Die eigentliche Frage, die dieses Buch streift, aber nicht behandelt, steht auch nicht im Untertitel. „Über Klimaschutz in einer ungerechten Welt“ lautet dieser. Aber es geht nicht um Klimaschutz. Denn das Klima kann man nur schützen, wenn die Mehrheit mitspielt, wenn die Menschen sich zusammentun und gemeinsam die Klimazerstörung beenden und eine Welt schaffen, in der die Menschheit mit einer lebendigen Umwelt überleben kann. Wären da nicht Gefühle wie Wut, Verzweiflung und Klimaangst.
Über die schreibt Lisa Poettinger auch. Denn wer sich wirklich engagiert im Protest gegen die Klimazerstörung, der kennt diese Gefühle. Bis hin zur Hoffnungslosigkeit, Depression und Trauer. Gefühle, die auch viele Menschen kennen, die nicht zu Klimaprotesten auf die Straße gehen, Kohlebagger besetzen, sich in Baumhäusern festketten oder für ihr Engagement ein Berufsverbot verpasst bekommen, wie es Lisa Poettinger erlebt hat, die in Bayern nicht als Lehrerin arbeiten darf. Bayern, wo man auch die Aktivisten der Letzten Generation besonders ruppig verfolgt.
Womit man schon beim Thema wäre. Denn wie kann Klimaprotest überhaupt noch wirksam werden, wenn herrschende Politiker und Staatsanwälte diesen Protest gar mit Terror gleichsetzen und die Aktivisten verfolgen, als wären sie eine neue RAF?
Das ist die Frage, die immer mitschwingt. Nicht nur in Deutschland. Immer öfter werden Umweltaktivisten getötet, wenn sie den Interessen von Konzernen und Regierungen in die Quere kommen. Und das in einer Welt, in der allerenden längst die Folgen eines aus dem Lot geratenen Klimas spürbar werden, die Regierungen der Welt nun Dutzende Klimaabkommen unterzeichnet haben, aber einfach nicht hinbekommen, ihre Länder endlich klimaneutral zu machen.
Weil sie vor allem – das behandelt Lisa Poettinger recht ausführlich – die Interessen ihrer Konzerne schützen, insbesondere der fossilen Konzerne, die mit dem Raubbau an Klima und Natur gewaltige Profite machen und damit auch gewaltigen Einfluss auf die Politik nehmen. Weltweit.
Selber schuld?
Es ist nicht einmal der biblische Kampf von David gegen Goliath, der hier stattfindet. Die Klimazerstörer sind nicht nur übermächtig, sie haben beste Beziehungen direkt in die Regierungen. Sie beeinflussen Medien und Parteien. Und wo sie sie nicht beeinflussen können, kaufen sie sie.
Im Grunde schildert Lisa Poettinger einen ohnmächtigen Kampf. Einen Kampf, in dem die Menschen auch gegeneinander ausgespielt werden. Angefangen damit, dass ihnen die Verantwortung zugeschoben wird und ihnen mit einem „Ökologischen Fußabdruck“ suggeriert wird, sie selbst seien schuld, dass ihr tägliches Konsumverhalten das Klima zerstört.
Zur Trauer über die Folgen kommt auch noch das schlechte Gewissen. Und zur Wahrheit gehört auch: Viele Klima-Kämpfer schüren dieses schlechte Gewissen auch noch. Und das kommt ganz schlecht an. Denn damit verschrecken sie auch all jene, die eigentlich längst genauso unter den Klimaextremen und den Folgen leiden, aber nichts daran ändern können, weil sie sowieso schon zu den abgehängten sozialen Schichten gehören.
Im Grunde benennt Lisa Poettinger ein ganz wesentliches Problem, auch wenn sie dabei nicht aus der Argumentationswelt der Klimaaktivisten herauskommt. Was besonders deutlich wird, wenn sie wieder all die Argumente gegen die Grünen herauskramt, mit denen Klimaaktivisten den Grünen vorwerfen, sie würden – wenn sie in Regierungsverantwortung kommen – ihre eigenen Ideale verraten.
Was schon seltsam klingt in einer Zeit, in der gerade Parteien wie CDU, CSU und AfD ein veritables Grünen-Bashing betreiben und versuchen, die Partei, die sich Klimaschutz ja tatsächlich auf die Fahnen geschrieben hat, aus jeder möglichen Regierungsbeteiligung herauszudrängen. Und damit auch das Thema Klimaschutz abzuwürgen, wie es in der neuen Bundesregierung ja gerade passiert.
Natürlich fehlt hier eindeutig ein Kapitel, das sich mit der Funktionsweise der Demokratie beschäftigt. Und der seit 45 Jahren virulenten Frage, wie man außerparlamentarischen Protest – in diesem Fall Klimaprotest – eigentlich in staatliches Handeln bringen kann. Wie soll das gehen, wenn man selbst die eine Partei, die sich da engagiert, für unzurechnungsfähig erklärt?
Klima-Ungerechtigkeit
Radikales Denken kann sehr fruchtbar sein. Aber auch sehr zerstörerisch, wenn es eine Wir-gegen-die-Mentalität ausbildet. Und dabei auch vergisst, Brücken in die Mehrheitsgesellschaft zu schlagen. Denn Lisa Poettinger stellt es ja zu Recht fest, dass viele Menschen, gerade die mit prekären Einkünften, prekären Wohnsituationen und hochbelastenden Jobs, jetzt schon unter den Folgen der Klimaerhitzung leiden.
Und damit eigentlich ähnliches erleben wie die Menschen im globalen Süden, deren Länder in der Geschichte von den reichen Ländern des Nordens ausgeplündert wurden und auch heute noch ausgeplündert werden, straff an der Kandare gehalten mit riesigen Schuldenbergen, die die reichen Nationen des Nordens gar nicht erlassen wollen.
Denn das ist das beste Erpressungsinstrument, das dafür sorgt, dass die Länder des Südens nicht nur keine neuen Konkurrenten auf dem Weltmarkt werden, sondern auch ihre Rohstoffe billig hergeben müssen und Umwelt- und Klimazerstörung fast wehrlos erdulden müssen.
Das muss auch gesagt und immer mitbedacht werden. Beim Klima geht es immer auch um die soziale Frage. Und nichts ist fataler, als die Kosten einer Klimapolitik dann einfach auf die eh schon in Knappheit lebenden Menschen abzuladen. Doch genau das ist – in konservativ regierten Ländern – stets der einfachste Weg.
Man lädt die Kosten der notwendigen Veränderungen (oder auch einfach verpeilter Politik) bei denen ab, die sich nicht wehren können. Die nicht mit Aktenkoffer ins Ministerium marschiert kommen und auch keine Kampagnen in der Boulevardpresse anzetteln können, die keine Parteispenden geben und keine Rechtsanwälte bezahlen können, weil sie jeden Tag eigentlich nur beschäftigt sind damit, sich ihrer Haut zu wehren und das Nötigste für den Lebensunterhalt zu verdienen.
Wobei Lisa Poettinger etwas Wichtiges betont: Dass die Klimazerstörung natürlich die direkte Folge auch eines ungerechten Wirtschaftssystems und einer enthemmten Profitgier ist, eines Systems, in dem wir alle leben und in dem gerade diejenigen, die davon am meisten profitieren, überhaupt kein Interesse daran haben, irgendetwas daran zu ändern.
Und das sind nicht die Menschen aus der Mitte, die längst genauso verunsichert sind wie die wütenden jungen Menschen auf der Straße, aber zusätzlich zu den Klimaängsten längst auch Ängste um ihren sauer verdienten Wohlstand haben.
Klima- und Wohlstandsängste
Das fehlt ein bisschen in Lisa Poettingers Analyse: Dass auch diese Verlustängste zu Politik werden und Menschen, die derart in Panik um den Erhalt ihres Status und ihres Wohlstands sind, meist aus purer Angst die Parteien wählen, die ihnen mit falschen Argumenten einreden, dieser Wohlstand sei sicher. Obwohl nichts sicher ist. Schon gar nicht in einer Welt, in der die längst sichtbaren Folgen des Klimawandels allerenden zuschlagen mit Überschwemmungen, Dürren, Orkanen, Ernteausfällen, steigenden Preisen für Lebensmittel usw.
Nur: Wie kommt man da wieder heraus? Und da geht es dann um Visionen. Echte und gangbare Visionen. Und damit um gangbare Politik. Die natürlich nicht zustande kommt, wenn sich Klimaaktivismus nur in Protest artikuliert und in Lösungsvorschlägen, die für die Mehrheit der Menschen nicht attraktiv und nachvollziehbar sind.
Ganz zu schweigen vom apokalyptischen Denken dahinter, auch wenn Lisa Poettinger versucht, dem die Spitze zu nehmen und an etwas zu erinnern, was natürlich die Klimazerstörer versuchen, mit aller Macht aus den Köpfen zu vertreiben: Dass auch jetzt noch nicht alles verloren ist. Dass Menschen auch in Zukunft noch handeln können. Nur die Spielräume sind enger geworden.
Und die Gesprächsebenen sind geschmolzen, auf denen Lösungen verhandelt werden können. Das wird nicht ohne Politik gehen, auch wenn Lisa Poettinger betont, dass sie kein Handbuch schreiben wollte, wie man aus der Klimakrise am besten wieder herauskommt, sondern verschiedene Perspektiven sichtbar machen möchte, „die uns Orientierung in der Vielschichtigkeit und Verwobenheit des voranschreitenden ökologischen Kollapses geben können“.
Was dann auch nicht ganz trifft, was sie in ihrem Buch recht systematisch versammelt. Denn „vielschichtig und verwoben“ sind bestenfalls die menschlichen Reaktionen auf die zunehmende Klimazerstörung. Die noch kein Kollaps ist, aber mit Volldampf darauf zusteuert.
Eben weil Menschen verführbar, verängstigt, ratlos und verstrickt sind in die Bedingungen, unter denen sie ihr Leben fristen und ihren Lebensunterhalt verdienen. Bei den Lösungen deutet Lisa Poettinger durchaus an, dass es – aus ihrer Sicht – um Degrowth geht und ein „Grünes Wachstum“ nichts anderes ist als ein Etikettenschwindel, stattdessen die Probleme eines ungehemmten Wachstums nur mit als „grün“ verkauften Technologien in die Zukunft fortschreibe. Mit weiter wachsendem Energieverbrauch und rücksichtsloser Rohstoffausbeute.
Es geht ums Handeln
Es ist das neue Heilsversprechen der immer mehr beschleunigten kapitalistischen Wirtschaft, die in sich selbst ganz offensichtlich keinen Schalter hat, mit dem sie einfach auf Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Genügsamkeit geschaltet werden kann. Und vollmundig machen sich Politiker zum Sprachrohr dieser entfesselten Wirtschaft. Und reden den Wählerinnen und Wählern ein, das wäre der sichere Weg, den Wohlstand zu bewahren.
Obwohl selbst die skeptischsten Wähler wissen, dass das nicht gut gehen wird. Immer weiter beschleunigen und mit Volldampf in den Klimakollaps? Was ist das für ein Angebot? Es ist keins.
Und so ahnt man mit Lisa Poettinger, dass es nicht nur darum geht, mit den umweltbezogenen Gefühlen umzugehen und mit Ängsten und Depressionen zurechtzukommen und die Klimaangst irgendwie zu bändigen. Es geht auch nicht nur um den Klimaaktivismus, obwohl ohne diesen das Thema kaum noch in der öffentlichen Debatte vorkommen würde.
Es geht um Handlungsfähigkeit. Und zwar nicht nur auf persönlicher Ebene, sondern auf der gesellschaftlichen. Dort, wo das Wissen darum, dass wir unser ganzes Wirtschaften ändern müssen, politisch umgesetzt werden kann. Das geht nicht ohne Parteien, die in den Köpfen nicht nur von Aktivisten augenscheinlich zu so etwas wie verschworenen Klüngelgruppen geworden sind, die sich an ihre eigenen Versprechen nicht mehr halten.
Das ist eine Stelle, an der man merkt, dass selbst das grundlegende Verständnis für das Funktionieren einer Demokratie verloren zu gehen droht. Während Rechtsradikale und Populisten sehr wohl gelernt haben, wie man seine Parteien zu Bollwerken für die Zerstörung der Demokratie machen kann, werden demokratische Parteien wie geschlossene Gesellschaften betrachtet, in denen eine „abgehobene politische Elite“ ihr eigenes weltfremdes Süppchen kocht.
So werden Narrative der Rechtsextremen bedient und wird die reale Chance vertan, selbst über Politik Einfluss zu nehmen auf das, was tatsächlich verändert werden kann.
Es geht um machbare Visionen
Was übrigens auf lokaler Ebene beginnt, wo die Politik oft schon viel weiter ist als auf der Landes- und Bundesebene, aber finanziell systematisch ausgeblutet wird. Denn der zentrale Punkt von Poettingers Analyse stimmt nun einmal. Im Kapitel „Kapitalismus & Umwelt“ handelt sie ihn ab.
Wir leben in einer entfesselten kapitalistischen Gesellschaft, die aus sich heraus keine Lösungen für den Klimakollaps hat. Diese Lösungen können nur von außen kommen – aus der Gesellschaft, aus der Politik. Weswegen die großen Konzerne und ihre Lobbyorganisationen vor allem gegen eins wettern: die Eingriffe des Staates durch Regeln und Gesetze. Gern verkauft unter dem Label „Bürokratieabbau“.
Aber die Richtung, in der wir unsere Gesellschaften umbauen und am Ende auch klimafest machen müssen, kann nur den durch uns alle finanzierte Staat geben. Der viel zu oft nur das Instrument von Besitzstandwahrung und einer ungerechten Wohlstandsverteilung ist. Das braucht Visionen und nachvollziehbare Lösungsansätze.
Im Grunde fasst Lisa Poettinger in ihrem Buch alles zusammen, was man als Klimaaktivist wissen kann und sollte. Das ist schon eine Menge und dürfte manchen naiven Wohlstandsbürger überfordern. Aber es ist nicht das Klima, das zu komplex ist, sondern es ist die menschliche Gesellschaft. In der Klimaprotest heute geradezu isoliert erscheint.
Als wäre das nur noch die Angelegenheit einer kleinen, unermüdlichen Gruppe von Menschen, die für ihren berechtigten Protest auch noch Gefängnis und Berufsverbot riskieren. An der Stelle läuft eine Menge falsch. Und das hat – wie Lisa Poettinger durchaus berechtigt anmerkt – sehr viel mit der sozialen Frage zu tun. Mit all den sowieso benachteiligten Menschen auch in unserer Gesellschaft, die schon jetzt unter den Folgen des Klimawandels stärker leiden als die Reichen und Wohlhabenden.
Aber statt sie für eine (klima-)gerechtere Bewegung zu gewinnen, verliert man sie an populistische Parteien, die den Zorn und die stille Wut ausgerechnet gegen die Parteien kanalisieren, die überhaupt noch soziale Problemlösungen auf der Agenda haben.
Auch das ein Thema für unsere heutige Gesellschaft: Wie mit Lobbyismus und Fakenews die falschen Probleme gepuscht und die falschen Lösungen in die Köpfe gebracht werden. Während jede Bemühung, eine echte Klimawende hinzubekommen, angeschwärzt und verteufelt wird.
Das macht zusätzlich ratlos und hoffnungslos. Macht aber auch deutlich, dass es einen wirksamen Klimaaktivismus ohne echtes politisches Engagement nicht geben kann. Das geht über das Buch hinaus, auch über die von Lisa Poettinger vorgestellten „Strategien für Umweltgerechtigkeit“.
Aber das Stichwort Umweltgerechtigkeit macht deutlich, wo Politik ansetzen muss. Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Akzeptanz dafür, dass unsere Gesellschaft sich ändern muss. Und das auch kann. Aber eben nur, wenn die Mehrheit mitzieht und ihr die Zukunft nicht als Zusammenbruch, Katastrohe und Untergang verkauft wird.
Lisa Poettinger Klimakollaps und soziale Kämpfe oekom Verlag, München 2025, 18 Euro.Empfohlen auf LZ
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