Es gibt eine Reihe von Gemeinden und kleinen Städten rund um Leipzig, die sich immer wieder erfolgreich gegen eine Eingemeindung nach Leipzig gewehrt haben. Dazu gehören auch Oetzsch und Gautzsch. Da könnten heute noch Straßenbahnen hinfahren, hätte man die eine nicht just vor zehn Jahren eingestellt, und die andere fährt halt nicht nach Oetzsch, sondern nach Markkleeberg-Ost. Als würde das Städtchen im Leipziger Süden noch heute mit seiner Geschichte hadern, besonders seiner slawischen.
Denn Oetzsch und Gautzsch waren nun einmal slawische Gründungen und bis 1934 auch die größten unter allen Gemeinden, die sich dann zu einer neuen Stadtgemeinde zusammentaten. Die aber erhielt dann den Namen einer der kleineren Gemeinden: Markkleeberg.
Was sich schon Jahre vorher andeutete. Ein Städtchen mit dem Namen Oetzsch-Gautzsch konnten sich auch deren Gemeindeoberhäupter nicht vorstellen. Es ist also in gewisser Weise der kleinste gemeinsame Nenner, dass ein kleiner Gemeindeteil der neuen Stadt ihren Namen gab.
Was die Zersplitterung des Stadtgebietes natürlich nicht beendete. Noch heute kann man durch Markkleebergs Ortsteile spazieren und vergeblich nach einem Zentrum suchen. Es gibt schlichtweg keins.
Nicht am 1904/1905 erbauten Bahnhof, der damals tatsächlich noch Oetzsch-Gautzsch hieß, nicht am Rathaus von Markkleeberg, das der Wirt Gustav Kipping 1910/1911 als Gasthaus erbaute, das aber schon 1920 zum Rathaus von Oetzsch wurde. Denn Oetzsch war gewachsen, brauchte mehr als ein Gemeindeamt. Den Straßenbahnanschluss bekam Oetzsch übrigens erst 1928, als die Straßenbahn von Dölitz aus verlängert wurde.
Mit der „Sternbahn“ nach Gautzsch
Dass es die „Sternbahn“ nach Gautzsch schon seit 1902 gab, hatte schlicht damit zu tun, dass es eine beliebte Ausflugsbahn war: Sie endete nicht nur an einem Gasthof, sie passierte unterwegs auch den bis heute berühmtesten Gasthof von Markkleeberg – das Forsthaus Raschwitz, das natürlich auch mit vielen spannenden Ansichtskarten in diesen dicken Band gefunden hat, der eben nicht nur das zur Stadt zusammengebundene Markkleeberg ab 1934 zeigt, sondern alle Gemeinden, die sich im Lauf der Zeit zusammentaten oder eingemeindet wurden.
Offiziell sind es zehn. Da aber einige einstige Ortsteile auch vom Kohlebergbau verschlungen wurden, sind es sogar dreizehn.
Und jeder Ortsteil bekommt in diesem Band sein eigenes Porträt. Denn zu jedem existieren diverse Ansichtskarten, die vor allem seit 1895 in Umlauf kamen. Gedruckt natürlich als ideales Werbemedium für Gaststätten aller Art, denn die Orte im Leipziger Süden waren allesamt sonntägliche Ausflugsziele der Leipziger. Noch gab es die riesigen Tagebaue und Brikettfabriken nicht, die einmal die komplette Ausflugslandschaft im Süden zerstören würden. Noch waren Orte wie Prödel, Cospuden und das Gut Lauer heimelige und gleichzeitig beliebte Ausflugsziele der Leipziger.
Dabei bekam Markkleeberg relativ wenig Industrie ab. Die Orte im Gemeindeverbund waren vor allem beliebte Wohnorte für erholungsbedürftige Leipziger, die sich hier auf parzellierten Äckern ihre Villen errichten ließen. Es war ruhig, idyllisch, erholsam. Sogar ein Flussbad gab es, bevor auch die Pleiße mit den stinkenden Abwässern der Textil- und Kohleindustrie im Südraum geflutet wurde.
Als die Bahnlinie nach Oetzsch gebaut wurde, war natürlich auch der Zeitpunkt gekommen, in deren Nähe große und beliebte Ausflugsrestaurants zu errichten – wie das „Schloss Rheinsberg“, den „Thüringer Hof“ oder – am Wendepunkt der „Sternbahn“ – das Gasthaus „Zum weißen Stern“.
Veränderte Landschaften
Und sie alle warben mit Postkarten, zeigten ihre Tanzsäle und großen Freisitze. Sodass auf den alten Ansichtskarten auch eine Welt einfangen ist, die es heute so nicht mehr gibt. Begraben letztlich in jenen Zeiten, als sich die Tagebaue von Süden und Westen an Markkleeberg heranfraßen und dabei nicht nur die Harth verschlangen, die zwischen Gaschwitz und Zwenkau die Leipziger zum Waldspaziergang einlud.
Wie das aus Zwenkauer Perspektive aussah, kann man im ebenso dicken Ansichtskartenband zu Zwenkau nachblättern.
Was ja Ortskundige sowieso tun werden: Wo verliefen damals die Straßen und Wanderwege? Erkennt man die Straßenzüge von 1900 heute noch wieder? Wo waren eigentlich die einst berühmte Gastwirtschaften? Und wo verlief eigentlich die Pleiße, bevor sie im Zuge des Bergbaus begradigt und kanalisiert wurde? Ein Thema, das die Leser gerade beim Kapitel Agra-Park besonders beschäftigen dürfte, der ja ab 1889 vom Leipziger Verleger Paul Herfurth als Landschaftspark angelegt worden war.
Damals noch mit einer natürlich mäandernden Pleiße und einem viel größeren Teich. Er hätte sich wohl nie träumen lassen, dass man einmal eine Fernverkehrsstraße auf Stelzen durch den Park bauen würde und die Pleiße in einen tief eingeschnittenen Kanal packen würde.
Nach 1945 wurde der Park dann zum Schauplatz von Landwirtschaftsausstellungen. Dazu gibt es ein eigenes Kapitel, denn auch dazu wurden Ansichtskarten produziert. Einige mit der im Bau befindlichen Hochstraße im Hintergrund. Und auch die heutige Große Kreisstadt Markkleeberg produziert weiter bunte Ansichtskarten – nun mit der Seenlandschaft direkt vor der Stadt. Einige zeigen auch tapfer noch die Linie 9, die ja bis 2015 bis nach Markkleeberg-West fuhr.
Kirchen, Parks und Wasserburgen
Und da jeder Ortsteil dereinst auch eine Art Rittersitz und Gutsherrschaft war, gibt es auch eine ganze Reihe kleiner Schlösser zu besichtigen, historische Parks wie den Kees’schen, und natürlich die Kirchen, die teils ihre ganz besondere Zerstörungs- und Wiederauferstehungsgeschichte haben – so wie die Kirchenruine Wachau oder die Radfahrerkirche in Zöbigker.
Es lässt sich also nicht nur an den Ufern von Cospudener und Markkleeberger See etwas entdecken. Und wer wirklich neugierig ist, der sucht auch das kleine, einst namensgebende Markkleeberg mit der Auenkirche und dem alten Rittergut Markkleeberg.
Es lässt sich also finden, wenn man weiß, wo man suchen muss. Und so werden nicht nur die heute in Markkleeberg Wohnenden in diesem mit über 700 Ansichten gespickten Band nach den Orten suchen, die sie kennen. Auch für alle, die sonst immer nur mit S-Bahn, Straßenbahn oder Bus durchfahren, um schnellstmöglich an den Strand zu kommen, laden die Ortsansichten ein, vielleicht doch mal vom Weg abzukommen und die historischen Teile der zusammengeflickten Stadt für sich zu entdecken.
Vielleicht nicht gerade diesen dicken Band in der Tasche, denn er ist wirklich schwer.
Aber mit dem Wissen im Kopf, das im Einleitungsteil unterm Titel „Markkleeberg im Wandel“ die Geschichte der kleinen Stadt komprimiert erzählt, und das teilweise auch in den vielen kleinen Erläuterungstexten zu finden ist, die einige Markkleeberger Besonderheiten extra beleuchten. Sei es die Geschichte der Martin-Luther-Kirche oder die der Schokoladenfabrik Riquet.
Oder eben die jedes einzelnen Ortsteils mit seiner jahrhundertealten Geschichte. Denn einige Ortsteile in Markkleeberg sind über 1.000 Jahre alt, auch wenn die Ersterwähnung dann meist erst im Mittelalter erfolgte, wenn dann die ansässigen Ritter auf ihren Wasserburgen erwähnt wurden.
Was dann wieder daran erinnert, dass Markkleeberg eigentlich an einer historischen Auenlandschaft liegt, wo es geradezu auf der Hand lag, seine Burgen mit einem ordentlichen Wassergraben zu umgeben. So waren etwa die Ritterburgen in Gaschwitz wie die in Markkleeberg ursprünglich Wasserburgen, auch wenn das im Postkartenzeitalter nirgendwo mehr so zu sehen war.
Thomas Nabert, Frank Sallowsky, Jürgen Winter „Markkleeberg und seine Ortsteile in alten Ansichtskarten“ Pro Leipzig, Leipzig 2025, 29 Euro.
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