Warum gibt es eigentlich Rechtsextremismus? Und warum steckt er so viele Leute an, verschafft rechtsradikalen und rechtspopulistischen Parteien Wahlerfolge und spült Typen an die Macht, die außer Skandalen nichts auf die Reihe kriegen? Es gibt Berge von aktueller Literatur, die sich mit allen Verästelungen des Rechtsextremismus beschäftigen, stellt Peter R. Neumann zu recht fest. Aber etwas Grundlegendes fehlt. Und das Schlagwort „Faschismus“ macht sogar blind für das, worum es eigentlich geht.

Mit Peter R. Neumann hat sich einer des Themas angenommen, der wie kein Anderer die Übersicht hat. Er ist Professor für Sicherheitsstudien (Security Studies) am King’s College London. Leitete dort das Internationale Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) und berät die Europäische Kommission zum Thema Extremismus. Und er fragt sich nicht nur „Was ist Extremismus?“, sondern auch: Warum sind so viele Menschen bereit, rechtsextremen und rechtspopulistischen Parolen zu folgen?

Der Glanz der „goldenen Zeitalter“

Das hat ja eher nichts mit den Lösungsangeboten all der radikalen Parteien und Gruppen zu tun, die die aufgeregten Menschen hinter ihren Fahnen versammeln. Auch wenn man schon lange weiß, dass rechtsextreme Bewegungen gerade in Zeiten der Krise massiven Zulauf erfahren. Sie haben ihre Konjunkturen, denn sie leben von Angst und Unsicherheit. Und das hat mit ihrem Weltbild zu tun, das sie mit den Menschen teilen, die sie wählen: Es ist von absolutem Pessimismus geprägt.

Denn für sie liegt das „goldene Zeitalter“ immer in der Vergangenheit. Sie erwarten von der Zukunft nichts anderes als Niedergang und völliges Chaos, aus dem dann – möglicherweise – wieder ein neues, goldenes Zeitalter erscheint. Aber nur möglicherweise. Neumann taucht tief in die menschliche Geistesgeschichte hinein, geht bis in die Antike zurück. Denn diese Art zu denken ist überhaupt nicht neu. Schon griechische Philosophen sahen derart pessimistisch auf die Welt. „Fortschritt ist aus ihrer Sicht zwar möglich“, schreibt Neumann, „aber niemals von Dauer.“

Und so fokussieren sich die Vor-Denker der Rechten immer auf alle Verfallserscheinungen der Zeit, die für sie Zeichen des Niedergangs sind. Und damit Vorzeichen des baldigen Untergangs. Für diese Menschen ist Armageddon immer schon greifbar. In ihrer Sicht endet alles in Chaos und Gewalt.

Und wer sich ein bisschen in der Bibel auskennt, weiß, dasa diese Weltsicht auch bei Juden und Christen virulent war. Und bei einigen Sekten heute noch immer ist. Es ist also kein Phänomen, das Rechtsextremisten allein gehört. Aber Rechtsextremisten machen es zu Politik. Und auch das begann nicht erst 1933. Neumann nimmt seine Leser mit ins 19. Jahrhundert, als damals berühmte Autoren in Deutschland, Frankreich, den USA jene Bücher schrieben, die zu den Bibeln des Rechtsextremismus wurden.

Die deutschen Nazis mussten gar nichts neu erfinden, denn ihr geistiges Handwerkszeug war längst formuliert und gedruckt. Und es steckte in den Köpfen großer Teile der Bevölkerung, die von den Zumutungen der neuen Demokratie überfordert waren.

Nichts bleibt so, wie es war

Denn natürlich fordert Demokratie die Menschen. Genauso wie Freiheit und Fortschritt. Denn sie stehen für die permanente Veränderung in der Welt. Nichts bleibt so, wie es war. Und davor hatten – einige – Menschen auch schon in der Antike Angst. Und das ist bis heute so geblieben. Weshalb neben der pessimistischen Weltsicht auch die Doktrin der Ordnung in rechten und rechtsradikalen Weltvorstellungen eine zentrale Rolle spielt. Ordnung schafft Sicherheit. Eine Gesellschaft, in welcher der Staat autoritär über alle Regungen wacht, verschafft zumindest all den Menschen ein Gefühl der Sicherheit, die gar nicht wollen, dass sich irgendetwas ändert.

Man merkt an dieser Stelle schon: Der Rechtsextremismus ist keine Insel. Denn seine großen Brüder heißen Konservatismus und Autoritarismus. Alle drei funktionierten auf ähnliche Weise. Ihr Vertreter glauben nicht daran, dass es (noch) einen Fortschritt gibt. Also setzen sie alles daran, dass die „drohenden“ Veränderungen aufhören, ausgesperrt, verboten und verdrängt werden. Und alle Strömungen, die die Gesellschaft verändern wollen, eingehegt und stigmatisiert werden.

Der Gegensatz zwischen Konservatismus und Liberalität ist tief verankert in unserer Gesellschaft. Oder mit Neumann: Solange es liberale Ideen und Veränderungen gibt, wird ein erzkonservativer Teil der Gesellschaft darauf mit Angst und Abwehr reagieren.

Die einen wollen, dass sich nichts ändert. Und die anderen kämpfen dafür, dass die Gesellschaft tatsächlich freier wird, gerechter, zukunftsfähiger. Dass Menschen sich in ihrer Gesellschaft tatsächlich mit gleichen Chancen entfalten können. Seit der Französischen Revolution ist dieser Bruch in der Haltung zur Welt weit aufgerissen.

Mobilisieren mit Ängsten

Und die Vertreter des alten, autoritären Denkens hatten immer ein starkes Argument auf ihrer Seite: die Angst. Und sie haben gelernt, die Ängste der Menschen zu schüren – und für die Ängste Feindbilder zu schaffen, die dann symbolisch für alles standen und stehen, wovor die so angefixten Menschen Angst haben (sollen). Ausländer, Juden, Linke, Liberale, am besten gleich die komplette „Elite“, auch wenn die rechten Parteien nie wirklich definierten, wen sie eigentlich meinen mit den „Eliten“. Der Begriff bleibt schwammig.

Denn rechte und rechtsradikale Parteien wollen gar nicht genau benennen, was sie als Elite verstehen und wer wirklich schuld sein soll an den ganzen bedrohlichen Szenarien, die sie heutzutage ungehemmt auch übers Internet verbreiten. Ihnen geht es schlicht ums Angstmachen. Denn Menschen, die in diffusen Ängste leben, sind manipulierbar. Und mobilisierbar.

Und so ist Neumanns Analyse im Grunde auch eine essayistische Untersuchung der Psychologie all der Menschen, die in Krisenzeiten nur zu leicht bereit sind, den Angstmachern zu folgen. Die düsteren Bedrohungsszenarien der Rechtsradikalen bestätigen nämlich ihre eigene – pessimistische Weltsicht. Die in der Regel nicht aus dem Nichts kommt. Darauf weist Neumann explizit hin. Denn natürlich leben wir in einer Welt, in der es auch jede Menge bedrohlicher Nachrichten gibt. Wer so tut, als gäbe es all die Krisen nicht – von der Klimakrise über die Energiepreiskrise bis hin zu Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, zunehmenden Fluchtbewegungen und Inflation –, der würde die Menschen belügen. Und sich selbst noch dazu.

Und trotzdem haben die liberalen Parteien ganz offensichtlich bis jetzt keinen Weg gefunden, genau darüber zu sprechen. Und zwar auch mit den Menschen, die ja tatsächlich in ihren Ängsten gefangen sind. Und die rechtsradikalen Politiker und Parteien werden alles dafür tun, diese Ängste am Kochen zu halten und für sich selbst nutzbar zu machen. Denn mit ihren autoritären Vorstellungen einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft bedienen sie den Wunsch nach Stabilität. Etwas, wonach sich Menschen gerade in Zeiten sehnen, in denen scheinbar alles den Bach heruntergeht.

Falsche Geborgenheiten

Ziemlich dumm ist es da natürlich, wenn konservative Politiker, weil sie glauben, sie würden damit ebenfalls von diesen Ängsten profitieren, die Parolen und Bilder der Rechtspopulisten und Rechtsradikalen verstärken. Aber damit verstärken sie die Ängste eben nur und geben ihren – vermeintliche Wählern – noch zusätzlich das Gefühl, dass auch sie nicht wissen, wie man die Probleme lösen kann.

Es ist ganz eindeutig die falsche Art, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen. Aber welches ist die richtige? An einigen Stellen im Buch stellt Neumann diese Frage natürlich. Denn wenn man aus den Erfolgen des Rechtsextremismus nichts lernt, muss man sich damit auch nicht beschäftigen. Dann ist das vergebene Liebesmüh.

Aber dass Konservative sich damit so schwertun, hat eben leider auch damit zu tun, dass sie eben auch nicht an menschlichen Fortschritt glauben. Sondern ebenfalls die goldenen Zeiten in der Vergangenheit sehen. Wo man freilich bei Rechtsextremen ein zutiefst pessimistisches Zukunftsbild findet, findet man bei den Konservativen eher gar kein Bild. Sie reden den Wählern gern ein, das, was ist, ließe sich einfach so in die Zukunft fortschreiben. Und deshalb müsse man eben konservative Parteien wählen.

Und so sind die Konservativen hin- und her gerissen zwischen Liberalität und Ordnungspolitik. Und jenem Fluchtfeld, in dem die Rechtsradikalen den Menschen so etwas wie Geborgenheit versprechen: Identität.

Neumann zeigt auf seiner Reise durch die rechtsradikale Ideengeschichte, wo diese Worte und Neuschöpfungen alle herkommen und die rechten Denker in den vergangenen 150 Jahren auch von den politischen Praktiken der Linken gelernt haben. So haben sie nach und nach auch gelernt, wie man mit Kampagnen und neue Frames in den politischen Diskurs durchdringt und damit auch Hoheiten über gesellschaftliche Debatten gewinnt.

Und natürlich geht es da auch um das Gefühl von Zugehörigkeit. Menschen wollen sich zugehörig fühlen und ernst genommen werden. Erst recht, wenn sie Angst haben, zu den „Verlierern“ des gesellschaftlichen Wandels zu gehören.

Falsche Retter

„Für Linke muss es darum gehen, mehr Geduld und Verständnis für die ‚Verlierer‘ des gesellschaftlichen Wandels aufzubringen“, schreibt Neumann. Linke und Liberale sollten sich viel stärker „Gedanken zu Themen wie Identität und Zugehörigkeit machen“. Es brauche „konstruktive Stimmen“.

Denn natürlich brauchen gerade verängstigte und verunsicherte Menschen das Gefühl, dass sie nicht einfach wie Ballast abgeworfen, sondern dass ihre Sorgen ernst genommen werden. Und sie Teil der Lösung sind. Auch und gerade dann, wenn Veränderungen unausweichlich sind. Was ja eigentlich das Normale ist. Die ganze Welt ändert sich. Fortlaufend. Wer aber gerade die weniger Privilegierten ausgrenzt, abwertet oder gar nicht fragt, wenn die Veränderung gestaltet werden muss, der schafft genau die Leerräume, in denen Rechtsradikale ihren Widerhall finden.

Hier nämlich fällt ihr Eliten-Bashing auf fruchtbaren Boden, gibt es das billige Rezept „Gegen die da oben“, ist der Weg bereitet zur Radikalisierung.

Und damit auch zur Gewalt. Denn rechtsradikale Ideologien sind vollgestopft mit Feindbildern, gegen die sich die Wut der Verängstigten richtet. Wir gegen die. Die da sind schuld. Und in dieser Entfesselung der Wut gegen andere Menschen, deren Andersartigkeit auf einmal zum Abgrenzungsmerkmal wird, steckt dann eben auch der Drang zur Macht. Zur Ermächtigung. So verkaufen sich die Rechtsradikale als „Retter des Vaterlandes“. Erst wird der Untergang in lodernden Farben auf die Tapete gemalt – und dann kommt der Retter mit wallenden Haaren.

Dass die Bilder vom Untergang falsch sind, wird dann gar nicht mehr hinterfragt. Die Verführten stecken längst in der Falle der Angst. Die Verführer haben zwar allesamt keine Rezepte, wie die Krisen der Zeit gelöst werden können. Aber sie geben den Gläubigen ein Bild – das Bild vom großen Retter, der „Amerika wieder groß macht“, das Vaterland rettet und was der aufgeblasenen Parolen mehr sind.

Eine Frage der Augenhöhe

Neumann gibt zwar keine fertigen Handlungsanweisungen, wie Linke und Liberale nun eigentlich mit dem Phänomen Rechtsextremismus/Rechtspopulismus umgehen sollen. Aber Ignorieren ist der falsche Weg. Erst recht den Menschen gegenüber, die für die Parolen der Angst so leicht zu haben sind. Da braucht es eine ganz andere Kommunikation und wahrscheinlich auch eine andere Politik, nämlich eine auf Augenhöhe.

Denn da, wo viel zu viel „von oben herab“ verordnet wird, da entstehen die Räume für die Rechtsradikalen, die dann brüllen: „Wir sind das Volk“. Und „Früher war alles besser“. Und den Untergang an die Wand malen oder ihre falschen Thesen von der „Umvolkung“ in die Welt brüllen, bis alle Leute glauben, irgendwo hinter den Kulissen würden finstere Mächte walten. Mit diesen Vorstellungen haben ganz rechte Denker schon seit 150 Jahren hantiert.

Und damit haben sie ein ganz zentrales Element der liberalen Demokratie immer ganz gezielt angegriffen: die Öffentlichkeit demokratischer Aushandlungsprozesse, die oft genug schwer und kompliziert ablaufen, voller Streit, den Medien nur zu gern aufbauschen.

Und den die Rechtspopulisten in den Parlamenten erst recht benutzen, um die Redner der demokratischen Parteien zu verunglimpfen und zu belehren, als hätten ausgerechnet die Rechten als einzige die Weisheit mit Löffeln gefressen.

Aber Neumann zeigt mit seinem Buch, woher eigentlich die ganzen Ideen und Bilder der Rechten stammen, welche Vordenker sich das ganze Zeug ausgedacht haben und wie diese Bewegungen sich immer weiter professionalisiert haben, um in den demokratischen Diskurs vorzudringen und ihm ihre Logik der Angst aufzudrücken. Aber genau deshalb macht das Buch eben auch sichtbar, wie diese Logik funktioniert. Und warum sie Menschen verführt, die eigentlich tatsächlich nur Angst haben. Angst, die ganz reale Ursachen hat in einer Welt voller Krisen.

Doch während die rechten Radikalen behaupten, daran seien finstere Verschwörer schuld, sollten Liberale und Linke lernen, die Menschen in ihrer Angst ernst zu nehmen und tatsächlich mitzunehmen auf dem Weg, die Krisen zu lösen.

Das passiert nämlich kaum.

Und schafft damit den Tummelplatz für die Konjunkturritter von Rechtsaußen.

Peter R. Neumann „Logik der Angst“, Rowohlt Berlin, Berlin 2023, 22 Euro.

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