Es war ein Experiment, auf das sich der Lychatz Verlag da im vergangenen Jahr eingelassen hat: Er nahm ein echtes Jugendbuch ins Programm. Geschrieben von einer 14-jährigen Autorin, was nicht allzu oft passiert. Hätte ja auch schiefgehen können. Doch zur Leipziger Buchmesse liegt das Buch nun schon in der dritten Auflage vor, erzählt Verleger Sven Lychatz. Die junge Autorin hat ihre jungen Leser(innen) gefunden.

Tatsächlich erzählt sie aus einer Welt, die in vielen Mädchenbuchregalen gar nicht fehlen darf: der Welt der Pferde. Mädchen lieben Pferdegeschichten. Und sie können gar nicht genug davon bekommen. Warum das so ist, ist ein Rätsel. Genauso wie das Ding mit den Einhörnern und Elfen (ein Thema, zu dem William Shakespeare so einiges zu sagen hätte). Vielleicht ist das mit den Pferden einfach das Gegenstück zur Vernarrtheit der Jungen in PS-starke Automobile.

Jedenfalls ist auch das ein Buch über drei Mädchen – Amy, Annika und Adana – die fürs Leben gern reiten, Pferde faszinierend finden und zwei Ferienwochen auf dem Reiterhof verbringen dürfen. Was eigentlich eine grausame Mädchen-Geschichte werden kann, denn sofort, wenn sich Mädchen unterschiedlichen Alters in so einer Art Feriencamp treffen, gehen augenscheinlich die Kämpfe los, wird intrigiert, gelästert, werden heimtückische Streiche ausgeheckt. Um die geht es nur beiläufig. Aber man staunt schon, dass die drei Mädchen nicht gleich wieder abreisen.

Augenscheinlich sind Mädchen, was solche heimlichen Feindschaften betrifft, besonders resistent. Erst recht, wenn sie Gleichgesinnte finden, also in diesem Fall drei A’s. Was einen sicher an eine andere unter Mädchen beliebte Buchreihe erinnert, was aber auch zeigt, warum Dana Menzels Buch so viele Käufer(innen) findet: Sie ist selbst belesen. Und Deutschlehrer(innen) wissen, was das bedeutet: Die Aufsätze haben Stil, der Wortschatz ist verblüffend reich, die Grammatik ist sauber, Fremdworte stehen an der richtigen Stelle und sogar der Genitiv erscheint in edler Genauigkeit.

Lesen bildet.

Man kann es einfach nicht oft genug wiederholen. Und die erwähnten Lehrer(innen) wissen, was das für ihre Schützlinge bedeutet: Sie können kommunizieren. Sie können auch kompliziertere Sachverhalte als „Das ist Mama“ oder „Das ist Wauwau“ erklären. Sie haben was zu erzählen und wissen sogar, was sie tun.

Und wahrscheinlich schreiben sie auch alle heimlich Tagebuch oder Pferdegeschichten. Die werden nicht alle veröffentlicht, weil auch die aufmerksamsten Autorinnen irgendwann merken, dass es zwar leicht ist, einfach loszulegen mit dem Erzählen – aber ein ganzes Stück Arbeit, die ganzen Erzählstränge im Buch zu halten, die Personen nicht durcheinanderzubringen und vor allem, auch mal zur Pointe und zu einem logischen Schluss zu kommen. Und unterwegs nicht zu schummeln.

Was umso schwerer ist, wenn die Geschichte tatsächlich etwas komplexer angelegt ist als das, was man in den üblichen Mädchenzeitschriften liest. Denn der Ärger mit den (älteren) Mädchen ist ja nur Begleitmusik, die Welt des Reiterhofes nur die Landschaft. In anderen Pferdebüchern würde das schon völlig reichen, atemloseste Spannung aufrechtzuerhalten bis zum Schluss – zumindest für die begeisterten Reiterinnen, die in dieser Welt zu Hause sind. Aber schon die drei A’s deuten darauf hin: Die junge Autorin mag auch Rätsel und Kriminalgeschichten. Und sie liest Zeitung und hört dann und wann bei richtig schweren Erwachsenenthemen zu.

Denn dass sich die jungen Damen im Sattel der meist idyllisch geschilderten Pferdeabenteuer nun auch noch mit den Besitzverhältnissen auf so einem Reiterhof, den Sorgen der Besitzer um die Bewirtschaftung und die Zukunft des Betriebes beschäftigen, das ist wohl auch in diesem Genre eher selten. Aber es ist der rote Faden in dieser Geschichte, der mit einer rätselhaften Falltür beginnt und dann in mehrere mehr oder weniger durchwachte Nächte mündet, in denen Amy, Annika und Adana ganz und gar nicht brav in ihren Betten liegen.

Stattdessen legen sie sich mit finsteren Erwachsenen an, die nachts ihr Unwesen treiben im Pferdestall, böse Pläne aushecken und auch vor Erpressung nicht zurückschrecken. Und dabei kommen ein paar wertvolle Pferde abhanden. Die Zeitung berichtet darüber. Der Heimlichkeiten werden immer mehr, denn so recht trauen die drei Mädchen niemandem – auch nicht ihrer Reitlehrerin, die recht streng ist. Also ziehen sie auf eigene Faust los – und bekommen mit Josie auch noch herzhafte Unterstützung, auch wenn die Nächte mehr oder weniger jedes Mal in einer panischen Flucht enden. Mädchen sind zwar tollkühn und wagen sich bis ins Auge des Unheils – wenn die Bösewichte aber aufmerksam werden, dann wird geflitzt.

Es gibt also etliche Stellen im Buch, an denen beherzten Leserinnen das Herz in die Hose rutschen darf. Und an denen die Rätsel trotzdem bleiben. Denn wer da warum nächtens sein Unwesen treibt, das bekommen die Vier erst nach und nach und stückweise heraus. Und am Ende werden sie richtig tollkühn und sorgen in einer sehr übermütigen Aktion dafür, dass den Bösewichten das Handwerk gelegt wird.

Was dann freilich die Stelle ist, an der man als kritischer Junge ins Nachdenken kommt: In welcher Ecke unseres geliebten Landes spielt das eigentlich, dass die Polizei dermaßen schnell und auch noch gut ausgerüstet vor Ort ist und ein schlimmes Blutbad verhindert? Sachsen kann es nicht sein. Da würden die Mädchen wahrscheinlich eher stundenlang mit dem letzten verbliebenen Diensthabenden am Telefon darüber diskutieren, warum derzeit kein Einsatzwagen zur Verfügung steht und ein Sondereinsatzkommando sowieso nicht.

Sollte man nicht lieber noch ein kleines Warnschild aufs Buch kleben? „Liebe Mädchen, bitte nehmt euch die drei A’s nicht als Vorbild! So schnell ist die Polizei nur in spannenden Pferdegeschichten vor Ort. In der Wirklichkeit kommt sie meist erst am nächsten Tag mal vorbei, um sich über die nächtliche Ruhestörung zu beschweren.“

Die Vorstellung passt leider oft nicht mit der Wirklichkeit überein. Pferdediebe sind viel schneller an der Grenze, als auch nur ein Aufnahmeprotokoll in der Polizeidienststelle geschrieben ist.

Aber man merkt: Mädchen erleben gern Abenteuer, malen sich spannende Rettungsaktionen aus, sind auch gern die Heldinnen, die merken, wenn es in der Welt ungerecht zugeht, und dann losreiten und kühne Taten vollbringen. Was ermutigt, denn das ist doch etwas anderes als die rosa Elfenwelt, die Mädchen eher zu blauäugigen Prinzessinnen macht (im doppelten und dreifachen Sinn). Amy, Annika und Adana fragen gar nicht erst danach, ob sie für eine gute Tat ein Risiko eingehen dürfen – sie tun es einfach. Erst am Ende, als sie alle im Krankenhaus liegen, machen sie sich ernsthaft Gedanken darüber, wie ihre Eltern auf die Geschichte reagieren können.

Aber selbst das zeigt: Die Autorin hat ihre Geschichte aus mehreren Fäden geknüpft. Einer davon ist dieses früh antrainierte Mit-Denken: „Was würde jetzt Mama und Papa dazu sagen?“ Das kennen selbst Erwachsene. Das ist fest eingebaut. Und hindert uns oft genug daran, eine Menge Dinge zu tun. Es ist also auch eine Geschichte im Raum zwischen Noch-Kind-Sein und Sich-Loslösen. Also jenem Raum, den auch die eifrigen Leserinnen von Pferdegeschichten nur zu gut kennen. Was dann vielleicht erklären könnte, warum Pferde dabei so eine große Rolle spielen, diese scheuen Geschöpfe, mit denen man am besten zurechtkommt, wenn man ihr Vertrauen gewonnen hat und respektvoll mit ihnen umgeht.

Es geht also auch ein bisschen um Freiheit und Verantwortung in einer Welt, in der nicht alles Sonne und Romantik ist, sondern auch der (kriminelle) Eigennutz blüht. Meistens sogar genau da, wo scheinbar alles in bester Ordnung ist.

Dana Menzel Diebe im Dunkeln, Lychatz Verlag, Leipzig 2017, 9,95 Euro.

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