Die größte Gefahr für die Energiewende sind Märchen und Mythen, stellt Gerd Schöller fest. Er weiß, wovon er redet. Er ist Geschäftsführer der Energiefirma Schoenenergie in Föhren und installiert all jene Systeme, mit denen Unternehmen, Privatleute und Kommunen ihre Energiebasis klimafreundlich machen können. Denn die Technik ist da, vieles davon in Deutschland entwickelt. Doch statt dass das vielgerühmte Land der Ingenieure einfach die neuen Technologien flächendeckend ausrollt, verhakelt es sich in Missmut, Geht-Nicht, Klappt-Nicht, Märchen und Mythen.
Es ist genauso wie mit Digitalisierung und Glasfaserausbau. Es kleckert, bleibt Flickenteppich. Und Deutschland blamiert sich im Vergleich mit den europäischen Nachbarn, die binnen kürzester Zeit solche Programme umsetzen. Woran liegt es? Oder kann es sein, dass die Deutschen sich nur einbilden, ein modernes Völkchen zu sein, in Wirklichkeit aber eher dem Bild des beleidigten Miesepeters gleichen, der hinter seinem Knallerbsenstrauch steht und darüber mault, dass sich ständig alles verändert? Das will er nicht. Das ist ihm ein Graus.
Im Grunde räumt Schöller in diesem Buch mit den Mythen über die Deutschen auf, die glauben, sie wären innovativ und Weltmeister im Fortschritt. Sind sie nicht. Sie sind eher gelernte Bremser, Nörgler und Verhinderer. Und rechnen lieber gigantische Zahlen zusammen, um sich selbst zu beweisen, dass die Energiewende in Deutschland unmöglich ist. Obwohl sie längst läuft.
Die Vorreiter-Rolle der Unternehmen
Schöller ignoriert ja die Entwicklung nicht. Während Politik und Medien voller Bilder des Untergangs, des Unvermögens und der falschen Verheißungen sind, geht der Umbau des Landes hin zu einer klimafreundlichen Energieversorgung längst voran – langsam aber stetig.
Und vorangetrieben eben nicht nur von Kommunen und Stadtwerken, die gegen politische Widerstände auf allen Ebenen anarbeiten, sondern auch von Unternehmern, die sich einfach mal den Taschenrechner geschnappt haben und durchgerechnet haben, wie viel Ersparnis eigentlich der Umbau der Energieversorgung im Unternehmen von Gas auf Solar und Erdwärme bringt.
Und noch ein paar Sachen mehr. (Mit dem Strompreis-Gejammer der Unternehmen räumt er so nebenbei auch auf.) Denn natürlich ist die Energiewende komplex. Wäre sie es nicht, Schöller hätte kein Buch mit 200 Seiten schreiben müssen, um den Lesern zu erklären, was da gerade abgeht.
Er kennt seine Pappenheimer. Und er weiß auch, dass es die Unternehmen selbst sind, die der Energiewende richtig Dampf machen könnten, wenn sich nur die Geschäftsführer einmal hinsetzen und ihre Energiebilanz durchrechnen würden. Das Problem ist nicht die Technik. Es ist alles da, stellt Schöller fest. Und die Preise für alle Bauteile der Energiewende sind seit Jahren im Sturzflug, während die Leistungsparameter von Solaranlagen und Windkraftanlagen permanent steigen.
Das Problem ist ein anderes: „Warum tun sie es nicht“, fragt Schöller. Und kennt die Antwort ja selbst: „Aus meiner Sicht ist die Antwort auf diese Frage, dass die Energiewende auch für Unterfnehmen zuvörderst kein technisches, sondern ein psychologisches Problem ist.“
An anderer Stelle benennt er es auch: Es ist die massive Scheu vor Veränderungen, manchmal auch Faulheit, manchmal das alte Bauern-Denken: Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht. Punkt. Aus die Maus. So agieren Bürger, Unternehmen, etliche Medien, viele Politiker. Lieber malt man ungeheure Bilder, wie schwer und unmöglich alles ist. Und lässt es dann eben erst mal zwei Jahrzehnte lang sein. Wertvolle und vertrödelte Jahrzehnte.
Wie die Fossilen um die Deutungshoheit kämpfen
Dass bestimmte Medien eifrig selbst miese Stimmung machen, weiß Schöller. Denn natürlich kämpfen die alten Fossilkonzerne, ihre Aktionäre und Lobbygruppen mit allen Mitteln gegen die Veränderung. Denn die zerstört ja ihr Geschäftsmodell, mit dem sie derzeit imme rnoch Milliardenreibach machen. Sie kaufen sich Medien und Politiker. Hinter dem deutschen Genörgel steckt also auch ein milliardenschweres Interesse. Sie hämmern den Leuten im Grunde täglich ihr „Geht nicht“, „Können wir nicht“, „Wollen wir nicht“ in die Köpfe.
Samt allen Märchen über „leistungsschwache“ E-Autos, „teuren“ Strom aus Solar und Windkraft, Ministern, die den Leuten ihre Gasheizungen rausreißen wollen, der „Klimafreundlichkeit“ von Kernkraft und Gaskraftwerken und was der Märchen mehr sind, die im Land vor sich hin kochen. Und die Leute einfach daran hindern, sich über die realen Preise zu informieren. Und über die Technologie, mit der sie selbst ihre eigene Energiewende gestalten können.
Aber als Unternehmer weiß Schöller auch, wieviele Hürden die Politik inzwischen aufgebaut hat, die alles kompliziert und bürokratisch machen. Aufgebaut in der Regel von denselben Parteien, die immer „zu viel Bürokratie“ brüllen. Aber Bürokratie ist das Ergebnis von Gesetzen, mit denen Dinge gebremst und erschwert werden sollen. Ausgedacht oft genug von Lobbyisten, die ihren Ministern und Ministerinnen geradezu auf den Schoß kriechen.
Welche bürokratischen Eiertänze für die Genehmigung von modernen Energiemodulen oft geleistet werden müssen, weiß Schöller aus Erfahrung. Deswegen hat er sich ja hingesetzt und sein Buch geschrieben. Im Wesentlichen noch 2024, als sich auch die Unternehmen der Energiewende über das Gemurkse der Ampel in Berlin ärgerten. Mittlerweile gab es ja eine Bundestagswahl und einen neuen alten US-Präsidenten und Deals über dreckiges Frackinggas aus den USA, bei denen sich jeder, dem die Energiewende am Herzen liegt, nur an den Kopf fasst. Was soll das?
Längst ist Strom aus Solar und Windkraft in Deutschland billiger als der Strom aus jeder traditionellen fossilen Energieanlage. Und das schon seit den Jahren 2011 und 2012. Doch das Märchen vom teuren Strom aus alternativen Anlagen hält sich bis heute. Gern gekoppelt mit den Erzählungen von „Dunkelflaute“ und nötiger Grundlast, für die man unbedingt Kohle und Gas (und in Bayern Kernkraft) zu brauchen glaubt.
Obwohl längst die nächste Welle rollt: Überall in Deutschland werden Speicher gebaut, um den in Überlastzeiten produzierten Wind- und Sonnenstrom zu speichern, damit er in Flautezeiten ins Netz gespeist werden kann.
Das moderne Stromnetz muss smart sein
Das schafft die nächste Knobelaufgabe – nämlich für die Netzbetreieber, die Zugangspunkte schaffen müssen, damit zusätzliche Stromlieferungen rein- und raus gehen können. Was wieder mit der digitalen Ausstattung der Netze zu tun hat und dem berühmten Smartmeter, der eigentlich längst in jedem Haus hängen sollte, aber nicht hängt. Denn die Energiewende muss hochgradig smart und intelligent sein, damit die Volatilität der Stromerzeugung austariert werden kann.
Es ist im Grunde ein einziges riesiges ingenieurtechnisches Projekt, das Deutschland in den vergangenen Jahren hätte vorantreiben können, um sich zukunftssicher zu machen. Es aber nicht getan hat. Siehe oben: Jammern ist erst mal billiger. Auch wenn es langfristig bedeutet, dass Deutschland viel zu spät eine eigene, komplette Energieversorgung auf erneuerer Basis hat und nicht mehr Milliarden Euro für importiertes Erdgas und importierte Steinkohle ausgeben muss.
Lieber wird geflickschustert, werden E-Autofahrer mit einem Flickenteppich von Tarifen vergrätzt, bauen deutsche Autobauer lieber weiter fossile Luxuskarossen, als Chinesen und Amis mit cleveren E-Autos den Schneid abzukaufen. Was sie zwar stellenweise tun – nur um dann wieder das Lied vom hochentwickelten Verbrenner zu singen. Hü und Hott, je nach Wetterlage.
Und dabei könnte Deutschland mit dem Ausbau von Windkraft und Solar so viel billigen Strom bekommen, dass die Preise ständig fallen würden und eher die Frage steht, ob man mehr Geräte ans Netz hängen kann, die den überschüssigen Strom aufnehmen – also mehr Speicher, mehr E-Autos, mehr Wärmepumpen.
Mehr lokale Netze, die sich selbst regeln. Mehr Stromgemeinschaften vor Ort, sodass der selbstproduzierte Strom gar nicht erst in die Übertragungsnetze geht und all die Kosten verursacht, die den Strompreis in Deutschland so hoch erscheinen lassen.
Die Vergessenen der Energiewende
Schöller verweist immer wieder auf umgesetzte Projekte. All da ist kein Hexenwerk, sondern ausgetestet und in die Realität umgesetzt. Und er weiß auch, warum die derzeitige Politik nicht funktionieren kann. So schön sie zuweilen verkauft wird. Sie verliert den eigentlichen Nutzer völlig aus den Augen. Den Nutzer, der sich den Einbau von Wärmepumpen oder Solaranlagen gar nicht leisten kann oder als Mieter gar keine Macht darüber hat, erst recht.
Doch dieser Nutzer wird derzeit bestraft. Er kann nicht auf erneuerbare Energien umsteigen, ist von seinem Versorger und seinem Vermieter abhängig – und zahlt nicht nur den teuren Strom usw., sondern auch die CO₂-Umlage. Das ist dann das deutsche Denken: Man glaubt, mit einer Strafgebühr bringt man die Menschen zum Umdenken. Nur dummerweise weichen dann genau diejenigen, die es sich leisten können, aus, bauen sich das Dach mit Solartechnik voll und beheizen das Haus mit Erdwärme. Ätsch.
Und die anderen? Schöller plädiert für ein anderes Herangehen, nämlich die Belohnung für alle Einsparungen. Klartext: „Wir können es uns nicht leisten, die Energiewende zu einem Thema werden zu lassen, das sich nur noch die gehobene Mittelschicht leisten kann. Wir müssen alle mitnehmen. Die Klimafrage und die soziale Frage müssen zusammen gedacht werden. Sonst erledigt die soziale Frage die Klimafrage. Erst kommt nämlich das Fressen und dann die Moral.“
Recht hat er.
Warum fossile Kampagnen funktionieren
Und im Grunde spricht er damit auch den Punkt an, warum die Kampagnen der fossilen Konzerne und Parteien so leicht den Wähler erreichen. Sie holen ihn in seiner empfundenen Hilflosigkeit ab. Und suggerieren ihm gleich noch den Untergang der Nation, wenn er seinen Spritfresser nicht mehr fahren „darf“ und seine Gasheizung „weggenommen“ wird. Darin sind die Boulevard-Medien Spitze, den Leuten genau solche Bilder zu malen und sie hilflos, ratlos und wütend zu machen.
Und damit eben leider auch die Wählermacht aufzubauen, die die Energiewende in Deutschland seit Jahren bremst. Logisch, dass Schöller da die Führungsrolle eher bei Unternehmen sieht, wo die Chefs sich einfach nur hinsetzen müssen und durchrechnen, was ein Umstieg auf erneuerbare Energie im Laden für Ersparnisse bringt. In einem Unternehmen ist das bares Geld. Und wer sich dann beraten lässt, merkt schnell, dass nicht nur die Technologie längst zur Verfügung steht, sondern dass man mit dem eigenen Umbau auch die Netzbetreiber vor Ort zum Handeln bringt und die Dinge im Bewegung setzt.
Und da Schöller mit den Leuten immer auch geredet hat und mitgekriegt hat, an welchen Stellen Projekte scheiterten, weiß er auch, dass die ganze Energiewende vor allem Psychologie ist: Denn wenn die Politik immer wieder zögert, die Rahmenbedingungen ständig ändert, Förderungen mal gewährt, dann wieder streicht, dann zögern nicht nur Privatleute, sondern auch Unternehmen.
Nichts ist mehr Gift für eine technologische Revolution (was die Energiewende nun einmal ist) als Unsicherheit, Herumgezappel und fehlende Verlässlichkeit mit stabilen Rahmenbedingungen. Da platzt nicht nur den Geschäftsführern von Stadtwerken die Hutschnur, da werden auch kleine und mittelständische Unternehmen irre.
Die Zeit läuft
Nur weist Schöller eben auch bei den meisten untersuchten Lösungen darauf hin, dass man gerade als Unternehmer nicht auf die Lämmerschwänze in der Politik warten muss, sondern für sein eigenes Unternehmen schon mal Tatsachen schaffen kann. Er macht auch deutlich, dass er von moralischen Appellen in der ganzen Energiedebatte gar nichts hält, sondern dass es hier schlicht um eine zielführende Umsetzung geht. Dass dieses Land eigentlich nur zeigen muss, dass es so ein Projekt auch mal konsequent umsetzen kann. Die Zeit läuft.
„Wenn wir die Party nicht in den Griff bekommen, wird der Kater am nächsten Morgen umso schlimmer sein“, schreibt Schöller am Ende, nachdem er seine Leser mit einer gehörigen Prise Humor durch die verzwickte Materie geführt hat. „Diese Erkenntnis ist vielleicht die bedeutendste, die Sie als Leser oder Leserin aus den Inhalten dieses Buches mitnehmen. – Wir haben als Unternehmer, Entscheider, Politiker, Bürger, Väter, Mütter und Menschen die Verantwortung, den Schaden für die kommenden Generationen so gering wie möglich zu halten – sei es für die Wirtschaft oder unser Klima.“
Eigentlich ist es so einfach. Und irgendwie auch herausfordernd: „Diese Transformation ist so spannend. Ein riesiges Reallabor, eine Spielwiese für Ingenieure, Techniker, Handwerker, Kaufleute und Unternehmer.“ Das ist eine völlig andere Weise, die Geschichte zu erzählen. „Schluss mit dem Gerede“, schreibt Schöller. Zeit, das Projekt Energiewende einfach anzupacken und umzusetzen.
Gerd Schöller „Unter Hochspannung“ oekom Verlag, München 2025, 24 Euro.
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