Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung.
Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Die St.-Pauli-Kirche in Chemnitz hat eine ereignisreiche Vorgeschichte: Am 14. April 1485 stimmte Papst Innocenz VII. der Stiftung eines Franziskanerklosters in Chemnitz zu. Weniger als fรผnf Monate spรคter, am 9. September 1485, zogen 16 Brรผder vom Barfรผรerorden feierlich in ihr Haus in Chemnitz ein, das bereits 1481 errichtet worden war.
Neben den Rรคumlichkeiten der Mรถnche gab es eine Hallenkirche mit Chor, einen Wirtschaftshof, etwas Gartenland und einen kleinen Friedhof auf dem Gelรคnde. Die Mรถnche gewannen mit Eifer und Bescheidenheit Respekt und Sympathie in der Bรผrgerschaft, viele Wohlhabende und Innungen traten der Laienbruderschaft bei.
Bei der zweiten Visitation zur Reformation gab es am 12. April 1540 zwischen den Visitatoren und den Franziskanermรถnchen heftige Auseinandersetzungen: Der katholische Abt Thilo Werner und seine Leute verweigerten sich Luthers neuer Glaubenslehre, und so verlieรen die Mรถnche ihr Kloster in Chemnitz und zogen in das Kloster in Halle an der Saale. Wรคhrend des Dreiรigjรคhrigen Krieges wurden die Gebรคude auf dem Klostergelรคnde zerstรถrt.
Zwischen 1750 und 1756 entstand dort die โNeue Johanniskircheโ โ zur Entlastung der Kirche am Johannisfriedhof an der Zschopauer Straรe.
Am 25. August 1750 war Grundsteinlegung, am 31. Oktober 1756 Kirchweihe.
Baumeister waren der Architekt Johann Gottlieb Ohndorff aus Freiberg sowie J. M. Mende und Ch. Hรถsel, beide aus Chemnitz.
Das schmucklose Gebรคude mit den hohen Fenstern โ ein rechteckiger barocker Neubau mit neun Jochen โ hatte keinen Kirchturm. Die Baumeister nutzten als dessen Westwand kurzerhand das mittelalterliche Mauerwerk der Stadtbefestigung.
Das Kirchenschiff war ein heller Saal mit doppelgeschossigen Emporen und bot 1.600 Menschen Platz. Zu den Besonderheiten zรคhlten die Skulpturarbeiten des Altars und die Silbermann-Orgel. Von 1813 bis 1815 wurde sie als Lazarett genutzt.
1875 teilte sich die Vorstadt-Kirchgemeinde aufgrund stark gestiegener Mitgliedszahlen: Das Gotteshaus am Getreidemarkt war nun Pfarrkirche fรผr das Kaรberg-Viertel und erhielt den Namen des Apostels Paulus.
Sie wurde umfassend renoviert und 1887 der 61 Meter hohe, im Stil des Neorenaissance gestaltete Kirchturm mit Glockenstuhl errichtet. Auch ersetzte eine Jehmlich-Orgel die Silbermann-Orgel, es gab mehr als 1.800 Sitzplรคtze. 1890 wurden farbige Kirchenfenster angeschafft, 1892 ein Deckengemรคlde erschaffen sowie die Kirche innen und auรen neu gestrichen.
1905 entstand nach dem Entwurf von Stadtbaurat Mรถbius eine neobarocke Brauthalle, die dort aufgestellte Paulus-Statue schuf Bildhauer Kรถnig. Ab 1930 gab es Umbauarbeiten. รber das Leben an und um diese Kirche ist nichts Herausragendes รผberliefert.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, am 5. Mรคrz 1945, brannte die Kirche โ ausgelรถst von Bomben-Treffern โ aus.
Die Paulikirche Chemnitz war mehr als 188 Jahre Stรคtte festlicher Begegnung fรผr Generationen sonntags zum Gottesdienst sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Sie war vertrauter, heimatlicher Ort fรผr Taufe und Konfirmation, fรผr Trauung und Heimgang Hunderter Bรผrger von Chemnitz. Sie war der vereinende Raum sowohl fรผr Freude, Zuversicht und Hoffnung als auch fรผr Kummer, Trauer und Leid.
Fรผr die Kirchgemeinde war nach Kriegsende der Wiederaufbau ihres Gotteshauses das groรe Ziel: Die Ruine wurde gesichert und enttrรผmmert, der Turm wieder hergestellt. Die Umfassungsmauern wurden instandgesetzt und fรผr den Aufbau eines neuen Dachstuhls vorbereitet.
1951 brachte die Kirchengemeinde 60.000 Mark auf, renovierte den Kirchturm und lieร einen Dachstuhl mit Schieferdach bauen. 1957 wurde der Wiederaufbau beschlossen und vorbereitet, im Innenraum sollte ein kirchliches Veranstaltungszentrum entstehen.
Jedoch gab es zeitgleich sozialistische Architektur-Plรคne zur Neugestaltung des Stadtzentrums in Karl-Marx-Stadt (so der visionรคr-kommunistische Name ab 1953 fรผr Chemnitz) โ ohne die aus SED-Sicht stรถrende Paulikirche.
Und die Machthaber setzten ihren Willen durch: Am 27. Februar 1961 informierte das Stadtbauamt Karl-Marx-Stadt die Kirchgemeinde, die Stadt habe entschieden, dass das Kirchen-Grundstรผck โfรผr den Bau von achtgeschossigen Wohnblรถcken in Anspruch genommen werdenโ solle.
Gegen das sogenannte โAufbaugesetzโ war im selbst so definierten โArbeiter-und-Bauern-Staatโ kein juristischer Widerspruch zulรคssig. Der Vollstรคndigkeit halber wurde zugleich die Grundstรผcks-Enteignung vorgenommen โ rรผckwirkend zum 1. Januar 1961.
Am 15. Mรคrz 1961 wurde die St.-Pauli-Kirche gesprengt und dem Erdboden gleichgemacht.
Auf ihrer Grundflรคche entstanden ein DDR-Wohnblock und ein Parkplatz.
Quellen und Links:
https://kirchensprengung.de/kirchensprengung-chemnitz
http://www.altes-chemnitz.de/chemnitz/paulikirche.htm
https://www.chemnitz.de/chemnitz/de/unsere-stadt/geschichte/geschichte-entdecken/pforte_paulikirche.html
http://www.chemnitzer-friedenstag.de/
http://www.chemnitzer-friedenstag.de
Nรคchste Folge: Paulskirche in Halberstadt
Mit freundlicher Unterstรผtzung vom Fรถrderverein der Leipziger Denkmalstiftung.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der โCoronakriseโ haben wir unser Archiv fรผr alle Leser geรถffnet. Es gibt also seither auch fรผr Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. รber die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.
Unterstรผtzen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tรคgliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikรคufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den tรคglichen, frei verfรผgbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit fรผr Sie.
Vielen Dank dafรผr.
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher