Am 9. November beschloss das Regierungskabinett in Berlin die Nationale Moorschutzstrategie. „Intakte Moore sind beeindruckende Landschaften. Sie sind einzigartige Lebensräume hochspezialisierter Tier- und Pflanzenarten und zugleich ein kulturgeschichtliches Archiv, an dem sich unsere eigene Entwicklung nachverfolgen lässt“, betonte das Umweltministerium dazu. Ein paar dieser hochspezialisierten Pflanzen hat Rainer Nahrendorf in sein neues Buch aufgenommen.

Das letztlich aber auch ein Moorbuch geworden ist, denn Geschöpfe wie der Sonnentau und der Wasserschlauch sind natürlich typische Moorpflanzen. Und sehen kann man sie zum Beispiel, wenn man den Moorpfad Dahlem im Naturpark Hohes Venn – Eifel besucht.

Was Nahrendorf in diesem Buch auch tut, nachdem er seine Leser/-innen in die diversen durchaus erstaunlichen Techniken eingeführt hat, mit denen auch viele heimische Pflanzen Insekten anlocken – die meisten nur zur Bestäubung.

Aber auch das ist eine faszinierende Geschichte, denn diese Pflanzen haben sich mit ihren Anlockmitteln in der Regel auf ganz bestimmte Insektenarten spezialisiert. Sie täuschen und tricksen oder senden gar ganze Wolken an Duftstoffen aus. Und sie haben ihre Blütenkelche manchmal regelrecht zu Fallen entwickelt, aus denen die eingefangenen Insekten erst herauskommen, wenn sie die Geschlechtsorgane der Pflanze passiert haben.

Aronstab, Wiesensalbei und Frauenschuh bekommen hier ihre ganz eigene Würdigung. Aber auch Charles Darwin, der für die Orchidee „Stern von Madagaskar“ die Existenz eines ganz besonders ausgestatteten Schmetterlings voraussagte, der dann freilich erst Jahrzehnte nach Darwins Tod entdeckt wurde.

Die vielfältigen Leistungen der Moore

Und natürlich kann man die meisten der von Nahrendorf beschriebenen Pflanzen heute fast nur noch in geschützten Gebieten in natura sehen. Denn der Großteil unserer Landschaft ist artenarm und insektenleer geworden.

Allein in den vergangenen 45 Jahren erlebte Deutschland einen Schwund der Insektenmasse um 75 Prozent. Und natürlich liegt das vor allem an einem massiven Gebrauch von Pestiziden, Überdüngung und einer radikal industrialisierten Landwirtschaft.

Es liegt aber auch am Schwund naturbelassener Räume und wertvoller Biotope, die noch im vorletzten Jahrhundert große Teile Deutschlands prägten. Moore gehören dazu.

Inzwischen weiß man auch viel mehr darüber, welche wichtige Rolle Moore auch in anderen Zusammenhängen spielen. Das BMUV schrieb dazu im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Moorschutzstrategie:

„Sie haben eine regulierende Wirkung im Wasser- und Nährstoffhaushalt und eine kühlende Verdunstungswirkung, die für das lokale und regionale Klima wichtig ist. Zunehmend werden sie als Erholungs- und Erlebnisraum entdeckt. Darüber hinaus sind Moore aber auch Langzeitspeicher für Kohlenstoff und ihre Schädigung kann sich gravierend auf das globale Klimasystem auswirken. Neben dem Schutz intakter Moore bilden daher die Wiederherstellung und die nachhaltige Bewirtschaftung bisher entwässerter Moorböden ein zentrales Thema dieser Nationalen Moorschutzstrategie.“

Die Wiederbelebung einstiger Moore

Wobei der Schutz der Moore und ihre Renaturierung nicht erst mit der neuen Moorschutzstrategie wieder auf die Tagesordnung kamen. Umweltschutzverbände und auch einige Bundesländer haben schon vorher begonnen, nicht nur die noch existierenden Moore unter Schutz zu stellen, sondern auch ursprüngliche Moorflächen wieder zu revitalisieren. Nahrendorf verweist dazu etwa auf das sächsische Projekt „Moorvital 2018“.

Oft liegen die unter Schutz gestellten Moore mitten in größeren Schutzgebieten – so wie das Heidemoor am Moorbach mit dem Moorpfad Dahlem.

Was dann oft auch einlädt, die Gebiete in Nachbarschaft des Moores auf den ausgewiesenen Pfaden zu erkunden und dabei ebenfalls ursprüngliche Pflanzen- und Insektengemeinschaften zu entdecken, wie man sie in den leergeräumten Fluren Deutschlands kaum noch findet. Ein Paradies auch für Naturfotografen, die dann mit größerer Technik anrücken, um auch die Faszination der Mikrowelt einzufangen.

Denn es sorgt zwar für schönes Gruseln, wenn man von fleischfressenden Pflanzen hört. Und Carl von Linné wollte ja, wie Nahrendorf erzählt, auch partout nicht wahrhaben, dass es solche gotteslästerlichen Geschöpfe geben sollte.

Da war der Arztsohn Charles Darwin weniger zimperlich und schaute lieber genau hin und kam so einigen der erstaunlichen Abhängigkeiten auf die Spur, die uns das dichte Geflecht in der Natur erst verständlich machen. So richtig durchgedrungen ist diese Erkenntnis heute noch längst nicht bei allen.

Aber es tut sich was. Und die Wiedervernässung alter Moore – auch in Niedersachsen oder Bayern – macht sichtbar, dass dieses Verständnis für die Komplexität des Lebens so langsam wieder wächst.

Das Staunen retten

Einige Fotos im Band machen die Schönheit und das Bizarre der Welt sichtbar, die Nahrendorf hier schildert. Wobei er noch stärker als in seinen zuvor veröffentlichten Büchern auf ausführliche Schilderungen verzichtet und die Leser stattdessen mit QR-Codes auf den Reichtum guter Videoclips im Internet weiterverweist.

Denn natürlich gibt es überall auch die begeisterten Naturfilmer und ambitionierten Dokumentarfilmprojekte, die die Welt der Orchideen, des Sonnentaus, der Glockenheide und der Azurjungfern anschaulich machen. So nah dran, wie man natürlich auf ausgewiesenen Naturlehrpfaden nie herankommt an all diese bizarren Schönheiten.

Aber Nahrendorf geht es ja vor allem um das Verständnis für die unüberschaubare Vielfalt und Verwobenheit von Natur. Der Mensch kann immer nur Bruchteile dieser Verflechtungen wahrnehmen, sieht oft nur das einzelne Insekt und die Blume und eben nicht, wie alles aufeinander angewiesen ist.

Und auch nicht, wie sehr wir selbst Teil dieser lebendigen Natur sind und davon abhängen, dass sie nicht zerstört wird. Die Trockenlegung der Moore in Deutschland begann oft erst im 19. Jahrhundert. Man betrachtete sie einfach als nutzlose Wildnis.

Dieses Denken, dass der Mensch auch noch den letzten Quadratmeter „kultivieren“ muss, ist heute noch da, beherrscht ganze Teile einer profitbesessenen Gesellschaft, die nicht wahrhaben will, dass diese Uniformierung der Welt auch für uns Menschen katastrophale Folgen hat.

Aber niemand muss das aushalten, stellt Nahrendorf fest. Jeder kann sich aktiv einbringen. In den meisten Bundesländern gibt es Initiativen und Umweltverbände, die sich auch für die Wiederbelebung historischer Moore einsetzen.

Lernen kann man dabei sowieso jede Menge – auch und gerade über Reichtum und Vernetzung in der Natur. Man solle sich nicht nur auf die großen Programme der Regierung verlassen, meint Nahrendorf. Und erinnert daran, dass auch die Umweltschutzinitiativen in vielen Regionen unter Nachwuchsmangel leiden.

Es braucht auch die jungen, entdeckungsfreudigen Menschen, die für sich feststellen, dass man tatsächlich selbst etwas tun kann, um die Verwüstungen der vergangenen 200 Jahre zu heilen. Das braucht Geduld, Tatkraft und Wissen. Aber es bereichert auch – nicht nur all jene, die dann auf gut ausgebauten Bohlenpfaden durch die geretteten Moorwiesen laufen und staunen.

Rainer Nahrendorf Sexfallen und Killerpflanzen Verlag Rainer Nahrendorf, Neuss 2022, 14,94 Euro.

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