Nun ja, dieses Buch zu lesen hat ein bisschen länger gedauert. Das liegt am Stoff. Einem Stoff, der sich auf dem deutschen Buchmarkt gut verkauft, denn das Bedürfnis nach Lebens-Ermutigungs-Literatur ist groß. Wohl auch und gerade bei Frauen. Was lesen eigentlich Männer, wenn sie ermutigt werden wollen? Aber Männer lesen ja nicht. Das ist so un-männlich, nicht wahr? Und da das hier garantiert kein Mann liest, kann ich einfach loslegen.

Wie schon im ersten Roman von Franka Bloom, die mit Familie in Leipzig lebt und sonst eher Drehbücher schreibt, steckt ihre Heldin mitten im Leben. Und mitten im Schlamassel des Lebens. Jahrelang hat sie ein beschauliches Dasein als Hausfrau geführt, hat den Sohn großgezogen und wird eines Tages vom Insolvenzverwalter aus der Beschaulichkeit vertrieben – das Haus, das sie so sorgfältig eingerichtet hat, steht zum Verkauf.

Ihr Ehemann ist nicht nur auf Abwege geraten und treibt sich mit der jüngeren Nachbarin in der Weltgeschichte herum, er hat auch noch eine herrliche Insolvenz hingelegt und ihr gesamtes Geld verbraten. Und da Ulrike stets alles treu und brav unterschrieben hat, was ihr der clevere Clemens vorgelegt hat, haftet sie mit und darf nun feststellen, dass sie eigentlich mittellos ist, mannlos, hauslos.

Vaterlos seit ein paar Tagen auch. Sie war ja gerade zur Beerdigung in Meppelstedt, der kleinen Stadt mit S-Bahn-Anschluss, aus der sie gleich nach Abi und Studium aber schleunigst geflüchtet ist. Und das ausgerechnet in das Leben mit dem Mann, der sie jetzt hat sitzen lassen.

Sie sehen schon: Es ist echter Frauenromanstoff und einer wie ich muss sich erst wieder einlesen, denn was Frauen augenscheinlich beim Schreiben eminent wichtig ist, geht Männern nicht wirklich nah. Irgendwie scheinen Frauen und Männer doch völlig unterschiedlich zu denken. Aber gerade das macht solche Bücher erhellend – weil sie in dieser starken Fixierung auch kluger und schöner Frauen auf ihre Wirkung und ihr Akzeptiertwerden auch zeigen, wie leicht sich Frauen in klassischen Frauenrollen nasführen, gängeln und bevormunden lassen.

Wofür in gewisser Weise auch Rikes gerade verstorbener Vater Karl steht, der sie auf seine Weise wohl geliebt hat. Aber gerade die Beerdigung machte ihr klar, dass ihr da etwas fehlte – nämlich auch die wirklich ausgesprochene und gespürte Vaterliebe und Anerkennung. Und dann denkt sie an ihr Leben mit dem entfleuchten Clemens, und da scheint es ganz ähnlich gewesen zu sein … Und ihre Kindheit?

Als es sie nun zurückspült nach Meppelstedt, begegnet sie ja all den alten Selbst- und Fremdbildern von der „kleinen dicken Rike“, die irgendwie mitschwamm, aber nie eine Chance auf den Schwarm der Klasse (Benno) oder gar den der Schule hatte. Letzterer entpuppt sich am Ende auch als echter Langweiler. Aber man sieht ja den Schönen nie an, was sie wirklich draufhaben. Hormone kümmern sich wohl wirklich eher um den Duft und den Anblick, weniger um das, was Frauenzeitschriften so gern „Qualitäten“ nennen.

Aber da Rike ja nun wieder im Haus ihrer Mutter gestrandet ist und verzweifelt nach einem Job sucht für einen Neuanfang, läuft sie zwangsläufig den Menschen über den Weg, die auch in ihrer Jugend wichtig waren. Angefangen mit Benno, der als Musiker einst das Bild des jungen Wilden verkörperte. Von Rike nur fernhin angehimmelt. Sie hätte sich nie getraut, diesen Benno zu fragen.

Und wie ist das mit ihrer Freundin Mona, die sie so euphorisch begrüßt und ihr erst einmal klarmacht, dass Rike eine begabte Innenarchitektin ist? Das hat sie ja studiert, aber auch eher nur aus Trotz – auch weil ihr Zeichenlehrer ihr stets nur magere Noten gönnte. Was auf fruchtbaren Boden fiel bei diesem Mädchen, das nicht wusste, wie sie sich nun von irgendwem eine echte Anerkennung holen könnte?

Ich schätze mal: Es geht vielen so. Auch heute noch. Wir sind noch viel mehr eine Welt des bloßen und hohlen Scheins und der oberflächlichen Urteile, als das in den 1980ern war, als Rike ihre Jugend verlebte – nicht unglücklich. Sie war ja ein mehr oder weniger braves Mädchen. Aber das Gefühl, etwas Besonderes zu sein und um ihrer selbst willen wertgeschätzt, das hatte sie nie.

Was sie nun immer wieder verblüfft, weil gerade ihre alten Freunde sie mit einer Herzlichkeit begrüßen, die sie nicht erwartet hat. Augenscheinlich hat sie vieles von dem, was sie damals auslöste, gar nicht mitbekommen. Und wie ist das mit Schmiddi, dem Nachbarsjungen, der immer noch bei seinen Eltern wohnt?

Das vertraute Gefühl aus der Kindheit ist sofort da. Obwohl Rike eigentlich auf brüchigem Parkett agiert – denn dass sie gerade Mann, Haus und finanzielle Sicherheit verloren hat, wagt sie niemandem zu sagen. Sie spielt Verstecken. Und spätestens da kommt auch der Ostdeutsche in einem ins Grübeln: So würde man hier in dieser etwas ärmeren Gegend nie agieren. Im Gegenteil – die Verwandtschaft und die besten Freunde würden es als Erste erfahren, wenn ein Casanova wie Clemens davongelaufen ist und auch noch das Haus aufs Spiel gesetzt hat.

Es ist eine völlig andere Welt, in der solche Besitztümer auch gleich als Statusfassade und Ich-Bestärkung dienen. So wie in dieser schrecklichen Sparkassen-Werbung vor Jahren, die wohl die Besitzstands-Mentalität des so gern gepriesenen Mittelstandes so gut auf den Punkt gebracht hat. Man definiert sich nicht über wirkliches Können, Charakter, echte Arbeit und lebendige und offene Beziehungen zu Freunden und Mitmenschen, sondern über Dinge. Man hat. Und wer hat, ist etwas.

Und wenn eine nichts mehr hat, ist sie auf einmal nix mehr. Gibt es auch schon hierzulande. Und es kommt verdammt oft in diversen Fernseh-Serien vor. Aber es ist nicht die erlebte Realität. Höchstens eine, die manchen Leuten als Traum aufgeschwatzt wird. In gewisser Weise ist Rikes Rückkehr nach Meppelstedt auch eine Auflösung dieses falschen Traumes, den aber augenscheinlich viele Menschen heute leben, weil sie glauben, dass das eigentlich die Erfüllung der Träume ist.

Dass es das nicht war, weiß Rike nur zu gut. Denn der Schock war auch ein Erwachen – sie hat in einer Theaterwelt gelebt. Und die war in den letzten Jahren, wie sie feststellt, auch ziemlich leer und kalt. Wer immer nur auf die Fassade achtet, bekommt sichtlich nicht mehr mit, dass er sein Leben nicht mehr selbst gestaltet.

Und vor allem: Wie leicht das alles zerplatzen kann. Gerade wenn man sich auf selbstsüchtige Männer wie Clemens verlässt, später taucht ja noch so ein Typ auf. Echte Rammler vor dem Herrn, denen auch noch zugute kommt, dass allein die Fassade genügt und die Frauen lassen sich von ihnen nach Strich und Faden ausnutzen und verarschen.

Mit der ungewollten Rückkehr in Mamas Haus sind die Dramen für Rike freilich noch nicht ausgestanden. Es warten noch etliche Überraschungen auf sie, die ihr zeigen, wie sehr sie sich die ganze Zeit vom schönen Schein hat einlullen lassen. Und würde die Geschichte irgendwo um Leipzig handeln, würde es wohl eine zutiefst tragische Geschichte werden.

Aber sie handelt im Umfeld von Frankfurt. Und da hat man sichtlich immer noch ein Stück Geld auf der Kante. Es geht für Rike nicht ganz nach unten und sie muss auch nicht im Jobcenter vorsprechen. Stattdessen helfen ihr die Freunde, packt sie selbst mit an. Die Energie, sich nicht kleinkriegen zu lassen, die hat sie sich bewahrt. Und das hilft sogar ihren alten Freunden.

Sogar Schmiddi verwandelt sich vor ihren Augen – aus dem langweiligen Anwalt in beige wird ein Freund, der sie zusehends durcheinanderbringt. Und nicht nur Rike taut auf, auch ihre Mutter tut auf einmal Dinge, die sie sich mit Karl nie getraut hätte. Oder die sie einfach nicht zuließ, weil diese Ehe nun einmal eine bürgerliche, konservative war. Da bricht man nicht aus und schlägt auch nicht über die Stränge. Aber dann taucht dieser seltsam weltgewandte Herr Conti auf …

Man merkt schon: Das alles sind vertraute Lösungsmodelle aus dem Vorabendprogramm. Dort, wo Herz und Gefühle zuhause sind und die Zuschauerinnen schon allein deshalb anschalten, weil das Drehbuch zwar lauter Dramatik bringt, lauter Verwicklungen, Peinlichkeiten und Ich-habe-das-nicht-gewollt-Szenen, aber am Ende wird alles gut. Denn die starken Frauen in diesen Filmen packen an, packen die Chancen am Schlafittchen, die eher etwas scheuen Männer sowieso, krempeln alles um und sorgen dafür, dass am Ende nicht nur Hochzeit gefeiert wird, sondern auch ein neues Haus dasteht und eine neue Firma. So ungefähr. Superweiber eben.

Dass alles auf solche klassischen TV-Serien-Szenen hinausläuft, merkt die Autorin selbst, als sie alle die verwickelten Stränge und Beziehungen am Ende auflöst. Man hatte eh die ganze Zeit das Gefühl, dass sie aus der Perspektive der Kamera erzählt, dass sie die Szenen sogar so gestaltet, dass ein Drehbuchautor gleich die fertigen Szenen vor Augen hat. Noch Katja Riemann dazu in die Hauptrolle – und fertig ist der neue Film fürs Familienkino. Zur Ermutigung von Frauen, die mit Mitte 40 merken, dass ihr Leben überhaupt nicht so geworden ist, wie sie sich das erträumt haben – eben weil sie doch wieder den Herren der Schöpfung die Regie überließen. Aber die haben augenscheinlich ja nur eines im Sinn …

Natürlich ist es eine Ermutigungsgeschichte. Denn man versteht ja Ulrikes Hadern mit sich selbst, ihren Fehlern, ihrer Überbewertung all dessen, was ihr schiefgeht, und ihre lange Leitung, um zu merken, was für einen Aufruhr sie nach Meppelstedt gebracht hat. Und dass das bei ihren Mitmenschen überhaupt nicht schlecht ankommt.

Natürlich würde so eine Geschichte, würde sie im Leipziger Umland spielen, anders verlaufen. Vielleicht nicht, wenn sie der MDR abdrehen würde – der steht ja auf Villen, teure Autos und schicke Upperclass-Stars mit Besitzstands-Allüren. Aber bestimmt bei einem unabhängigen Filmer, der nicht bloß Sparkassenwerbung im Kopf hat, wenn er menschliche Geschichten erzählt.

So ist es doch wieder eine Traumgeschichte aus wohlbehüteten Verhältnissen. Der Abgrund droht nie wirklich. Rike muss nicht an der Supermarktkasse arbeiten oder bei Amazon Päckchen packen. Sie darf weiter davon träumen, ihren Lebenstraum als Innenarchitektin ausleben zu dürfen. Geld ist genug da. Und nur so ein kritischer Lästerer aus dem nicht ganz so reichen Ostens denkt die ganze Zeit, während sich Rike Gedanken über ihre frauliche Wirkung auf die Mitwelt macht, darüber nach, was einer Rike irgendwo im Umland von Leipzig passieren würde, wenn ihr so etwas zustieße … Es wäre eine andere Geschichte. Was nicht heißt, dass sie nicht ermutigend sein dürfte. Nur sehen Neuanfänge ohne Geld eben völlig anders aus als solche mit echtem Frankfurter Startkapital.

Nur diese Verunsicherung einer klugen Frau, die um ihre Anerkennung ringt, wäre ganz ähnlich. Und sie würde sich auch ganz ähnliche Fragen stellen über die seltsamen Bilder, die Männer von Frauen haben. Vielleicht ist es das, was mir fehlt: Weder Rike noch Mona schaffen es, ihren wildläufigen Ehemännern die Meinung zu geigen.

Und so bleiben die Schönlinge uns erhalten – ohne einen blassen Schimmer von Selbstkritik. Genau die Typen, die heute das Jammerlied über den bedrohten Mann singen und sich niemals dafür entschuldigen würden, dass sie Frauen nur ausgenutzt haben. Das ist sozusagen die beschmierte Toilettenwand hinter der hübschen Fassade.

Ist also alles paletti am Schluss?

Jedenfalls werden die Heldinnen und Helden in dieser Geschichte gleich paarweise glücklich. Und das halt deswegen, weil die Frauen die Sache und ihr eigenes Leben wieder in die Hand nehmen. Denn wir haben alle nur eins davon. Es ist zu schade, dafür schon mit Mitte 40 aufs Lebendigsein zu verzichten.

Franka Bloom Mitte 40, fertig, los, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 2018, 10,99 Euro.

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