LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 85, seit 20. November im HandelDie Corona-Ampel der Universität Leipzig steht zurzeit wieder auf rot. Studierende können nur zu Hause etwas lernen. Im Sommer stellte das für viele von ihnen eine besondere Belastung dar. 88 Prozent fühlten sich gar laut StuRa-Umfrage mit dem Stoff komplett alleingelassen. Christoph Bülau versucht, ihnen das Studieren von zu Hause so leicht wie möglich zu machen.

Der Schulentwicklungsforscher hat enorm viel Zeit in die didaktische Aufbereitung seiner Vorlesungen und Seminare gesteckt, um sie E-Learning-tauglich zu machen. Der 36-Jährige glaubt fest daran, dass sich Studierende auch nach Corona viel Wissen simpel zu Hause aneignen können. Ein Gespräch über Lieblingstools, die hohen Ansprüche des Pädagogen, Arbeitsspitzen und Überstunden.

Herr Bülau, seitens der Universität werden Sie als gutes Beispiel für die Umsetzung des E-Learnings in diesen Zeiten genannt. Warum?

Das ist eine gute Frage. Ich habe mir wie viele andere im Frühjahr große Mühe gegeben, dass wir unsere Veranstaltungen so aufbereiten können, dass für Studierende das Studieren trotz Einschränkungen möglich ist. Da hätten sich sicher auch andere Beispiele gefunden, vielleicht war ich gerade greifbar.

Sie arbeiten als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät. Haben Sie als Schulentwicklungsforscher einen besonders hohen Anspruch an das Gelingen dieser Transformation?

Ich glaube, was wir in den Bildungswissenschaften gut können ist, Themen didaktisch gut aufzubereiten. Das wollen wir ja Studierenden beibringen: Wie macht man gute Schule? Das wollen wir als Uni auf die Praxis übertragen. Das muss unser Anspruch sein, sonst würden Form und Inhalt nicht übereinstimmen, wenn wir das eine machten und das andere erzählten. Es gehört also zu unserer Profession, dass wir gute Lern- und Lehrformate machen.

Sie bereiten Vorlesungen für 450 Studierende und Seminare für 30 Studierende auf. Wie muss man sich die Arbeit dahinter vorstellen?

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 85, Ausgabe November 2020. Foto: Screen LZ

Das muss man trennen, Seminare funktionieren anders als Vorlesungen. Was wir mit Vorlesungen gemacht haben ist, dass wir diese kompakt einheitlich auf der zentralen Lernplattform bereitstellen. Mithilfe von Online-Foren gewährleisten wir als Dozierende hohe soziale Präsenz.

Die Studierenden haben einen kurzen Weg zu uns, um uns inhaltliche und technische Fragen zu stellen. Dazu benutzen wir unterschiedliche Formate: Meine Professorin und Institutsleiterin Prof. Dr. Barbara Drinck bespricht in Powerpoint verschiedene Artefakte innerhalb einer Präsentation. Für die Studierenden ist das dann wie ein Museumsrundgang.

Es ist etwas völlig anderes als das, was die Studierenden üblicherweise gewohnt sind aus Präsenzveranstaltungen. Vorlesungen sollten so gut und spannend wie möglich bereitgestellt werden. Man kann sie auch über YouTube, Twitch, Discord streamen. Es gibt unterschiedliche Lösungen, die sehr gut bei uns funktioniert haben.

In Seminaren an der Uni gibt es große Unterschiede. Da gibt es gut durchdidaktisierte Veranstaltungen live in Onlineseminaren mit Lernpfaden, Übungsaufgaben und externen Anwendungen und mit engem Kontakt zu Dozierenden. Das ist extrem arbeitsaufwendig für Lehrende. Man muss sein altes Material neu didaktisieren. Es gibt aber auch Seminare, die nur Texte online bereitstellen und dazu Übungsaufgaben packen. Das entspricht den Ressourcen, die wir haben, aber da gibt es keinen Kontakt.

Das heißt, wer seine Veranstaltungen anständig aufbereitet macht reichlich Überstunden?

Ja. Alle im akademischen Mittelbau der Uni wissen, dass es Arbeitsspitzen gibt. Mit dem Start des Sommersemesters gab es eine deutliche Arbeitsspitze.

Ist die Umsetzung von E-Learning auch ein Forschungsobjekt für Sie?

Wenn wir auf die Schule schauen, ist das gesamte Thema Digitale Schulentwicklung endlich auf der Agenda. Mit dem Bildungspaket ist es endlich ins Rollen gekommen. Jetzt geht es darum, den Lehrernachwuchs darin auszubilden. Je mehr wir ihnen jetzt beibringen, wie Tools funktionieren und für welche Lehr-Lernformate sie sich eignen und je mehr Konzepte zur Umsetzung wir ihnen mitgeben, desto besser wird E-Learning und Unterricht zukünftig funktionieren. Es ist Lernen am lebenden Objekt und je mehr Erfahrungen sie mitnehmen, umso besser.

Ein Padlet, das ist eine digitale Pinnwand auf der man Schreiben, Videos, Links oder Fotos bereitstellen kann, kann ich genauso gut in der universitären Lehre wie in der Schule anwenden. Das ist gut für kollaboratives Lernen. Direkte Forschung ist das allerdings nicht für uns.

Aber im besten Fall passiert mit dem Geld nicht, was mit den neuen Projekten sonst passiert wie beispielsweise mit den 4 Milliarden für die Ganztagsschule. Das wurde ausgegeben ohne die Lehrer darauf vorzubereiten. Nun ist für die Digitalisierung das zweite Mal so viel Geld im Umlauf wie seit 16 Jahren nicht. Studierende können die Uni als Lernlabore nutzen.

Läuft das eher induktiv ab oder gab es Rückmeldungen?

Ich denke, das läuft bei Studierenden unterschiedlich ab. Wir Lehrende sitzen im Home-Office oft an Privatgeräten, um damit die Lehre zu gestalten. Das schränkt uns ein, aber es ist noch machbar. Für Studierende hängt die Lernatmosphäre auch von anderen Sachen ab: Können sie sich konzentrieren, sind Bibliotheken offen, können sie sich mit anderen austauschen, haben sie die Technik und Räumlichkeiten für das Onlinestudium.

Wir als Dozierende können das gut vorbereiten, aber die Lernatmosphäre belastet die Studierenden gegebenenfalls. Der Stura hat im Sommer eine Umfrage unter den Studierenden dazu gemacht und die ergab, dass die Studierenden diese Phase eher als belastend angesehen haben.

Wie ist Lehre ohne Studierende für Sie?

Man muss mal sagen: Die Uni gibt es seit 1409, die Präsenzlehre in Räumen ist unser Kerngeschäft. Das macht die Uni seit 600 Jahren sehr erfolgreich. Was macht das mit mir? Digitale Lehre ist nicht die Übertragung von Präsenz ins Netz. Das heißt zum einen, wir brauchen neue Prüfungsformate, das heißt zum anderen, wir müssen Tools finden, die unseren didaktischen Ansprüchen entsprechen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen standhalten.

In Präsenz ist das kein Thema, weil da keine Daten erhoben werden. Es heißt, anders mit Studierenden zu kommunizieren, zwischen den Veranstaltungen viel intensiver miteinander zu kommunizieren. Die fehlende Präsenz während der Veranstaltungen muss man ausgleichen, das informelle Gespräch in der Pause oder in der Mensa, das fehlt. Es ist etwas anderes, wenn ich vor einer Veranstaltung länger oder eher online dabei bleibe. Das Didaktisieren und die soziale Präsenz sind die zwei Anforderungen an uns Lehrende.

Gibt es ein Tool, das Ihnen fehlt?

Einige Tools haben sich bewährt, andere sind verschwunden. Wenn ich in Weiterbildungskursen bin, dann purzeln oftmals die gleichen Tools raus, die empfohlen werden und sich bewährt haben. Die stimmen nicht immer mit dem Lernmanagement der Uni überein, aber solange der Datenschutz bleibt, geht das. Mir würde also keins einfallen. Vielleicht habe ich auch noch nicht intensiv genug danach gesucht.

Was ist Ihr Lieblingstool?

Ohne ein Videokonferenztool funktioniert es nicht, sei es Big Blue Button oder Zoom. Es ist ganz wichtig für mich, ein Tool zu haben, was kleine Seminarräume zulässt, damit sich Studierende untereinander austauschen können. Wir haben in der Uni ein Raumproblem. 30 oder 40 Studierende passen in einen Raum, einen zweiten, um die Gruppe temporär zu teilen, gibt es nicht. Jetzt ist plötzlich Gruppenarbeit möglich, ohne dass ich in der Uni alle Räume absuchen muss oder Studierende auf dem Flur sitzen müssen.

Abstimmungstools sind auch wunderbar, die geben ein gutes Feedback zum Lernprozess der Studierenden. Das wäre früher schon möglich gewesen.

Inwieweit hat sich die Teilnahme-Regelmäßigkeit der Studierenden verändert?

Das Sächsische Hochschulgesetz sieht keine Präsenzpflicht vor. Hauptsache, sie legen eine Prüfung ab. Es gibt keine Anwesenheits-Pflicht, zumindest nicht an unserer Fakultät. Was ich feststelle ist, dass ich keine Veränderung sehe. Das ist insofern beeindruckend, weil es die Studierenden offenbar schaffen, die benannten Belastungsfaktoren mit dem Studium in Einklang zu bringen.

Das Lehramtsstudium ist ohnehin schon sehr verschult und die überwiegende Anzahl der Studierenden hat sich schon vor Corona an den empfohlenen Studienverlaufsplan gehalten oder konnte es sich nicht leisten, das Studium um ein oder zwei Semester zu schieben. Auch bei Präsenzveranstaltungen hat die Teilnehmerzahl gegen Ende des Semesters abgenommen.

Wenn nur Materialien online bereitgestellt werden, können sie nicht feststellen, ob jemand fehlt. Mehr als 88 Prozent der Studierenden fühlten sich laut Stura-Umfrage im Sommer mit dem Stoff alleingelassen. Die Teilnahme ist dann hoch, wenn synchron und spannend gearbeitet wird.

Was von diesen Elementen wäre eine Option für die Normalität, wenn sie wieder einkehrt?

Ich würde das an den Wissensarten festmachen. Das heißt: Die Aneignung von ganz einfachem Basiswissen, also deklarativem Wissen, wird sich langfristig mithilfe von digitalen Methoden etablieren: Lernvideos, Web-Based-Training, Selbstlernkurs. Dafür brauchen sie im Grunde niemanden. Dann gibt es prozedurales Wissen. Dafür braucht es Austausch, dafür braucht es Webinare. Wir analysieren beispielsweise gemeinsam Unterricht. Das kann rein theoretisch online sein.

Dann gibt es konditionales Wissen. Das lässt sich online nicht abbilden: Wie halte ich Unterricht? Wie stehe ich vor einer Klasse? Wie setze ich meine Stimme ein? Das Lehren in Präsenz ist der Hauptbestandteil des Lehrberufs. Sie müssen ja mal merken, wie das ist, wenn sie vor 25 Oberschülern stehen und drei stören oder wie Schüler reagieren, wenn sie einen Witz machen. Schulpraktika, Unterrichtsversuche, die Arbeit in Werkstätten, Sport, das geht nicht online.

Es gibt aber Dinge, die man unbedingt aus der Online-Welt mitnehmen soll. Live-Umfragen im gefüllten Audimax gehen, Kahoot und Live-Feedbacks gehen auch. Bin ich zu schnell, zu laut etc. Diese Interaktivität sorgt für mehr Abwechslung und Aufmerksamkeit. Die Zukunft der universitären Lehre liegt im blended learning, also der Kombination aus beidem.

Die Kehrseite der Digitalisierung ist die, dass aus Landes- oder Universitätssicht ein riesiges Sparpotenzial in Online-Seminaren liegt. Online-Konferenzräume kennen keine Teilnehmerbegrenzung. Ich könnte also auch sagen, ich überfrachte die Vorlesungen und Seminare.

Das geht aber im Umkehrschluss auf Kosten des direkten Kontaktes mit den Studierenden. Und die Probleme der Studierenden sind mit einer weiteren Digitalisierung nicht aus der Welt. Das zwischenzeitliche Modell mit hybriden Veranstaltungen, also Präsenz von 9 bis 11 Uhr und dann Online lernen von 11 bis 13 ist aus meiner Sicht nur eine Übergangslösung. Dauerhafte Lösungen sind blended-learning-Formate.

Ihr Forschungsthema sind die Ganztagsschulen. Welche Aspekte fallen Ihnen bei diesem Thema in dieser Zeit auf?

Das sind zwei Aspekte. In Sachsen gilt eine Grundschule mit angeschlossenem Hort als Schule mit Ganztagsangebot (GTA). Diese Kombistruktur hat sich etabliert. Hort und Lehrerinnen sollen eng in einem multiprofessionellen Team zusammenarbeiten. Im Frühjahr wurde dann verlangt, dass es zwei unabhängige Hygienekonzepte gibt.

Aber das ist absurd, denn sie sollen ja zusammenarbeiten. Das finde ich dramatisch. Auch in Krisensituationen wie Corona sollte es diese Kombistruktur geben und das wird ja auch im Schuljahr 2021/2022 noch ein Thema bleiben. Es muss beides zusammen gedacht werden.

Das zweite ist, dass GTA im Nachmittagsbereich nicht einfach kurzfristig weggekürzt werden dürfen, weil sie Ballast oder ein zusätzlicher Infektionsherd sind. Natürlich ist das gefährlich, aber es braucht ein Nachdenken über erweiterte Lerngelegenheiten und das Geld für diese Formate. Der Sporttrainer könnte seine AG über Zoom anbieten, die Theaterpädagogin über Zoom Sprechübungen machen.

Statt diese ersatzlos zu streichen, wäre es wünschenswert zu überlegen, welche Konzepte sich eignen, dass GTA online möglich sind. Das war jetzt in einem kleinen Rahmen möglich. Schulen konnten pro Einrichtung 4.000 Euro für das Schuljahr 20/21 für Förderangebote im GTA mehr beantragen. Das ist verschwindend wenig Geld bei durchschnittlich 30 GTA pro Schule. Die Bedingungen sind ohnehin schwierig.

Ein Zauberkünstler schrieb mich neulich an, weil er seine Existenz über GTA aufgebaut hat. Er hat Angst, dass seine Soloselbstständigkeit abrupt enden könnte, weil die GTA alle untersagt werden. Es gibt also auch Menschen, deren Lebensunterhalt davon abhängt.

Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

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