In Leipzig wird Julia Morgenthaler in Kürze auch für eine kleine Lesung einfliegen. Aber bei Büchern ist ja das Schöne: Man kann sie auch einfach so lesen. Oder sich vorlesen lassen. Das Abenteuer entsteht im Kopf. Und das können auch kleine Kinder schon: sich vorstellen, wie das ist, wenn freundliche Tiere in die Rollen schlüpfen, die auch Menschenkinder ausfüllen können. Und auch ausfüllen, ganz bald schon, wenn sie ein bisschen größer sind.

Denn Leben lernen bedeutet auch, zu lernen, Dinge hinzubekommen, Abenteuer anzupacken, Freundschaften zu knüpfen und neugierig zu sein auf die Welt. Also ein richtiger tapferer Mensch zu werden, der sich nicht immer nur von anderen sagen lässt, was getan werden soll. Und der auch weiß, wie man sich echte Unterstützung holt. Und die holt man sich, indem man sich mit richtig duften Freunden umgibt. Aber wo findet man die? Davon erzählte das erste Buch „Friedolins Freunde“.Das auch ein Buch ist, das Mut dazu macht, sich auch nicht nur mit den üblichen Prahlhänsen und Hagestolzen anzufreunden, die immer nur bewundert werden wollen. Echte Freunde sehen oft gar nicht so aus wie der Prinz aus dem Fernsehen. Sondern eher wie die kleine abenteuerlustige Maus Pieps, die langsame, aber verdammt kluge Schildkröte Karla, das verträumte Schaf Friedolin, der schräge Vogel Lora, Harry, das mutige Pferd, und Picky, das Ferkel, das so gern in Schlammpfützen suhlt. Also eben wie die richtigen Kinder aus dem Kindergarten oder der Schulklasse.

Jeder hat seine kleinen Verrückhtheiten, Schwächen und Stärken. Deswegen ist es wirklich gut, ganz viele solcher Freunde zu haben. Da kann man sich nicht nur gegenseitig helfen. Man kann auch zusammen richtige Abenteuer erleben. Abenteuer, die man nur erlebt, weil jeder etwas dazu beiträgt. Darum geht es in diesem zweiten Band, in dem natürlich Karla schon von Anfang an weiß, dass man das Ende des Regenbogens nie erreichen kann.

Denn Karla liest jede Menge Bücher. In Büchern steht all das, was man wissen kann über die Welt. Aber da ist noch etwas mehr: So eine tierische Neugier auf die Welt da hinten, da, wo der Regenbogen scheinbar die Erde berührt. Da ist die Phantasie geweckt. Jeder kennt das, dieses Gefühl, dass es da hinten, hinter dem Horizont etwas sehr Aufregendes zu entdecken gibt.

Die Neugier auf die Welt

Und weil das alle sechs zusammen erkunden wollen, bauen sie sich erst mal ein richtiges Reisemobil, also so ähnlich wie das Reisemobil, mit dem Julia Morgenthaler selbst schon seit einer Weile die Welt bereist. Nur halt eher wie ein Wagen mit einem Häuschen drauf und einer angehängten Schlammwanne, damit Picky unterwegs schön schlammmbaden kann.

Wie es aussieht, kann man in den Zeichnungen von Anja Rommeskirchen sehen, die die Geschichten der sechs Freunde (eine davon hat Julias Sohn Timo sich ausgedacht) wieder illustriert hat, schön kindgerecht. Lauter freundliche Tiere, so, wie man Tiere ungefähr bis zur 1. Klasse gern hat – zum Knuddeln gern. Danach beginnt man sich ja in der Regel für die richtig großen und gefährlichen Tiere zu interessieren.

Es ist also eher ein Buch für die Kleineren, die sich noch gern mit Knuddelschaf und Knuddelschweinchen in die Sofaecke kuscheln und sich von Papa oder Mama vorlesen lassen, was sechs so unterschiedliche Freunde anstellen, wenn sie nun losziehen in die weite Welt. Wobei die weite Welt in diesem Fall Deutschland heißt. Das klingt zwar nicht nach großer weiter Welt, sondern eher nach Kartoffelsuppe, Bratwurst und Sauerkraut.

Aber wo die Großen gern so tun, als wäre das nur eine Hinterhofecke, wissen Kinder ganz genau, was für ein großes Land das tatsächlich ist – mit vier kompletten Himmelsrichtungen drin, die die sechs Freunde allesamt besuchen, um herauszubekommen, ob da nicht doch das Ende des Regenbogens ist.

Sie finden auch jede Menge Licht und jede Menge Abenteuer, erst recht am östlichen Ende des Regenbogens, das sie natürlich zu den Wölfen in der Lausitz führt, die zwar ganz schön laut heulen können, aber auch so ihre Sorgen haben. Erst recht, wenn die Wolfskinder mal wieder zu viel Schabernack getrieben haben und eins in eine Grube gefallen ist und eins sich verlaufen hat.

Es gibt jede Menge Rettungsaktionen, die Kinder (wenn man so nach dem Angebot des Kinderfernsehens geht) besonders lieben. Kinder wollen ständig gerettet werden. Obwohl – das zeigt ja auch dieses Buch – sie eher nur richtig neugierig sein wollen und lernen wollen, wie das geht, ein ordentliches Abenteuer zu bestehen.

Denn dazu muss man Dinge können, die lernt man tatsächlich erst mit anderen zusammen. So wie Karlas Ruhe, wenn es darum geht, die Dinge mit Überlegung anzugehen. Oder Harrys Sicherheit, die in dem Spruch steckt: „Du schaffst das.“ Oder Lolas Freude darüber, dass die Welt und die Tiere anderswo ganz anders sind – und dass das eine faszinierende Entdeckung ist.

Keine Panik!

Die vier großen Abenteuer, die die sechs Freunde erleben, zeigen alle, wie jeder seine Fähigkeiten einbringt und wie die ganze Aufregung zwischendurch einfach wieder gebändigt wird, wenn nur jeder das tut, was er am besten kann. „Keine Panik!“ hätte man auch über jedes Kapitel schreiben können. Das Kinderfernsehen tut ja gern so, als müssten Kinderabenteuer immer voller Geschrei und Panik sein. Quatsch-Kinderfernsehen eben. Da lernt man nichts.

Denn Julia Morgenthaler zeigt hier, dass Panik und Aufregung überhaupt nicht das sind, was unser Leben ausmacht. Sondern meistens sind wir alle – so wie diese sechs Freunde – damit beschäftigt, die Dinge auszuprobieren, die Dinge in Ordnung zu bringen oder sich was einfallen zu lassen, wie man aus dem Schlamassel wieder rauskommt. Denn Schlamassel gehören zum Leben. Wer uns einredet, das wäre nicht so, lügt wie eine Klapperschlange.

Schlamassel sind all die Erlebnisse, bei denen wir zuerst erschrecken, dann ein bisschen verzweifelt sind und dann unsere Freunde zusammenrufen, um aus dem Schlamassel zusammen wieder rauszukommen – also einer Grube, in die einer hineingefallen ist, von einem eiskalten Geysir runterzukommen oder aus dem Meer gerettet zu werden, wenn man – wie Pieps – zu neugierig im Watt unterwegs war. Lauter unbekannte Worte im Text? Macht nichts. Dazu ist das Neugierigsein da: rauszubekommen, was hinter den Worten steckt. Auch das.

Und wer aufmerksam dabeibleibt, erfährt auch, wie die Reise der Sechs zu den Enden des Regenbogens ausgeht. Und wie sie einen Schatz finden, von dem sie gedacht hatten, dass es gar keiner ist. Aber dazu muss man eben erst mal losfahren und loslaufen. Wer nicht losgeht und nicht ein bisschen Mut hat, die Welt zu entdecken, entdeckt auch keine Schätze.

Vielleicht ein fast kindliches Buch mit Dingen drin, von denen wir Großen immer denken, dass wir sie schon lange gelernt haben. Aber dazu reicht der Blick aus dem Fenster, um jede Menge Leute zu sehen, die nie gelernt haben, wie man Freunde findet und sich was traut im Leben. Kinder können das lernen. Gerade in dieser herrlichen Zeit, wo sie ihren Eltern mit Fragen und Rumtoben so richtig auf den Keks gehen.

Denn dahinter steckt genau das, was Friedolin und seine Freunde hier ausprobieren: Das Abenteuer Leben als Herausforderung anzunehmen und selber wissen zu wollen, wie das alles ist in dieser ziemlich großen Welt, die man gar nicht kennt, wenn man nicht mal selber losgegangen ist zu schauen, was da am Ende des Regenbogens vielleicht zu finden ist.

Julia Morgenthaler, Timo Buschmann Friedolins Freunde: Das Geheimnis des Regenbogens, Selbstverlag, Hofheim 2021, 11,99 Euro.

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