Translatologie oder Translationswissenschaft ist die Wissenschaft vom Dolmetschen und Übersetzen, sie beinhaltet allerdings mehr als die klassische Übersetzung in eine andere Sprache. Dr. Maryam Foradi und Prof. Dr. Oliver Czulo, die Gründer des Instituts für Translatologie schreiben dazu: „Übersetzen, Dolmetschen, Lokalisierung, Barrierearme Kommunikation – all das und mehr ist Translation.“
Das hat uns neugierig gemacht und wir haben den Kontakt zu Prof. Czulo, der uns bereits bekannt ist, aufgenommen und um ein Gespräch gebeten. Am 19. Mai trafen wir uns in Leipzig. Für das Gespräch haben wir vereinbart auf die Anrede mit den akademischen Titeln zu verzichten.
Herr Czulo, Frau Foradi vielen Dank, dass es heute geklappt hat. Zuerst eine generelle Frage an Sie, Herr Czulo: Warum braucht es ein neues unabhängiges Institut für Translatologie? Es gibt ja beispielsweise an der Universität Leipzig bereits ein Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie.
Die universitären Einrichtungen haben das Problem, dass sie inzwischen stark überfrachtet sind. Einerseits von ständig zunehmender Bürokratie, das ist auch alles dokumentiert, aber auch von den Erwartungen, die die Politik an sie stellt. Eine Uni macht heute nicht mehr nur Grundlagenforschung und dann darauf aufbauend Lehre, sondern sie soll Wissenschaftskommunikation machen, sie soll in die Wirtschaft transferieren, sie soll eigentlich sehr viele andere Dinge nebenher noch machen und dadurch bleibt sehr wenig Zeit.
Auch das ist dokumentiert. Viele werden zu berichten wissen, dass wenn man dann irgendwann an der Uni tief drin ist, gar nicht so viel Zeit für das, was man sich eigentlich erhofft hat, bleibt. Unser Institut soll einerseits eine Fokussierung ermöglichen, also ein stärkeres Profil, in unserem Fall Richtung Forschung und Transfer, aufbauen und andererseits mit schlankeren Strukturen aufwarten können.
In Ihrem Institut geht es ja nicht allein um beispielsweise Romanistik oder Slawistik, es geht, wenn ich es richtig verstanden habe, um die Prinzipien der Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaften. Stimmt das so und was genau machen Sie dort, Frau Foradi?
Wir haben unterschiedliche Produktlinien, wenn man das so nennen will. Einerseits möchten wir, mit unseren Partnern, im Bereich Translatologie forschen und auch wie man Translatologie in anderen Fachgebieten anwenden kann. Wo kann Translatologie andere Fachgebieten unterstützen, damit diese besser verstanden werden oder wie kann eine bessere Kommunikation stattfinden. Das ist das eine.
Und das andere: Translation an sich ist eine Kompetenz, von der alle profitieren können. An der Uni sind wir sehr beschränkt auf Studenten, die Übersetzer werden wollen. Mit unserem Institut können wir ein breiteres Publikum ansprechen. Also wenn jemand sich interessiert, dann können sie dann an uns wenden. Wir haben diese Kompetenz, wir wissen, wie man lehren kann und wir können das dann auch anbieten.
Was wären denn andere Anwendungsgebiete, Frau Foradi? Bei Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaften denkt man immer an Fremdsprachen, also an Übersetzer, Dolmetscher oder Sprachlehrer.
Wir arbeiten gerade schon mit einer Einrichtung der Uni Leipzig im Bereich Naturwissenschaften zusammen. Die Frage ist: Wie kann man die Ressourcen, also die Fachmaterialien, für alle zugänglich machen? Nicht alle können Englisch, das heißt, die Texte müssen zunächst übersetzt werden. Aber diese Übersetzung allein reicht nicht, die Texte müssen dann für verschiedene Gruppen verständlich formuliert werden. Das ist zum Beispiel eine Anwendung.
Oder Kompetenzen für jüngere Wissenschaftler: Heute ist die Voraussetzung, um ein Wissenschaftler zu werden, dass man Englisch spricht. Wie wäre es, wenn jemand, der das nicht kann, mit unserer Unterstützung, auch auf Deutsch schreiben und dann die eigenen Texte richtig, nicht nur mit DeepL, übersetzen kann? Das sind Gebiete, wo wir uns gerade bewegen.
Herr Czulo, Sie wollen das ergänzen?
Es ist einfach das sehr breite Feld von Sprache und Kulturkontakt. Das können wir natürlich nicht komplett abdecken. Aber um das Beispiel Wissenschaftsübersetzen aufzugreifen, das kann nicht nur eine Einzelperson betreffen. Wie kann man sich allgemein auf einem Gebiet bewegen, das per se mehrsprachig und dadurch nicht immer für alle gleich gut zugänglich ist? Wie kann ich das Gebiet an sich strategisch so aufstellen, dass es Mehrsprachigkeit erlaubt und Mehrsprachigkeit gefördert wird?
Also dass ich als Wissenschaftler/-in, egal ob jetzt Arabisch oder Vietnamesisch meine Schwerpunktsprache ist, dennoch Zugang zu den wichtigen Quellen habe und diese in der Art und Weise zugänglich sind, dass Menschen aus verschiedensten Sprach- und Kulturgemeinschaften diese in ihrem Kontext verstehen und verwenden können.
Ich glaube, man sieht bei dem Beispiel ganz stark dieses strategische Moment, welches dahinter steht. Es ist nicht nur die Frage: Wie kann ich einen konkreten Text übersetzen? Das wäre zu sehr verengt, vielmehr wie muss ich Prozesse gestalten, wie muss ich die Interessen der daran Beteiligten aufgreifen, wahren und das Ganze zu einem fruchtbaren Mehr bringen?
Herr Czulo, wenn Sie sagen „Jemandem etwas zugänglich machen“, beinhaltet das auch barrierefreie Sprache, beispielsweise Gebärdensprache?
Richtig, das ist ein sehr guter Punkt. Translation beschränkt sich ja nicht nur auf Übertragung zwischen Sprachen, sondern auch innerhalb einer Sprachgemeinschaft, wo wir unterschiedliche Kommunikationskulturen haben. Ob das jetzt die Hörenden-Kultur und die Gehörlosen-Kultur sind, oder ob das die typische Verwaltungskommunikationskultur ist, die man dem „Durchschnittsbürger“ vermitteln will. Das ist natürlich auch ein Thema.
Frau Foradi, Sie sprachen vorhin DeepL an. Welche Rolle spielen digitale Hilfsmittel, so nenne ich es mal, inklusive KI, dabei?
Eine sehr wichtige Rolle. Also ich glaube, das gehört jetzt schon zu unserem Alltag. Und ich glaube, das ist nicht mehr die Frage, ob wir digitale Hilfsmittel anwenden wollen oder nicht. Wir müssen diese anwenden, aber, das ist ein groß geschriebenes ABER, es geht darum, wie wir diese Hilfsmittel anwenden. Es erfordert einen bestimmten Kompetenzaufbau, damit wir alles kritisch sehen und analysieren können, es verstehen, die Schwächen und die Stärken verstehen und dise auch richtig ansetzen.
Herr Czulo, ich hatte Ihnen im Vorfeld einen Artikel geschickt. Da geht es um KI zur Literaturübersetzung und die Betreiber dieser Plattform sagen, das entlastet den Übersetzer, weil er eine KI-Übersetzung erhält und diese nur noch überarbeiten muss. Wenn er dazu letztlich das Buch trotzdem übersetzen muss, dann ist es wahrscheinlich derselbe Arbeitsaufwand, oder verstehe ich das falsch?
Da kommt genau dieser Punkt rein, also kritisch betrachten, wann hilft es mir, wann behindert es eher Dinge oder wann trägt es bestimmte Gefahren in sich. Es gibt natürlich gewisse Arten von Prozessen, in denen so eine Unterstützung durch eine Rohübersetzung sehr hilfreich ist. Das kommt auf die Kontexte an, also auf die Art der Sprache, die verwendet wird, natürlich auch auf die Zielgruppe.
Gleichzeitig muss man aber auch wissen, dass es bestimmte erschwerende Effekte gibt. Zum Beispiel bei Rohübersetzungen, vor allem in Produktionskontexten, in denen es um Zeiteffizienz geht. Das kann dazu führen, dass Vorschläge der Maschine unkritisch übernommen werden, die potenziell missverständlich sind. Weil sie etwa die Ausgangssprache und Kultur reflektieren und damit das Zielpublikum vielleicht gar nicht so ansprechen oder tatsächlich vielleicht sogar zu gravierenden Missverständnissen führen können. Es kann da vielleicht auch eine Art Maschinensprache als Langzeitauswirkung entstehen.
Nicht zuletzt, wenn man sich zu sehr auf Technologien stützt, und das meint sowohl die Leute, die schon im Beruf sind und viel damit arbeiten, als auch die Leute, die noch ausgebildet werden müssen, von der Schule über die Hochschule und so weiter.
Dann kann es zum sogenannten Deskilling, also Verlernen oder Kompetenzverlust, kommen. Da gibt es noch eine ganze Reihe von anderen Faktoren, was einfach nochmal zeigt, wie sehr Translation in ganz viele kontextuelle und kulturelle Faktoren eingebettet ist, die man mitdenken muss.
Frau Foradi, das Institut ist gegründet und hat seine Arbeit aufgenommen, obwohl Sie beide noch Ihren Hauptberuf an der Uni haben. Wie geht es weiter, wenn Sie jetzt beide dort in Vollzeit einsteigen?
Wir haben schon angefangen und wir arbeiten schon. Wir haben zwei Bereiche, Forschung und Transfer. Wir haben Partner in beiden Bereichen, wir schreiben aktiv Förderanträge und haben schon einige geschrieben. Wir arbeiten an unserem Schulungskonzept: Wir wollen Leute schulen, um besser mit Translation umgehen zu können. Da gibt es einen großen Bedarf, das merken wir schon an den ersten Anfragen, die wir bekommen.
Gerade bei der Frage: Wie kann ich Kompetenzen mit Bezug auf digitale Werkzeuge erwerben und wie kann ich trotzdem meine anderen Kompetenzen erhalten? Das ist alles noch am Anfang, aber wenn wir aus der Uni ausgestiegen sind, dann haben wir auch mehr Zeit, dass wir richtig aktiv vorangehen.
Herr Czulo, was wird noch passieren, wenn Sie ausgestiegen sind?
Was auch noch passieren wird, ist, dass die Webseite endlich mal ordentlich aktualisiert wird. Das ist eines der Dinge, die hinten herunterfallen. Auf der Webseite wird noch gar nicht richtig reflektiert, welche Aktivitäten wir gemacht haben. Was sicher auch zunehmen wird, ist der Bereich Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit, eher sogar Netzwerkarbeit. Was Öffentlichkeit angeht, haben wir immerhin schon einiges an Interesse erfahren. Ich hatte jetzt auch in den letzten Tagen wieder ein, zwei Interviews.
Vielleicht liegt das auch an etwas, was ein Kollege grob zusammengefasst in etwa so formuliert hat: „Wenn man bedenkt, wie viel kulturellen Kontakt sowohl innerhalb der Sprachgemeinschaft als auch nach außen wir inzwischen haben, ist dann die Translatologie nicht eine Leitwissenschaft?“ Das kann ich jetzt nicht direkt beantworten, aber dass sie definitiv noch relevanter geworden ist, das glaube ich schon.
Frau Foradi, Herr Czulo, ich danke für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Erfolg.
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