Die Abwägung zwischen Infektionsschutz und dem Recht auf Bildung ist ein Dilemma. Diesem Satz würden wohl alle, die im Bildungsbereich tätig sind, derzeit zustimmen. Seit 18. Januar gehen Schüler/-innen der Abschlussklassen in Sachsen wieder zur Schule. An diesem Tag meldete die Stadt Leipzig eine 7-Tage-Inzidenz von 208. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt, ab einem Wert von 50 die Notwendigkeit von Schulschließungen zu prüfen.

Der Konsens ist: Präsenzunterricht für Abschlussklassen ist notwendig, um sie angemessen auf die Prüfungen vorzubereiten. „Wären die Schulen noch länger zu gewesen, hätten wir die Abschlussprüfungen riskiert“, sagt Roman Schulz, Pressesprecher des Landesamts für Schule und Bildung (LaSuB). Im Umkehrschluss heißt das: Es ist derzeit in Sachsen nicht möglich, mittels Distanzunterricht angemessene Prüfungsvorbereitung zu gewährleisten.

Landesweite Testaktion mit geringer Resonanz

Um einen Eindruck von Sicherheit zu übermitteln, startete das Kultusministerium Mitte Januar eine Testaktion. Die etwa 51.000 sächsischen Schüler/-innen aus den Abschlussjahrgängen konnten sich einmalig einem freiwilligen Corona-Schnelltest unterziehen. Dafür schloss das Kultusministerium einen Vertrag mit dem Deutschen Roten Kreuz. Sporthallen und Aulen wurden mit großem Aufwand in Teststrecken mit Warte- und Testbereichen umgewandelt. In Sachsen entstanden so etwa hundert dieser Zentren, denen die Schulen clusterartig zugeteilt wurden.

Das Testangebot nahmen nur knapp 34 Prozent der Abschlussgänger/-innen an. Von den 17.000 getesteten Schüler/-innen waren 34 positiv. In Leipzig ließen sich von rund 7.200 Abschlussgänger/-innen rund 2.900 testen, darunter eine positive Person.

Lehrer/-innen konnten ebenfalls an der Aktion teilnehmen. Sachsenweit kamen auf rund 5.100 getestete Lehrkräfte 21 Positiv-Fälle, womit die Infektionsrate beim getesteten Personal doppelt so hoch ist wie bei den Schüler/-innen. Im Gegensatz zu den Klassen können sich Lehrkräfte bereits seit Monaten einmal wöchentlich kostenlos und freiwillig mit einer Bescheinigung vom Freistaat hausärztlich testen lassen.

Die Beteiligungsbereitschaft an der Testaktion schwankte je nach Landkreis sehr stark. In der Kreisfreien Stadt Leipzig ließen sich knapp 40 Prozent der Schüler/-innen testen, im Landkreis Bautzen dagegen nur 13 Prozent.

Warum war die Testbereitschaft so gering?

Auch zwischen den Einrichtungen gab es große Unterschiede: Am Leipziger Wilhelm-Ostwald-Gymnasium ließen sich etwa 75 Prozent der Schüler/-innen testen, an der Humboldt-Schule in Reudnitz nur ein Viertel. „Vielleicht hängt die geringe Resonanz damit zusammen, dass die Schüler sich aufgrund der vorherigen Anmeldung zum Test relativ kurzfristig entscheiden mussten, sie hatten nur etwa 24 Stunden dafür Zeit“, mutmaßt Schulleiterin Kathrin Mayer. Sie bedauert, dass die Infos von oben immer relativ kurzfristig kämen.

Die neue „Leipziger Zeitung (LZ)“, VÖ 29.01.2021

Eine weitere These bezüglich der geringen Beteiligung ist die Angst vor Ansteckungen während der Testaktion – denn die meisten Schulen waren nicht selbst Testzentren, sondern schickten ihre Schüler/-innen zum Testen an andere Schulen. Dies geschah in der Regel mit ÖPNV. „Ich werde mich nicht testen lassen, da ich dafür vorher und nachher mit dem Zug fahren müsste“, solche Berichte von Schüler/-innen las man oft in den Sozialen Medien.

Auch der hohe Leistungsdruck schien eine Rolle zu spielen. Wer positiv getestet wird, muss zu Hause bleiben und verpasst die so wichtige Prüfungsvorbereitung. „Einige haben sich heute nicht testen lassen, weil sie sich nicht an Quarantäneregeln gehalten hatten“, schrieb die Petition #Schulstreik am 18. Januar auf Twitter. Deren Initiator/-innen – nach eigener Aussage Schüler/-innen und eine Lehrerin aus Leipzig – fordern eine Rücknahme des Präsenzunterrichts in Anbetracht der hohen Infektionszahlen.

„Um irgendwie ein Abitur mit akzeptablen Ergebnissen zu machen, haben die Zwölftklässler keine andere Wahl, als zur Schule zu gehen“, berichtet die Mutter einer Abiturientin aus dem Kreis Bautzen, die anonym bleiben möchte. „Der Druck ist riesig, da Angst um Angehörige dazukommt.“ Viele Schüler/-innen in der Stufe ihrer Tochter hätten die Tests aus Sorge um mögliche positive Ergebnisse abgelehnt.

Trügerische Sicherheit

Dazu kommt, dass das Kultusministerium einigen Schulen erst den Dienstag als Testtag zuteilte – und die Schüler/-innen so montags teilweise zum Präsenzunterricht erschienen, bevor sie sich – wenn überhaupt – testen ließen. Aus Kapazitätsgründen war ein flächendeckendes Testen am Montag nicht möglich, erklärt das Landesamt für Schule und Bildung.

Die Aktion ist angesichts der geringen Beteiligung und der teils fragwürdigen Organisation eher als symbolpolitischer Akt einzuordnen. Um eine gewisse Sicherheit zu gewähren, müsste ein Großteil der Schüler/-innen täglich getestet werden.

Sachsen hält trotz der fraglichen Aufwand-Nutzen-Relation an einmaligen Schnelltests fest. „Im Zuge der nächsten Schulöffnungen ist eine erneute Aktion geplant“, erklärt LaSuB-Sprecher Schulz. Frühestens am 15. Februar wird das der Fall sein. Bis dahin ist für niedrigere Klassen in Sachsen Homeschooling angesagt.

„Präsenzpflicht an Schulen: Hoher Druck, niedrige Testquote, wenig Sicherheit“ erschien erstmals am 29. Januar 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 87 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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