Aus dem Gedächtnis der Stadt Leipzig ist es fast verschwunden: das Nonnenkloster St. Georg, das bis 1543 südlich der Stadtmauern lag. Und von dem auch Antje J. Gornig noch annimmt, es gebe davon keine bildlichen Darstellungen. Obwohl es eine gibt. Und zwar nach einem Hinweis, den Gornig gibt, erst recht. Wer sucht, der findet. Und was die junge Historikerin hier vorlegt, ist das eindrucksvolle Ergebnis einer gründlichen Suche.

Auch wenn Antje J. Gornig dann vorsichtshalber die tatsächlich existierende Darstellung de Klosters und seiner Kirche nicht mit aufgenommen hat in ihre Dissertation, die dieser Publikation im Rahmen der „Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig“ zugrunde liegt. Denn wo sich die Stadthistoriker bis heute über die Himmelsrichtung streiten, aus der der Künstler, der 1537 den Pfalzgrafen Ottheinrich auf seiner Schuldeneintreibertour begleitete, die Stadt Leipzig gezeichnet hat.

Ein Bild von einem Kloster

2015 hat Henning Steinführer im ersten Band der Leipziger Stadtgeschichte schon eine plausiblere Deutung der Blickrichtung gegeben, auch wenn die von ihm vorgeschlagene Blickrichtung aus Südwest auch nicht wirklich aufgeht. Aber wenn man die Schießscheibe in der Darstellung von 1537 ernst nimmt, dann hat man in der Bildmitte den Petersschießgraben vor sich – und schaut von Süden her auf die Stadt. Nur von den Bergen im Hintergrund und den grünen Bäumen darf man sich nicht täuschen lassen: Ottheinrich passierte mit seinem Gefolge die Stadt im Februar 1537.

Und dann werden einige markante Bauwerke eindeutig identifizierbar – am klarsten die herzogliche Burg, die man in zerschossenem Zustand auch in der Darstellung von 1547 findet. Und wenn man die Burg auf der linken Bildseite  ausgemacht hat, braucht man nur auf die Gebäude unterhalb der Burg schauen und hat die Giebel des Georgennonnenklosters vor sich. Mitsamt der Klosterkirche, von der auch Gornig erwähnt, dass sie keinen Turm, sondern nur ein Dachreiter hatte. Genau wie im Bild zu sehen.

Und drumherum die Dächer einer ganzen Klosteranlage, die sich damals unterhalb der Burg befand, nördlich an den Klostergraben als Teil des Stadtgrabens angrenzend, südlich an die Klostergasse, die in  etwa mit der heutigen Nonnenmühlgasse identisch ist. Im Anhang zu ihrer Arbeit gibt Gornig auch erstmals eine Karte, die zeigt, wie ausgedehnt nicht nur der Klosterbezirk des Georgennonnenklosters war, sondern auch dessen Besitzungen, die die Klitzschergasse (die heutige Dimitroffstraße) genauso umfassten wie einen Weinberg am Heilig-Kreuz-Weg (der heutigen Windmühlenstraße), Wiesen im Überschwemmungsgebiet der Pleiße, drei Mühlen und großen Waldbesitz und mehrere landwirtschaftlich betriebene Vorwerke.

Kein Stein blieb auf dem anderen

Die Darstellung von 1537 verwirrt natürlich deshalb, weil das Dächermeer, das so dicht vor den Stadtmauern zu sehen ist, schon 1547, als Leipzig im Schmalkaldischen Krieg belagert wurde, nicht mehr existierte. Teilweise wurde das alles schon gleich nach der Auflösung des Klosters 1543 abgerissen, spätestens aber 1547 zur Schussfeldfreimachung beseitigt. Die Steine des Klosters wurden zum Ausbau der städtischen Befestigungsanlagen verwendet.

Wie groß das Kloster tatsächlich war mit all seinen Wirtschaftsgebäuden, wird ziemlich deutlich, wenn Antje J. Gornig systematisch alle möglichen Dokumente aus allen möglichen Archiven durcharbeitet und damit auch die ökonomische Grundlage des Frauenklosters sichtbar macht, das um 1230 von seinem Gründungsort Lohe (das heutige Hohenlohe) nach Leipzig verlegt wurde. Gornig macht deutlich, dass selbst die lange Zeit nur nebulöse Verortung des Klosters in historischen Aufarbeitungen zur Stadtgeschichte eher davon zeugt, dass deren Autoren keine Lust hatten, in den vorhandenen Dokumenten zu suchen. Von „legendenhafter Ausmalung“, schreibt Gornig. Was zumindest ahnen lässt, dass das auf noch auf viele weitere Teile der Leipziger Stadtgeschichte im Mittelalter zutrifft, zu denen sich bislang niemand fand, der sich so gründlich in die Materie eingearbeitet hat wie Gornig im Fall des Georgennonnenklosters.

Da gibt es die Quellen, die das Kloster in der Nähe von Peterstor und Peterskapelle situieren. Da sind die Quellen zum Pleißemühlgraben, den die Nonnen sogar extra neu anlegen ließen, um eine eigene Mühle – die Nonnenmühle – betreiben zu könen. Da sind die Quellen zur ersten Leipziger Wasserversorgung über die Wasserkunst, die an der Nonnenmühle angelegt wurde – und deren Röhren direkt über das Klostergelände zum Peterstor verliefen. So gelingt es Gornig, den Klausurbezirk des Klosters direkt westlich des Peterstores vor dem Klostergaben unterhalb der herzoglichen Burg zu lokalisieren. Genau da also, wo in der Darstellung von 1537 die Klosterkirche mit dem Dachreiter zu sehen ist.

Ein richtiges Wirtschaftsunternehmen

Südlich davon schloss sich der Klosterhof an mit Abtei, Gästehaus, Laubengang, Kreuzgang und Kapitelshaus und Kapitelsglocke. Was dann auch das zweite Gebäude auf der Dartstellung von 1537 erklärt, das einen kleinen Dachreiter trägt. Es sind zwar alles nur dokumentarische Hinweise, die Gornig zusammenträgt – aber zusammen ergeben sie ein sehr anschauliches Bild der Klosteranlage und auch der Rolle, die das Kloster für die Stadt Leipzig spielte. Eine Rolle, die sich auch in diversen ökonomischen Auseinandersetzungen über Wegerechte, Brücken, Wiesen und Mühlen mit der Stadt zeigte. Aber auch in der engen Verbindung der Nonnen zur Stadtelite und ab 1409 auch zur Elite der Universität. Wobei bei Letzterem auch half, dass der Merseburger Bischof nicht nur Patron des Frauenklosters war, sondern auch der Universität Leipzig.

Und sogar die Namen etlicher Frauen sind überliefert, die einst im Georgennonnenkloster lebten. Dass es vor allem die Frauen auf herausgehobenen Positionen – wie Äbtissinen und Priorinnen – sind, verwundert nicht, waren sie es doch, die Dokumente siegelten und Briefwechsel unterhielten. Was Gornig natürlich auch zur Untersuchung bringt, wie gebildet eigentlich die Insassinnen des Klosters waren. Denn schreibkundige Frauen waren in den 300 Jahren, in denen das Kloster vor dem Peterstor existierte, eine Seltenheit.

Aber gerade adlige und betuchte Leipziger Bürgersfamilien gaben ihre Töchter eben auch ins Kloster, damit sie dort eine für Mädchen durchaus exklusive Bildung erhielten. Bis hin zu einfachen Lateinkenntnissen. Aber auch wenn es immer männliche Klosterverwalter gab, zeugen viele Dokumente davon, dass sich die Äbtissinnen aktiv mit der Bewirtschaftung der Klostergüter beschäftigen mussten. Und das auch professionell taten. Dazu kamen dann noch diverse Gerichtsrechte, die dem Kloster in seinen Besitzungen – etwa in Hirschfeld oder Reudnitz – zustanden.

Heim und Herd statt Klausur?

Ein Problem sind natürlich die gewaltigen dokumentarischen Lücken etwa fürs 14. und 15. Jahrhundert. Die Dokumente, die im Kloster selbst vorhanden gewesen sein müssen, sind fast komplett verschollen. Vielleicht ein Zeichen dafür, wie gleichgültig dem Leipziger Rat 1543 das Kloster schon geworden war, das sie vom Landesherrn erwerben konnten und damit den städtische Grundbesitz im Süden der Stadt gewaltig vergrößerten.

Die wertvolleren Ausstattungsstücke der Klosterkirche wurden sämtlich eingeschmolzen, um damit die Versorgung der Nonnen zu bezahlen, die ab 1541 mehr oder weniger gezwungen waren, das Kloster zu verlassen. Einige taten es freiwillig. Aber es gab auch die Nonnen, die an ihrem alten Glauben festhalten wollten. Für die es aber kaum eine Zukunftsperspektive innerhalb des nunmehr protestantischen Sachsens gab.

Das ist einer der wichtigsten Aspekte an dieser Ausarbeitung, dass Antje J. Gornig die Lebenssituation der Frauen besonders beleuchtet. Dass die Geschichte des Nonnenklosters so lange als unbearbeitetes historisches Thema da lag, hat ganz gewiss auch damit zu tun, dass männliche Historiker hier keinen großen Grund sahen, sich in die Archive zu knien. Überhaupt ist die Thematisierung von mittelalterlichen Frauenwelten ein sehr junges historisches Arbeitsfeld. Gerade am Beispiel der nach Einführung der Reformation 1539 im Herzogtum Sachsen das Kloster verlassenden Frauen wird deutlich, dass es für alleinlebende und gar dem Keuschheitsgelübde treuen Frauen eigentlich keinen Platz gab in der protestantischen Gesellschaft. Dort war eine würdige Lebenswelt der Frau eigentlich nur in der Ehe denkbar. Gornig räumt auch mit der gern gepflegten Legende auf, den einstigen Nonnen wäre es meistens so gut ergangen wie Katharina von Bora und sie wären dann als Pfarrersfraue glücklich geworden.

Das scheint so eher die Ausnahme gewesen zu sein.

Große Lücken in der Überlieferung

Wobei Gornig auch darauf eingeht, dass mit der Auflösung des Nonnenklosters für Leipzig auch eine der spärlichen Bildungseinrichtungen für Mädchen verloren ging, die in der städtischen Schullandschaft noch auf Jahrhunderte hinaus keinen adäquaten Ersatz bekam. Martin Luther selbst mahnte zwar auch die Gründung von Mädchenschulen an – aber eine solche Gründung ist in Leipzig für die Reformationszeit nicht nachweisbar.

Die meisten Dokumente zum Leipziger Nonnenkloster finden sich folgerichtig für die Reformationszeit und damit die Zeit, als der lutherische Glaube auch in Leipzig zunehmend Fuß fasste, vom altgläubigen Herzog Heinrich bis zuletzt bekämpft. Vergeblich, wie wir wissen. Aber das neue Denken hatte schon früh auch ökonomische Folgen für das Kloster, denn jetzt blieben viele Spenden und Stiftungen aus. Pächter in Lehensnehmer stellten ihre Zahlungen ein. Selbst Familien, die ihre Töchter ins Kloster gegeben hatten, zahlten nicht mehr. Denn mit Luthers Auftreten verloren auch die Klöster ihre dominante Rolle zur Pflege des Seelenheils.

Und das brachte das Kloster schon bald in eine wirtschaftliche Schieflage, die bis zuletzt nicht mehr zu lösen war. Dass Luthers Schwager Hans von Bora da kurzzeitig auch eine nicht wirklich positive Rolle gespielt hat, wird natürlich auch erwähnt. Aber das Problem bleibt natürlich, dass die Güteraufstellungen aus der Zeit nach 1500 kaum einen Schluss darauf ermöglichen, wie es dem Kloster vorher ging.

Doch auch in der Spätzeit muss der Klosterkomplex noch eindrucksvoll gewesen sein, wie Gornig schildert: „Unmittelbar an den Klausurbezirk schloss sich laut Inventar der Wirtschaftshof des Klosters an, der neben einem Garten zahlreiche Wirtschaftsgebäude aufwies: Scheunen, ein Viehhof mit Kuhstall, Milchkammer und Schlachthaus, Kornhaus, Waschhaus, Färbehaus sowie ein Back- und ein Brauhaus, das zudem unterkellert war.“ Die Küche nicht zu vergessen, die das ganz Kloster versorgte. Man bekommt ein sehr vielfältiges Bild eines regelrechten Wirtschaftshofes. Das Kloster versorgte sich im Grunde selbst – und beschäftigte dabei auch noch etliche Dienstboten und abhängige Bauern.

Der Ausverkauf

Ein Teil des Klostergrundes erstreckte sich bis in die Pleißenaue und wurde daher in der Frühzeit öfter überschwemmt. Auch deshalb wurde von den Nonnen das neue Stück Pleißemühlgraben gebaut.

Was Antje J. Gornig hie geleistet hat, ist tatsächlich eine erste umfassende Darstellung des Frauenklosters St. Georg anhand hunderter historischer Dokumente. Ihre Interpretationen sind vorsichtig, eher zurückhaltend und skeptisch. Aber wenn sie auf die alten Märchen stößt, die über das Frauenkloster in der Leipziger Stadtfama bis heute lebendig sind, wird sie deutlich. Etwa bei der Frage, ob es nun ein Kloster nach Zisterzienser- oder Bernhardiner-Regel war. Aber sie zeigt auch das Kloster in den Macht- und Streitverhältnissen seiner Zeit oder als Patronin über heutige Leipziger Ortsteile oder Teile derselben wie Anger, Reudnitz, Crottendorf, Stünz bis Schönefeld und Mockau. Und selbst den 86 Büchern, die bei der Klosterauflösung gezählt wurden, spürt sie nach, auch wenn diese Bücher dann wahrscheinlich billig verhökert wurden und nicht – wie die Bibliotheken der Männerklöster – Bestandteil der Universitätsbibliothek wurden. Vielleicht, weil es „nur“ Gebrauchsliteratur war.

Das Ergebnis jedenfalls ist ein Buch, das erstmals dem meist so nebelhaft behandelten Frauenkloster St. Georg eine handfeste Geschichte gibt. Und einen ganz und gar nicht mehr so kleinen Platz direkt vor den Toren der Stadt. Nebst einer engen Verflechtung mit den adligen Familien im Umland, die ihre Töchter in dieses Kloster gaben, aber auch den Leipziger Kaufmanns- und Ratsfamilien. Ein nicht unwesentliches Stück Leipziger Mittelaltergeschichte wurde hier wieder greifbar. Und das so sachlich ökonomisch, wie nun einmal die überlieferten Dokumente vom Kloster und seine Insassinnen berichten.

Antje J. Gornig „Das Nonnenkloster St. Georg vor Leipzig“, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2023, 62 Euro

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