Am gestrigen Weltlehrertag, 5. Oktober, wurden in Dresden auf einer Pressekonferenz der Bildungsgewerkschaft GEW Sachsen die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie zu Arbeitsbelastung und Arbeitszeit sächsischer Lehrkräfte vorgestellt. Diese zeigen, dass sächsische Lehrkräfte in Vollzeit häufig über 48 Stunden pro Woche arbeiten. Von einem gemütlichen Lehrerleben kann also keine Rede sein.

Die repräsentative Erhebung für die Studie wurde Ende des Schuljahres 2021/22 an öffentlichen Grundschulen, Oberschulen und Gymnasien in Sachsen durchgeführt. Förderschulen und Berufsbildende Schulen waren aufgrund ihrer inneren Unterschiedlichkeit nicht Bestandteil dieser Erhebung.

Dr. Frank Mußmann von der Georg-August-Universität Göttingen und Leiter der Studie erläutert dazu: „Die Arbeitszeit der Lehrkräfte an den untersuchten sächsischen Schulen liegt im Jahresmittel mehr als drei Stunden pro Woche über der vorgeschriebenen Arbeitszeit. Eine Mehrheit der Lehrkräfte leistet regelmäßig Mehrarbeit. Die Daten bestätigen bisherige wissenschaftliche Studien aus anderen Bundesländern. Die Arbeitszeit von Lehrkräften in Sachsen liegt dabei jedoch noch über dem bundesweiten Durchschnitt. Hinzu kommt: Ein Drittel der Vollzeitkräfte in Sachsen arbeitet während der Schulzeit mehr als 48 Stunden pro Woche, was gegen geltende Schutznormen zur Arbeitszeit verstößt.“

Bei der Untersuchung der Wochenarbeitszeit wird das Jahresmittel pro Schulwoche gebildet. Der Ausgleich für geleistete Mehrarbeit in den Ferien ist dabei bereits einberechnet. In den drei untersuchten Schularten in Sachsen wurde 2022 die vorgeschriebene Wochenarbeitszeit deutlich überschritten:

·        bei Gymnasial-Lehrkräften:         um 04:18 Stunden pro Woche
·        bei Oberschul-Lehrkräften:          um 02:16 Stunden pro Woche
·        bei Grundschul-Lehrkräften:        um 02:16 Stunden pro Woche

Mehr als ein Drittel (36 %) der Vollzeitkräfte in Sachsen überschreiten dabei die gültige Arbeitsschutznorm von 48 Stunden pro Woche.

Die Tätigkeitsverteilung der sächsischen Lehrer/-innen. Grafik:  GEW Sachsen
Die Tätigkeitsverteilung der sächsischen Lehrer/-innen. Grafik: GEW Sachsen

„Die Studienergebnisse zeigen, dass sächsische Lehrerinnen und Lehrer nicht nur deutlich mehr Arbeit leisten, als sie vertraglich schulden. Sie sind auch hoch belastet. Burnout-Indikatoren zeigen, dass sie hohe Gesundheitsrisiken tragen“, sagt Dr. Mußmann dazu.

Nur noch ein Drittel ist richtiger Unterricht

Die Befunde der Studie bestätigen dabei den bundesweiten Trend, dass der Arbeitsalltag von Lehrkräften nur noch zu einem Drittel durch das Unterrichten bestimmt wird und stattdessen andere (außerunterrichtliche) Aufgaben immer mehr Raum einnehmen. Allein für ein Bündel von zwanzig „neuen Aufgaben“ wenden Lehrer/-innen in Sachsen inzwischen 10:50 Stunden pro Woche auf.

„Durch Digitalisierung, Migration, Inklusion, Ganztag und Corona sind in den letzten Jahren immer neue Aufgaben auf die Schulen zugekommen“, erklärt Uschi Kruse, Landesvorsitzende der GEW Sachsen, zu dieser Entwicklung.

„Das Problem ist dabei nicht, dass sich Schulen und damit auch die Tätigkeit von Lehrkräften weiterentwickeln. Das Problem ist, dass die neuen Aufgaben immer noch obendrauf kommen und aufgrund des Lehrkräftemangels immer mehr Arbeit von immer weniger Lehrkräften bewältigt werden muss. Lehrkräfte und Schulleitungen sind deshalb seit Jahren übermäßig belastet. Unbezahlte Mehrarbeit ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das führt zu Konflikten zwischen Beruf und Privatleben, Entgrenzung, zu Krankheiten und zu Problemen, die Bildungsqualität zu sichern. Deshalb bleibt vielen Lehrkräften allein die Flucht in Teilzeit.“

Lehrer müssen von zusätzlichen Aufgaben dringend entlastet werden

Das Forschungsteam von Dr. Mußmann sieht aufgrund der Studie dringenden Handlungsbedarf. So unter anderem bei der Entlastung von Lehrkräften und Schulleitungen, z. B. durch Deputatsreduktion, Abgeben von Aufgaben an andere Berufsgruppen oder das Priorisieren und der Wegfall von Aufgaben. Hochbelastete Lehrkräfte und ältere Lehrkräfte müssten gezielt entlastet werden.

Und Uschi Kruse erklärt: „Die Landesregierung muss diese Ergebnisse ernst nehmen und ihrer Fürsorgepflicht nachkommen. Die Belastung von Lehrkräften und Schulleitungen muss endlich auf ein ertragbares Maß sinken. Dazu gehören eine Entschlackung des Lehrplans und die Reduktion der Aufgaben, die Einführung der Klassenleiterstunde, ein deutlicher Ausbau der Unterstützungssysteme wie Schulassistenz, Schulpsycholog/-innen und Schulsozialarbeit und mehr Anstrengungen für die Gewinnung von Lehrkräften. Eins ist klar: Mit Blick auf die Ergebnisse zur Arbeitszeit, zur Belastung und dem Burn-Out-Risiko würden Mehrbelastungen den Lehrkräftemangel nicht beheben, sondern nur noch verschlimmern.“

Die Wünsche sächsischer Lehrer/-innen nach vorzeitigem Ruhestand. Grafik: GEW Sachsen
Die Wünsche sächsischer Lehrer/-innen nach vorzeitigem Ruhestand. Grafik: GEW Sachsen

Die Befragung ergab auch, dass viele Lehrerinnen und Lehrer aufgrund der Belastung daran denken, früher in Ruhestand zu gehen. Unter den jüngeren Lehrkräften auch schon ein Drittel, unter den Älteren dann zwei Drittel. Das heißt: Sachsen verliert, indem es seinen Lehrkräften immer mehr Extra-Arbeit aufbürdet, sogar noch zusätzliche Lehrer.

Und der Vorschlag, den Kultusminister Christian Piwarz gegenüber Medien gemacht hat, den Lehrplan zu entschlacken, hilft dabei nicht wirklich. Schon gar nicht, wenn – wie Piwarz meinte – im Unterricht noch mehr Vorbereitung auf das Berufsleben Platz finden soll. Denn dann drohen weitere wichtige Fächer zu entfallen, in denen es eigentlich um Persönlichkeitsbildung und grundlegendes Allgemeinwissen gehen sollte.

Was die sächsischen Schulen brauchen, ist Personal für all die zusätzlichen Aufgaben, mit denen die Pädagogen eingedeckt werden, die aber mit dem Unterricht selbst nichts zu tun haben. Und die dafür sorgen, dass ein Teil der Lehrerschaft sogar mehr als nur 48 Stunden pro Woche arbeitet. Denn die „neuen Aufgaben“ verteilen sich eben nicht auf alle Lehrkräfte gleichmäßig, sondern ballen sich bei einigen Lehrerinnen und Lehrern in einem Ausmaß, das mit einem gesunden Verhältnis zur Arbeit nichts mehr zu tun hat.

Die Studie „Arbeitszeit und Arbeitsbelastung sächsischer Lehrkräfte 2022“ wird von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Georg-August-Universität Göttingen unter Leitung von Dr. Frank Mußmann durchgeführt und von der GEW Sachsen gefördert. Am heutigen 5. Oktober, dem Weltlehrertag, wurden die ersten Ergebnisse vorgestellt.

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