Der Untertitel macht es deutlicher, worum es der Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität Köln eigentlich geht: „Warum wir nicht zum Klimaschutz verpflichtet sind und worin unsere Verantwortung eigentlich besteht“. Es ist ein Versuch, ein Dilemma zu lösen, in dem viele Menschen stecken: Sie würden ja gern etwas wirklich Wirksames gegen den Klimawandel und seine katastrophalen Folgen für uns tun. Aber während man sich bemüht, steigen die Emissionen trotzdem immer weiter an. Ein Dilemma. Wohl auch für Juristen.

Und natürlich beschreibt Frauke Rostalski ein Dilemma. Nur eins von vielen. Denn natürlich stellt der Klimawandel eine Bedrohung dar, wie sie die Menschheit so in ihren letzten Jahrtausenden nicht erlebt hat. Denn wenn wir die Aufheizung der Atmosphäre nicht bremsen, wird das Leben für die folgenden Generationen unerträglich, irgendwann unmöglich.

Der Mensch hat im Lauf der letzten Jahrhunderte eine Fähigkeit erlangt, die globalen Bedingungen derart zu verändern, dass es natürlich außer Frage steht, dass der Klimawandel, den wir jetzt erleben, menschengemacht ist. Angeheizt von Millionen Tonnen fossiler Brennstoffe, die seit 200 Jahren die industrielle Revolution befeuert haben und natürlich erst den Wohlstand ermöglicht haben, der für heutige Bewohner des globalen Nordens normal geworden ist. Sie kennen es gar nicht anders.

Und gleichzeitig geht da so eine Ahnung um, dass es damit bald vorbei sein könnte, wenn die Klimaextreme zuschlagen. Aber wer kann, soll, muss das eigentlich verhindern? Das geht doch über die Kraft des Einzelnen hinaus!

Stimmt.

Eine Lösung nur auf globaler Ebene?

Tatsächlich ist Rostalskis Buch vor allem eine Verteidigung gegen eine Art von Argument, das einige Teile der heutigen Klimadebatten bestimmt und viele Menschen – oft auch berechtigt – sauer und wütend macht. Nämlich die Vorwurfshaltung, jeder Einzelne sei mit seinem Lebensstil schuld daran, dass die Emissionen immer weiter steigen und kein einziges der Klimaabkommen seit Rio, Kyoto oder Paris daran irgendetwas geändert hat. Was Rostalski zu einem an sich logischen Schluss kommen lässt: Da der Klimawandel ein globales Problem ist, das alle Staaten auf der Erde betrifft, kann es auch nur global gelöst werden.

Was einerseits stimmt: Alle Klimabemühungen in einem einzelnen Land – wie z.B. Deutschland – laufen ins Leere, wenn andere Großemittenten klimaschädlicher Gase immer weiter Kohle, Öl und Gas verteuern und ihre Emissionen auch noch steigern. Und wenn das riesige Länder wie China und Indien sind, fällt jede deutsche Anstrengung natürlich umso mickriger aus. Also ein vergebliches Bemühen?

Das Problem an Rostalskis durchaus anregender Schrift ist: Sie betrachtet die Sache ganz juristisch, untersucht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genauso wie die Bekundungen des Deutschen Ethikrates, in dem sie selbst Mitglied ist, aber deutlich gegen die vom Ethikrat bekundete Mehrheitsmeinung votiert hat. Mit denselben Argumenten, die sie in diesem Buch ausfĂĽhrt.

Stellenweise sehr emotional, denn ganz offensichtlich lebt sie auch in Kreisen, in denen heftig und oft über die Scham diskutiert wird, die dadurch entsteht, dass Menschen, die nach außen Klimaschutz und Bewahrung der Schöpfung bekunden, immer wieder dabei ertappt werden, dass ihr Lebensstil – rein rechnerisch – überhaupt nicht klimaverträglich ist. Stichworte Flugscham, SUV, Fleischkonsum, hoher Energieverbrauch usw.

Schuld und Scham

Mit dem CO₂-Rechner des Umweltbundesamtes kann ja jeder selbst ausrechnen, wie groß sein ganz persönlicher CO₂-Fußabdruck ist. Der nun wieder – das hat sich ja herumgesprochen – dereinst eine Erfindung eines der großen fossilen Konzerne war: des Öl- und Gas-Konzerns BP, der den carbon footprint im Jahr 2003 lancierte, um natürlich vom eigenen, dreckigen Geschäft abzulenken.

Denn wenn jeder einzelne Konsument verantwortlich gemacht wird für seine eigene, ganz persönliche Klimabelastung, dann scheinen ja die wachsenden Emissionen weltweit nicht die Schuld von profitgierigen Fossilkonzernen zu sein, sondern von lauter einzelnen Konsumentenentscheidungen.

Man sieht also den Zeigefinger, der von den schmutzigen Energiekonzernen und ihrem Geschäftsmodell weg führt und nun auf jeden einzelnen Menschen zeigt. Der ist es nun, der auf einmal an allem schuld ist, wenn er weiter seinen Diesel fährt, seine Würstchen grillt, Flugananas kauft, chinesische Haushaltsgeräte und was der Verursacher hoher CO₂-Emissionen mehr sind, die nun einmal unsere komplette Konsumwelt ausmachen.

Und das führt natürlich zu Verzweiflung bei allen, die da gern herauswollen und merken: Es nützt nichts. Die Emissionen bleiben hoch, egal, wie sehr man selbst verzichtet, sein Leben möglichst umweltfreundlich gestaltet – Klamotten im Second-Hand-Laden kauft, Nahrungsmittel im Bio-Laden, auf den Flug nach Australien verzichtet und was der Möglichkeiten mehr sind, den eigenen CO₂-Fußabdruck tatsächlich zu minimieren.

Nur kommt da – wie Frauke Rostalski richtig feststellt – die Trittbrettfahrerei ins Spiel. Die einen verzichten und versuchen ihr Leben zukunftsfähig umzubauen. Und die anderen lassen erst recht die Sau raus und heizen auf Teufel komm raus. Nicht nur auf der individuellen Ebene, wo das sehr schnell zu unaushaltbaren und unlösbaren Konflikten führen kann, weil sich die Ansichten unerbittlich gegenüber stehen.

Sondern auch auf nationaler Ebene. Weswegen Rostalski kurzerhand auch das Pariser Klimaabkommen von 2015 für komplett gescheitert erklärt. Es enthält keine Sanktionen und auch keinen wirksamen Ausgleichmechanismus, und so auch keine wirksamen Instrumente, die die Klimasünder unter den Ländern animieren würden, endlich auch die Weichen umzustellen.

Was soll denn nun der Einzelne?

Womit sich die Katze in den Schwanz beißt: Rostalski sieht nur auf globalen Ebene die Möglichkeit, wirklich effektiven Klimaschutz zu organisieren (zum Beispiel mit dem Mechanismus einer CO2-Abgabe) und stellt gleichzeitig fest, dass alle internationalen Abkommen zu dem Thema am Ende nichts genutzt haben.

Das kann einen schon frustrieren. Erst recht, wenn Frauke Rostalski feststellt: „Der Klimawandel stellt die gesamte Menschheit vor eine Herausforderung. Sie kann nur kollektiv gemeistert werden. Kooperation ist daher der Schlüssel zur Bewältigung der Gefahren durch den Klimawandel.

Anders sehen kann dies allein, wer Verantwortung mit einer richtigen Haltung bzw. guten Gesinnung gleichsetzt. Nur dann ist es möglich, sich gegenüber der Natur des Problems blind zu machen, mit dem wir es hier zu tun haben, und eine normative Loslösung von der Wirklichkeit behaupten.“

Das ist übrigens eine These, die zu beweisen wäre. Man hat beim Lesen ihrer durchaus begründeten Argumentation immer wieder das Gefühl, da fehle etwas. Da ist zu viel Emotion dabei, zu viel Kränkung – auch die einer Gesellschaftsschicht, die mitten in diesem moralischen Dilemma steckt.

Das benennt Rostalski im Kapitel „Und was sollen Einzelne tun?“ auch direkt: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier von nicht gerade wenigen ein großes Moralspektakel aufgeführt wird, während die realen Einsparungen an CO₂ mehr als überschaubar bleiben. Philipp Hübl beschreibt, wie sehr individuelle moralische Selbstdarstellungen Teil eines großen gesellschaftlichen Statusspiels sind. Moralisches Kapital schafft Macht …“

Was es ja auf den Punkt bringt: Der einzelne Mensch – auch der von seinem Status so besessene Bürger aus der Mittelschicht – steckt in einem moralischen Dilemma: Es gibt kein Gesetz, das irgendjemanden verpflichtet, das Klima zu retten. Nicht einmal das Grundgesetz gibt das her, auch wenn da sehr schöne Aussagen zu Menschenwürde und Schutz des Lebens stehen.

Und Frauke Rostalski diskutiert gerade den Aspekt des Lebensschutzes sehr intensiv. Wie weit reicht der? Gibt es da klar definierte Grenzen? – Gibt es natĂĽrlich nicht. Denn der Mensch lebt nun einmal in mehreren ZwickmĂĽhlen zugleich. Eine ist die zwischen Freiheit und Gesetz.

Lebensschutz und Freiheitsrechte

Wie weit darf ein Staat gehen, um die Freiheiten seiner Bürger zu beschränken? Eine hochgradig aktuelle Frage, zuletzt heftig diskutiert am Beispiel der Corona-Maßnahmen. Darf der Staat einfach mit der Begründung, Leben schützen zu wollen, Freiheitsrechte der Bürger drastisch beschneiden? Oder sollte er darauf bauen, dass die Bürger in freier Entscheidung schon irgendwie das Richtige tun? Fragen, die auch alle möglichen Corona-Untersuchungsausschüsse nie klären werden.

Fragen, die aber auch zunehmend auftauchen werden, wenn unsere Gesellschaft mit den Folgen der Klimaveränderungen zu kämpfen hat. Aber Rostalski hat natürlich recht, dass dahinter die Gefahr lauert, dem Staat mehr Rechte zuzugestehen, die über kurz oder lang zu einem autoritären Staat führen können, der die Freiheiten der Bürger tatsächlich aufhebt. Eine Gefahr, die freilich von der aktuellen Klimapolitik viel weniger droht als vom Auftrumpfen populistischer Parteien, die ihrerseits eine Menge tun, die Animositäten gegen Klimaschutzmaßnahmen größer und gewaltiger erscheinen zu lassen, als sie sind.

Denn – auch das erwähnt Rostalski: Die Mehrheit der Bürger ist sehr wohl bereit, mehr für den Klimaschutz zu tun. Aber viele Menschen leben nun einmal auch in ökonomischen Zwängen, die ihnen kaum eine Wahl lassen. Oder haben gar nicht die finanziellen Spielräume, ihren Lebensstil umzustellen. Sie sind geradezu darauf angewiesen, dass auf höherer Ebene die Grund- und Rahmenbedingungen geändert werden.

Und hier kann man Rostalski mit guten Gründen widersprechen, die diese höhere Ebene ganz allein auf dem globalen Parkett sieht. Wo wir ja nun tatsächlich beobachten können, dass es bis heute kein wirklich wirksames Klimaabkommen gibt, weil etliche Spieler an ihrer fossilen Wirtschaft festhalten.

Das klingt bei Rostalski so: „Zwar kommt es gegenwärtig nicht darauf an, ob der Einzelne sein privates Leben nach ökologischen Standards ausrichtet oder nicht. Allerdings wird dieser Tag kommen – und zwar dann, wenn es (endlich) gelungen ist, auf globaler Ebene eine Kooperation zu vereinbaren, die der Erderwärmung tatsächlich wirksam entgegenwirkt. Dann ist der Staat unmittelbar auf die Mitwirkung der Bürger angewiesen.“

Die Grenzen des Rechts

Das darf man dann wohl einen schönen Glauben und eine wohl eher unbegründete Hoffnung nennen. Aber man merkt: Es geht ihr nach wie vor um das moralische Dilemma, in dem wir alle stecken. Viele würden gern etwas Wirksames tun, um die Klimaerwärmung zu stoppen. Aber wer sorgt dann dafür, dass das globale Wirkungen entfaltet? Frauke Rostalski ahnt durchaus, dass sie mit ihrer Argumentation in ein Dilemma gerät, mit dem sie in Gefahr gerät, in die Phalanx der „Klimaleugner“ abgeschoben zu werden.

Ihre Krux steckt in so einem Satz: „Dass ein Unterschied darin besteht, das Menschengemachte des Klimawandels ganz grundsätzlich zu bestreiten oder beispielsweise – wie in diesem Buch – nationale Alleingänge als ineffektiv und daher weder ethisch noch rechtlich gerechtfertigt zu kennzeichnen, fällt dabei allzu schnell unter den Tisch.“

So gesehen stimmt das ja: Rechtlich ist kein einziger Staat verpflichtet, Klimaschutz zu betreiben. Im Grunde hat die gesamte Menschheit das Recht, ihren Planeten komplett zu ruinieren und das auch noch mit einer Abschiedsfeier und Feuerwerk zu zelebrieren. Keine Frage. Aber das bedeutet eben nur: Auf juristischem Gebiet kommt man der Sache nicht bei. Auch nicht der Scham, die einige Menschen ja tatsächlich empfinden im Angesicht einer zunehmend zerstörten Welt.

Aber das Argument mit den „ineffektiven nationalen Alleingängen“ ist nicht wirklich belastbar. Und ignoriert die Tatsache, dass es nicht nur beim Klimawandel, sondern auch beim Klimaschutz Kipppunkte gibt, die erreicht werden können, wenn sich gerade die entwickelten Staaten dazu entschließen, ihre CO₂-Emissionen systematisch zu senken und etwas so Zentrales wie die Energieerzeugung Stück für Stück von fossiler auf erneuerbare Basis umzustellen.

Was übrigens nicht nur in Deutschland passiert. Das ist oft der Scheuklappenblick, mit dem auch begründet wird, dass das „kleine“ Deutschland ja eh nichts machen könne. Steht also als Ergebnis tatsächlich: Wir können ja eh nichts tun?

Die andere Seite der Freiheit

Aber so entstehen keine Veränderungen. Veränderungen entstehen, wenn Menschen kooperieren. Und immer mehr mitmachen. Dazu braucht es keine globalen Verträge. Das braucht erst einmal Menschen, die sich entschließen, etwas zu tun. Und zwar gerade dann, wenn sie weder rechtlich noch moralisch dazu verpflichtet sind.

Das ist nämlich die andere Seite der Freiheit, die Frauke Rostalski vernachlässigt in ihrer Freiheits-Diskussion: Dass Menschen auch ohne Verträge und globale Grundsatzpapiere die Freiheit haben, die Dinge da zu ändern, wo sie leben. Also zum Beispiel auch Parteien zu wählen, die Klimaschutz auf ihre Fahnen schreiben. Und zwar nicht nur „ganz oben“, sondern auch vor Ort, wo es konkret wird.

Menschen mĂĽssen sich nicht gefallen lassen, dass die Regierungen der Welt keine sinnvollen und wirksamen Abkommen zustande kriegen. Freiheit spĂĽrt man nicht nur bei Klimaprotesten auf der StraĂźe, sondern auch im eigenen Tun. Egal, wie klein es ist. Das ist der Punkt, den Rostalski ĂĽbersieht. Beim Klimaschutz geht es nicht um eine rechtliche Verantwortung, sondern um die ganz individuelle menschliche Freiheit, etwas fĂĽr die eigene Umwelt und das Leben der Kinder und Enkel zu tun. Es ist – wenn man so sagen will – ein Freiheitsrecht.

Und zur Wahrheit gehört auch, dass die rechten Parteien das schon viel früher begriffen haben als die liberalen: Dass man das Thema nämlich nur umdeuten und den Leuten einreden muss, Klimaschutz gehe (nur) mit Verboten und Bevormundung einher und würde die Freiheit der Menschen einschränken oder gar beschneiden. Obwohl – wie auch Rostalski feststellt – das Gegenteil zutrifft: Fehlender Klimaschutz schränkt die Freiheiten aller zukünftigen Generationen ein und vernichtet sie wahrscheinlich auch.

Es geht nicht ums Sollen, sondern ums Können

Es geht bei der Zukunftsdebatte nicht um Lebensschutz, auch wenn Rostalski das ins Zentrum ihrer Analyse rückt. Es geht tatsächlich um den Schutz unserer Freiheit und der Freiheit aller künftigen Generationen, ein würdevolles Leben auf einem lebendigen Planeten führen zu können.

Genau das ist die Fehlstelle in dieser ansonsten gut nachvollziehbaren Debatte eines Themas, das uns längst alle beschäftigt. Und bei dem sich jeder Einzelne immer wieder die Frage stellt: Was kann ich tun?

Noch so eine Fehlstelle, die auch der Titel schon suggeriert. Nein, es geht nicht um die Frage, was wir tun sollen. Da ist man schnell beim autoritären Staat. Es geht um das Können, um unsere Fähigkeit als Mensch, uns für eine möglichst große Option der Freiheit zu entscheiden. Und dabei – da hat Rostalski wieder recht – Verantwortung zu übernehmen für unser eigenes Tun.

Denn Freiheit ohne Verantwortung gibt es nicht. Kann es nicht geben. Damit wird das Thema genau dahin zurückgespiegelt, wo es hingehört: zu uns selbst und der Frage, die wir uns tatsächlich stellen dürfen: Was kann ich selbst dazu beitragen, dass auch unsere Kinder und Enkel einen lebenswerten Planeten vorfinden? Das ist hochpolitisch und hat mit dem verkniffenen Statusdenken eines zutiefst beleidigten Bürgertums so gar nichts zu tun.

Es zeigt auf völlig andere Art auf uns als der von BP erfundene carbon footprint. Denn es macht uns klar, dass wir alle Handelnde sind. Und unser alle Handeln am Ende bestimmt, wohin die Reise geht, ob wir da, wo wir leben, unser Teil dazu beitragen, dass am Ende alle die Kurve kriegen. Was auch erleichternd ist. Denn wir sollen nicht. Aber wir können.

Frauke Rostalski „Wer soll was tun?“ C. H. Beck, München 2025, 18 Euro.

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