Sex und Sexualität sind immer noch Themen, die Teenager zum Kichern bringen und auch in aufgeklärten, erwachsenen Kreisen für Verlegenheit sorgen. Insbesondere die weibliche Sexualität war lange ein Tabuthema: Schon in der Sprache fehlen gute Begriffe für „das da unten“, die nicht obszön sind oder sogar als Beleidigungen verwendet werden.

Katja Lewina hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Mythen über die weibliche Lust aufzuräumen und schreibt in ihrer Kolumne „Untenrum“ fleißig über Vaginas, Vulven, Gynäkologenbesuche oder Verhütung. Daraus entstand das Buch „Sie hat Bock“, das 2021 erschien und nicht nur Texte aus der Kolumne enthält und erweitert, sondern auch noch weitere persönliche Erfahrungen versammelt und kollektive Vorstellungen über die weibliche Sexualität unter die Lupe nimmt.

Eine Frau, die über Sex schreibt

Die Autorin wurde 1984 in Moskau geboren und wohnt in Berlin. Nach einem Studium der Slavistik, Literatur- und Religionswissenschaften ist sie als freie Autorin sowie im Künstlermanagement tätig. Sie schreibt unter dem Künstlernamen Katja Lewina – nicht zuletzt, da sie aufgrund ihrer Themen im Internet entweder ungewollte Avancen erhält oder angefeindet wird.

Ein Kapitel widmet sich deshalb auch einer Reflexion darüber, wie es ist, als Frau über Sex zu schreiben, und endet mit einem Appell: „Meine Texte (und die thematisch verwandten Erzeugnisse von Personen mit Uterus) sind kein hochgereckter, schnipsender Zeigefinger, der ‚Hier! Ich! Ficken!‘ ruft.“ Traurig, dass so etwas überhaupt noch deutlich gesagt werden muss und nicht bereits selbstverständlich ist.

Das LZ Titelblatt vom Monat Juni 2022. VÖ. 24.06.2022. Foto: LZ

Dieser Gedanke taucht auch während der Lektüre des Buches immer wieder auf – der Weg von Sex zu Sexismus und sexualisierter Gewalt ist leider kurz. Viel zu oft werden Frauen, die ihre Sexualität selbstbestimmt ausleben wollen, als Schlampen beschimpft. Das Argument „aber sie trug ja einen kurzen Rock“ wird immer noch benutzt, um sexuelle Übergriffigkeiten zu rechtfertigen.

Kein Outfit ist eine Einladung – und Konsens ist sexy. Seit der metoo-Debatte sind solche Dinge auf dem gesellschaftlichen Radar präsenter und werden diskutiert, doch bis eine Gleichberechtigung im Bett wirklich erreicht ist, ist es noch ein weiter Weg. Katja Lewina thematisiert diese Entwicklungen gleich mehrfach, ob in der Sprache oder in ihren eigenen Erfahrungen, die bedauerlicherweise nicht alle nur positiv sind.

Von Sex zu Sexismus

Das Buch kommt schön daher, ein niedlicher, rosa-gelb gestreifter Einband, wie ein Bonbon aus den Fünfzigern. Der Inhalt aber hat es in sich, und wir befinden uns definitiv nicht mehr in einer Zeit, in der die Frau zu Hause den Herd hüten muss und sonst nichts darf.

Der Inhalt ist genauso wenig zensiert wie die Sprache und gespickt mit persönlichen Erlebnissen, die nicht immer angenehm zu lesen sind. Vor allem Leserinnen können diese dort treffen, wo es wehtut, und verdrängte eigene Erfahrungen wieder hervorrufen. Gleichzeitig ist eine offene Kommunikation über Erfahrungen und insbesondere das wundervoll als „Schambereich“ betitelte weibliche Genital wichtig.

Fast jede Frau befand sich bereits in einer unangenehmen Situation, wurde sexuell belästigt oder Opfer von sexueller Gewalt. Dieser Zahl folgen zu wenig Anklagen und noch weniger Verurteilungen. Der erste Schritt ist es, offen darüber zu sprechen und alle Dimensionen von Sexualität auf den Tisch zu packen.

Frauen haben auch Bock

Gleichzeitig geht es im Buch auch in genaueren Details zur Sache, es geht ums Blasen, Lecken und alle anderen Spielarten, die man sich vorstellen kann. Lewina diskutiert den Mythos um weibliche Orgasmen und die Jagd nach dem berühmt-berüchtigten vaginalen Orgasmus. Hier gilt es ebenfalls, die weibliche Lust von den patriarchalen Normen zu befreien, die Sexualität dem Mann zuschreiben und dessen Befriedigung an erster Stelle sehen: Penetration, der Geschlechtsverkehr ist vorbei, sobald der Mann gekommen ist.

Dass das für Frauen nicht immer genauso befriedigend ist, kann man sich auch denken. Diese Vorstellung von Sex wird aber leider in Pornos häufig vermittelt und somit auch weitergegeben, genauso wie die Darstellung von Frauen als passive Teilnehmerinnen, die vom Mann „genommen“ werden. Hinter all diesen Problemen gilt es, seine eigenen Regeln zu machen, sei es bei der Wahl der Partner/-innen oder bei den Aktivitäten selbst.

Das Wichtigste ist eine gute Kommunikation über Bedürfnisse, Grenzen und Konsens – damit alle Spaß haben. Denn das ist die Botschaft, die man zwischen sexualisierter Gewalt und Sexismus schnell aus den Augen verliert: Mach, worauf du Bock hast, solange alle anderen auch darauf Bock haben und stay safe.

Letzte Worte

Mit dem Bereich der Sexualität sind viele andere Themen verbunden, in denen sich gesellschaftliche Ungleichheiten spiegeln, sei es Verhütung oder Sexarbeit. Es ist Zeit, mit den Mythen aufzuräumen und die weibliche Sexualität zu erforschen und aus der Schmuddelecke zu holen.

In den letzten Jahren hat sich nicht nur im Bereich des Diskurses, sondern auch in der visuellen Repräsentation viel getan – die Vulva wird künstlerisch thematisiert und taucht an Häusern und Straßenecken auf. In den sozialen Netzwerken wird Diversität gefordert und Behaarung und Menstruation normalisiert. So manch einer möchte es vielleicht gar nicht so detailliert wissen oder sehen.

So offen wie Katja Lewina über gewisse Themen zu reden, kann einem zarten Gemüt auf jeden Fall auf den Magen schlagen. Aber hier ist das unangenehme relevant, damit Sex etwas werden kann, was für alle schön ist, die ihn haben wollen.

Fakten: Katja Lewina, Sie hat Bock, DuMont Buchverlag, Köln, 2021, Hardcover 20 Euro, Taschenbuch 12 Euro, E-Book 9,99

„‚Sie hat Bock‘: Klartext über die weibliche Sexualität und Sexismus im Bett“ erschien erstmals am 24. Juni 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 103 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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