung der Waldstraße. Das Modellprojekt wird anschließend bis zum Ende der Laufzeit fortgesetzt und ggf. um den Zeitraum der Öffnung verlängert.“

Denn das eigentliche Problem war ja nun einmal – wie FDP-Stadtrat Sven Morlok in seiner nüchternen Art auseinandersetzte – dass hier zwei Projekte zeitgleich passierten, die sich gegenseitig beeinflussen.

Als der Stadtrat 2020 das Pilotprojekt Liviaplatz beschloss, dachte niemand an das LVB-Bauprojekt Waldstraße. 2021 fand die Bürgerbeteiligung statt. Und erst vom 27. April bis zum 13. Mai 2022 wurde dann der Liviaplatz abgesperrt und umgestaltet. Von der geplanten dreijährigen Projektphase ist also noch nicht einmal ein Jahr vergangen. Und mitten hinein kam der Beginn der Umbauarbeiten in der Waldstraße, die zu erheblichen Umleitungen rund ums Waldstraßenviertel führen. Baubeginn in der Waldstraße war am 15. Oktober 2022.

Der AfD-Antrag zur Öffnung des Platzes, den diese extra gestellt hatte, als brauche es neben der Petition unbedingt noch einen Extra-Antrag, fiel übrigens deutlich durch, mit 11:47:4 Stimmen. Und auch der CDU-Antrag, für den Stadträtin Sabine Heymann besonders geworben hatte, errang mit 23:39 Stimmen keine Mehrheit.

Beschlossen wurde am 9. Februar der Änderungsantrag der SPD-Fraktion, für den Prof. Getu Abraham warb. Der auch betonte, dass die temporäre Unterbrechung des Pilotprojekts nicht dessen Ende bedeuten dürfe. Aber aus wissenschaftlicher Sicht wäre natürlich auch jede Evaluation des Pilotprojekts schlichtweg nicht belastbar unter den gegenwärtigen Bedingungen der benachbarten Großbaustelle in der Waldstraße. Es wäre also zielführender, das gesamte Pilotprojekt nach Beendigung der aktuellen Sperrungen an der Waldstraße weiterzuführen,

Und auch der SPD-Antrag fand nur eine knappe Mehrheit mit 33:29 Stimmen.

Unterbrechung bis zum Sommer

Denn insbesondere Linksfraktion und Grünen-Fraktionen sahen vor allem das Pilotprojekt gefährdet. Und sie sahen auch nicht die aufgezeigte Dramatik für den Verkehr. Vornehmlich der Stadtbezirksbeirat Mitte hatte dringend gebeten, das Projekt nicht abzubrechen. Und auch der Petitionsausschuss hat sich – wie Michael Schmidt (Grüne) als Ausschussmitglied erklärte – sowohl gegen die Petition als auch gegen den Verwaltungsstandpunkt ausgesprochen, der auch eine Öffnung für den Umleitungsbus ins Gespräch brachte.

Doch während Grüne und Linke auch gegen den SPD-Antrag stimmten, votierten die anderen Fraktionen dafür, sodass es jetzt für das Projekt Liviaplatz zu einer Unterbrechung mindestens bis Juli kommen wird.

Was Franziska Riekewald, Sprecherin für Mobilität der Linksfraktion, mit den Worten kommentierte: „Sinn des Modellprojekts war es, den Liviaplatz als Quartiersplatz zu testen. Über drei Jahre sollte der Platz, statt als illegaler Parkplatz, als Platz zum Lesen, Spielen und als Ort der Begegnung den Leipzigerinnen und Leipzigern zur Verfügung stehen.  Durch den heutigen Beschluss wird dieses Ziel nun nicht erreicht.

Die Linksfraktion bedauert dies sehr. Wir hoffen, dass spätestens im August der Platz wieder für den Durchgangsverkehr geschlossen wird. Die Anwohnerinnen und Anwohner des Waldstraßenviertels hatten für das Modellprojekt jahrelang gekämpft. Schade, dass die Mehrheit der Fraktionen im Leipziger Stadtrat diese Bemühungen mit Füßen treten.“

Offen ist jetzt die Frage, ob durch die Unterbrechung des Pilotprojekts auch die 55.000 Euro Fördermittel dafür verfallen bzw. zurückgezahlt werden müssen. Eine Frage, die Baubürgermeister Thomas Dienberg so am 9. Februar noch nicht beantworten konnte.

Und völlig offen ist auch, ob eine Evaluation des Projekts mit der Unterbrechung überhaupt möglich ist oder das Ganze im Sommer 2023 völlig neu gestartet werden muss. Denn das ist die andere Seite von Getu Abrahams Argumentation: Belastbare Erfahrungen kann man nur sammeln, wenn die Verkehrsberuhigung des Liviaplatzes im geplanten Projektzeitrahmen auch in einem Stück durchgeführt werden kann. Eine Frage, die dringend geklärt werden muss.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 2 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar