„Buchgeschichte(n)“ hat Mark Lehmstedt eine Buchreihe genannt, in welcher der Verleger und Germanist jene Titel sammelt, in denen die Buchgeschichte Deutschlands in verschiedene Perspektiven sichtbar wird. Das kann auch schon mal hochpolitisch werden wie im Kalten Krieg, als West wie Ost eine Menge Geld dafür ausgaben, den Gegner mit gedruckter Propaganda aller Art zu überschütten – in der seltsamen Hoffnung, die andere Seite ausgerechnet mit gedruckten Worten vom Sockel hauen zu können. Nur: Wer hat das überhaupt einmal beleuchtet?

Denn zur sonst üblichen Buchgeschichtsschreibung gehören all diese Titel, Broschüren, Kampfschriften und obskuren Verlage ja nicht. Sie werden auch in Jubiläumsbänden und Verlegerporträts meist weggelassen. Die Verlage verschwinden einfach von der Bildfläche, wenn die Zeiten sich ändern. Und die Zeiten haben sich geändert. Gleich mehrfach. Deutsch-deutsche Geschichte war im gesamten 20. Jahrhundert immer eine Rumpeltour. Und verbal hat man sich meist nichts gegeben. Dabei ist die Zeit des Kalten Krieges ein sehr schönes Beispiel dafür, wohin man kommt, wenn man Mauern und starre Grenzen im Kopf hat, die Welt schwarz-weiß malt und Politik als „Kampf der Systeme“ versteht.

Das führt am Ende zu nichts. Nur zu Eskalationen, die die Welt immer wieder knapp an den Rand eines Krieges bringen. Und das eben auch, weil beide Seiten sich benehmen, als ginge es um des Kaisers Bart. Und nicht um Menschen.

Der Kampf um die Köpfe

Und ehrlich: Am Ende ist man froh, wenn man diesen Band mit Beiträgen gelesen hat, die der Hamburger Politikwissenschaftler und Buchhistoriker Klaus Körner zwischen 1988 und 2022 veröffentlicht hat, dass diese graue und verbitterte Zeit des Kalten Krieges vorbei ist und man all die hier erwähnten Bücher und Schriften nicht mehr lesen muss. Sie sind Geschichte, gehören bestenfalls ins Museum. Und dennoch stecken eine Menge sehr menschlicher Schicksale in Körners Geschichten.

Auch ein Stück Idealismus findet man. Denn tatsächlich war das Jahr 1945 ja für beide Teile Deutschlands ein Neustart. Die Deutschen konnten – sehr behütet von ihren jeweiligen Besatzungsmächten – zeigen, dass sie gewillt waren, eine neue, demokratische Gesellschaft aufzubauen und sich wieder in die Gemeinschaft der friedlichen Völker einzuordnen.

Was eben leider nicht hieß, dass sie selbst friedlich miteinander umgingen. Die Zeit der Besinnung war kurz. Und noch bevor die beiden deutschen Staaten gegründet waren, entbrannte der Kampf um die Köpfe. Ein Kapitel, das Körner gleich im Beitrag „Politische Kleinschriften der Adenauer-Zeit“ abhandelt. Schriften, die man für gewöhnlich in keinem Antiquariat findet, weil sie für den Tag und die Propaganda beim Gegner gedacht waren – abgeworfen aus Ballons, über die Grenze geschmuggelt, mit der Post versandt.

Berlin wurde nicht ohne Grund Frontstadt genannt. Hier sahen beide Seiten das Einfallstor in die gegnerischen Linien. Und auch wenn Körner vor allem die westlichen Gruppen und Akteure porträtiert, die meist mit finanzieller Unterstützung amerikanischer Geheimdienste oder später diverser Bundesministerien ihre Schriften produzierten und in die „Ostzone“ schmuggelten, taucht in Konturen auch dieselbe Diversionsarbeit von DDR-Seite auf. Wo man jahrelang noch glaubte, man könne die Ereignisse im Westen tatsächlich beeinflussen, wenn man nicht nur die dortige KPD finanziell unterstützt, sondern auch allerlei ihr zugeordnete Organisationen, Verlage und Printprodukte.

Auch als sich dieser Kampf des gedruckten Wortes selbst in der von Körner beleuchteten Zeitspanne nach und nach entschärfte. Angefangen mit dem Rückzug der Amerikaner aus der Finanzierung ihrer kampfeslustigen Partner schon Anfang der 1950er Jahre bis hin zur Etablierung der neuen Deutschlandpolitik unter der Großen Koalition ab 1966 und dann erst recht unter der Regierung Willy Brandts, als auch die Bundesregierung die Mittel für all die Verlage und Vereine strich, die bislang nur deshalb existierten, weil sie von Bonner Ministerien das nötige Geld zum Arbeiten bekommen hatten.

Politische Konjunkturen

Aber damit war mit der neuen Deutschlandpolitik Schluss, die jetzt endlich die Grundsteine legte für Gespräche mit den Regierenden in Ostberlin. Wobei es Körner gelingt, diese Zeitenwende zu beschreiben, einfach indem er die Akteure auftreten lässt und kleine und große Verlagsgeschichten erzählt. Übrigens auch die eines Axel Cäsar Springer, der bis 1958 als einer der großen liberalen Verleger Hamburgs galt und auch Bücher verlegte, bevor er eine ganz persönliche erzkonservative Wende hinlegte und mit der „Bild“-Zeitung das Schlachtschiff des konservativen Boulevards vom Stapel ließ. Just in dem Moment, als sich die konservative Atmosphäre unter der Adenauer-Regierung so langsam aufzulösen begann.

Dabei kommt einem gerade in den Artikeln, in denen es um das Verbot der KPD und von Organisationen wie dem Kulturbund geht, vieles verblüffend bekannt vor. Denn fast dieselben Kampflinien haben konservative Medien und Politiker heute wieder gezogen, auch wenn die Linken sich geradezu in die Bedeutungslosigkeit manövriert haben. Dafür sind heute Klimaaktivisten und Grüne der Feind des konservativen Establishments. Alles also schon mal dagewesen? Werden immer wieder dieselben Grabenkämpfe aufgemacht? Immer wieder Polizisten losgeschickt, um die ungeratenen Protestierenden von der Straße zu fegen?

Man kommt schon ins Grübeln, wenn man liest, wie konzertiert Bundesnachrichtendienst, Staatsanwälte und Polizei vorgingen, als es dereinst gegen FDJ und KPD ging, eine Staatsgefahr beschworen wurde, die es tatsächlich nie gegeben hatte. Denn schon früh hatte sich abgezeichnet, dass der Westen in jeder Beziehung die besseren Karten hatte, viel schneller wirtschaftlich wieder auf die Beine kam und damit auch für die Ostdeutschen zum Vorbild wurde.

Mangelgesellschaft

Wobei noch hinzukam, wie Körner feststellt, dass die DDR auch in Sachen Medien- und Bücherangebot immer unterversorgt war. Jede (subversive) Schrift aus dem Westen traf hier auf ein bereitwilliges Publikum. Was nicht nur am geringeren Output ostdeutscher Verlage lag. Sondern eben vor allem an der rigiden Medienpolitik der SED, die mit ihrer Bevormundung letztlich geradezu dafür sorgte, dass die Ostdeutschen nach anderen Informationen und Büchern hungerten. Ein Hunger, der bis 1989 nie wirklich gestillt wurde. Und so wurden eben Bücher vor allem von West nach Ost geschmuggelt.

Darunter auch vieles, was die Literaturwissenschaft „graue Ware“ nennt, hergestellt extra, um es – getarnt oder per Brief – in den Osten zu lancieren. Während ein ähnliches Vorgehen von DDR-Insitutionen praktisch keinen Effekt hatte. Denn die Propagandaschriften aus dem Osten trafen auf einen satten Markt mit einem riesigen Angebot, das fast alle Lesebedürfnisse befriedigte.

Und dennoch versuchte die SED bis zuletzt, im Westen auch durch die subventionierte Verlage Einfluss zu nehmen. Womit man in einer Verlagslandschaft landet, deren Verlagsnamen heute kaum noch jemand kennt, weil all diese Verlage verschwanden – einige schon bei früheren Zeitenwenden, etliche dann 1990, als die SED ihr Zahlungen zwangsläufig einstellen musste. Es ist also so eine Art Friedhof der verschwundenen Verlage, den Körner hier besichtigt. Durchaus aufmerksam. Denn die meisten hatten durchaus erfolgreiche Titel im Angebot, die das geistige Leben im Westen tatsächlich beeinflussten. Einige spielten in der 1968er-Bewegung eine ganz zentrale Rolle, weil sie die Schriften lieferten, die dem Protest ein theoretisches Futter gaben. Andere in der Antiatomkraft-Bewegung, der frühen Umweltbewegung oder im Widerstand gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik.

Verhärtete Fronten

Gleichzeitig spiegeln die Konjunkturen einiger dieser linken, aber auch liberalen Verlage die zum Teil drastischen Veränderungen in der Stimmungslage der (westdeutschen) Nation. Der auffälligen Renaissance linken Denkens mit den 1968 folgte in den 1970er Jahren nicht nur die Radikalisierung der RAF und die heftige Reaktion des Staates, das Land rutschte auch wieder in eine konservative Grundstimmung, die dann in den 1980er Jahren die Regierungsübernahme der CDU und zu Kohls „moralische Wende“ ermöglichte. Auch wenn die Kohlregierung die von der SPD angeschobene Normalisierung im Verhältnis zur DDR nicht wieder rückgängig machte. Manche Entwicklungen sind einfach zwangsläufig.

Und es waren die oft hartnäckigen Verleger – wie etwa Ernst Rowohlt – die am Ende Recht behielten. Es war immer eine Sackgasse, das jeweils andere Deutschland zum schlimmen Feind zu erklären und Gespräche zu verweigern. Das hat niemandem geholfen, sondern die deutsch-deutschen Beziehungen nur auf Jahrzehnte verhärtet. Gelitten haben darunter die Menschen.

Bewegung kam erst hinein, als die Brandt-Regierung Gespräche aufnahm und nicht die politischen Grabenkämpfe in den Mittelpunkt stellte, sondern die Bedürfnisse der Menschen. Motto: Miteinander reden.

Dass man so den Feind nicht „besiegte“, war ebenso klar. Aber die Mehrheit hatte begriffen, dass die Adenauer-Politik in dieser Beziehung gescheitert war. Und die finanzielle Unterstützung all der Verlage, die vor allem Propagandamaterial für den Kalten Krieg produzierten, eigentlich wenig Sinn hatte. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich genauso wenig trugen wie die von der SED gestützten linken Verlage. Egal, wie viel verlegerisches Engagement dahintersteckte.

Mit harten Bandagen

Und so lernen die Leser dieses Sammelbandes im Grunde längst verschwundene Verlage überhaupt erst einmal kennen, vorgestellt mit ihren tragenden Personen und ihrem Programm: den Athenäum-Verlag, den Heinrich Seewald Verlag, die Europäische Verlagsanstalt, den Progress-Verlag, den Röderberg Verlag usw. Linke, liberale, konservative, sozialdemokratische Verlage. So nebenbei erfährt man auch die durchaus spannende Geschichte der einst wichtigsten (sozialdemokratischen) Tageszeitung für Westberlin, des „Telegraf“, aber auch die Geburt des bekanntesten Uni-Magazins „konkret“ aus einem Versuch der SED, Zugriff auf die Köpfe der westdeutschen Studierenden zu bekommen.

Man begegnet Persönlichkeiten, die das geistige Leben der Bundesrepublik auf ihre Weise geprägt haben – mal als Autorinnen und Autoren wie Ulrike Meinhof, Wolfgang Leonhardt oder Ralph Giordano, mal als angehende Buchhändler in einer linken Buchhandlung – wie Günter Wallraff. Man lernt auch die Strukturen ein wenig kennen, wie zum Teil sehr anarchistische Verlage versuchten, ihre Ware unters Volk zu bringen. Aber auch das sehr ernst gemeinte Bemühen Johann Fladungs, die Exil-Literatur wieder in den westdeutschen Literaturkanon zurückzuholen. Denn damit tat sich die westliche Buchgesellschaft von Anfang an schwer. Genauso wie mit der Aufarbeitung der Verbrechen des NS-Reichs.

Tatsächlich machten auch etliche Leute, die schon in der NS-Zeit Propaganda gemacht hatten, als Experten auch im neu entstehenden Staat Karriere. Eine gelassene Gesellschaft war diese westdeutsche Nachkriegsgesellschaft jedenfalls nicht. Und wenn es darum ging, dem Anderen eins auszuwischen, wurde mit harten Bandagen, öffentlichen Anklagen, Braun- und Rotbüchern agiert.

Heißer Bücherkrieg

Ein farbiger Tafelteil im Buch zeigt dann den „Kalten Krieg in Bildern“. Aber die abgedruckten Buchcover zeigen eben auch, mit welchem Aufwand oft die Bücher für diesen eigentlich ziemlich heißen Bücherkrieg produziert wurden. Manche ganz gezielt als Kampfschrift, um den Feind zu „entlarven“, manche aber auch als wichtigen Beitrag zur Debatte der Zeit. So lassen sich einige der heftigsten ideologischen Schlachten aus dieser Zeit nachvollziehen, auch wenn man schon beim Anschauen der Titel das Gefühl hat: Das muss man sich nicht mehr antun. Das ist nun wirklich Geschichte.

Obwohl die vielen von Körner erwähnten Titel (von denen einige heute teuer bezahlte antiquarische Raritäten sind) für Historiker ganz bestimmt interessant sind. Denn mit diesen Buchproduktionen taucht man wieder ein in eine Zeit, in der die Meinungsführer tatsächlich glaubten, dass die Radikalisierung der Schlacht um die Köpfe am Ende Punkte bringt und den Feind zu Boden streckt. Obwohl diese Radikalisierung bis heute nur eines bewirkt hat: Berge von alten, ermüdenden Vorurteilen. Und falsche Selbst- und Fremdbilder zweier Landesteile, in denen sich die wenigstens Menschen als Teil eines neuen Krieges verstanden. Und auch nicht als Kämpfer einer siegreichen Ideologie. Hüben nicht und drüben auch nicht. Das vergessen Politiker oft.

Und man merkt schon, wenn Körner die Geschichten über den Beginn der deutsch-deutschen Entspannungspolitik hinaus erzählt, dass dabei nicht nur all den auf Kampf getrimmten Verlagen das Geld ausging, sondern dass sich auch der Ton und das Profil veränderten. Denn jetzt mussten auch diese Verlage verstärkt danach schauen, auch Leser für ihre Buchtitel zu bekommen. Erst recht, wenn das Gespenst der Insolvenz Einzug hielt in die Verlagsräume und das Jonglieren mit Krediten nicht mehr funktionierte. Einige landeten direkt im Konkurs, andere wurden von anderen Verlage aufgekauft und wurden zum Imprint.

Trojanisches Getier

Das Bild von trojanischen Tauben, Pferden und Eseln taucht öfter mal auf. Immerhin war es auch die Zeit der Geheimdienste-Hysterie, der „Dritten Kolonnen“, Diversanten und Spione, der herumgetragenen Geldkoffer und der Wiederaufrüstung, in der Äußerungen zur Friedenspolitik schnell in den Verdacht münden konnten, ein Agent des Ostens zu sein.

Aber am Ende ergibt sich durch Körners Untersuchung dieser Zeit mit ihren in der Ost-West-Auseinandersetzung besonders markanten Verklagen und Akteuren eben auch das Bild einer ganzen Zeitschicht, die fast schon vergessen ist und die man heute in den Buchhundlungen auch nicht mehr findet. Auch Verlage und ihre einst heftig diskutierten Buchprogramme können vergessen werden. Auch und gerade dann, wenn sie so eng mit den Höhen und Tiefen einer ganzen Geschichtsepoche verbunden sind, in der sich die beiden deutschen Staaten nicht nur mit Papier heftig befehdeten.

Es war auch eine Zeit, in der Linke tatsächlich heimatlos werden konnten, erst recht, wenn sie sich mit dem, was in der DDR als Sozialismus praktiziert wurde, einfach nicht identifizieren konnten. Sodass diese Zeit auch die Blütezeit der Renegatenliteratur war – und darunter vieles, was bis heute Bestand hat, auch dann, wenn Zeitgenossen an der literarischen Qualität herummäkelten wie bei Wolfgang Leonhards „Die Revolution entläßt ihre Kinder“. Ein Buch, das bis heute immer wieder aufgelegt wird, weil es eben auch einen Teil davon erzählt, wie Ideologie gemacht wird und funktioniert.

Worum es ja in Körners Aufsätzen auch irgendwie geht.

Alte Gräben, neue Gräben?

Irgendwann können nicht einmal mehr die Leser damit etwas anfangen, die sich einst begeistert in den Kampf dafür oder dagegen geschmissen haben. Es ist am Ende unübersehbar ziemlich fruchtlos. Dass es auch niemanden weiterbringt, wissen wir eigentlich, auch wenn neuere Grabenkämpfer derzeit ausgerechnet die Entspannungspolitik der Brandt-Regierung attackieren und zur Schuldigen für heutige Kriege machen wollen. Da haben ein paar Leute wirklich nichts gelernt aus der Geschichte der Kalten und der heißen Kriege, die sich in der Regel gegenseitig bedingen.

Geblieben sein dürften da und dort ein paar staubige Verlagsarchive, es sei denn, sie wurden dem Kölner Stadtarchiv anvertraut und sind in einem U-Bahn-Schacht verschwunden.

Und natürlich die Namen einiger Autoren, Lektoren und Verleger, die trotz ihre Liaison mit der kalten Politik ihren Platz in der deutschen Literaturgeschichte gefunden haben.

Klaus Körner „Trojanische Pferde. Politische Verlage im Kalten Krieg“, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2023, 58 Euro.

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