Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung.

Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Reudnitz, ein Stadtteil im Osten von Leipzig, bis 1888 eigenständige Gemeinde. Wie viele sächsische Gemeinden damals mit ordentlicher Portion Selbstbewusstsein, wie die stolze Orts-Kirche mit ihrem 67 Meter aufragenden Kirchturm zeigt.

Wer heutzutage durch Reudnitz streift, hält vergeblich nach einer Kirche Ausschau. Nichts erinnert daran, dass es dort einmal ein beeindruckendes Gotteshaus gegeben hat. Es ist aus dem Ortsbild verschwunden – vor mehr als vierzig Jahren. Und offenbar auch aus der öffentlichen Erinnerung.

Kurzes Video von der Sprengung der Markuskirche 1978

Die Markuskirche zu Reudnitz war ein evangelisch-lutherischer Sakralbau, sie wurde 1884 nach Plänen von Gotthilf Ludwig Möckel (1838–1915) im Stil der Neugotik errichtet. 94 Jahre später, im Jahr 1978, wurde sie gesprengt – wegen nicht verhinderter Baufälligkeit.

Sie stand auf dem Grundstück Dresdner Straße 61, wo mehr als 300 Jahre lang ein Friedhof mit einer kleinen Kapelle war.

Die aus gelbem Backsteinen errichtete Kirche war knapp 37 Meter lang und fast 29 Meter breit – also entsprechend der Platzvorgabe relativ klein. Dafür war die Turmhöhe im wörtlichen Sinne herausragend: der markante, städtebaulich dominante Kirchturm war 67 Meter hoch.

Das Kirchengebäude erstreckte sich von Süd nach Nord und lag quer zur Straße, Kirchturm und Haupteingang befanden sich an der Dresdner Straße. Nachdem die Kirchgemeinde am 1. Januar 1880 selbstständig geworden war, beauftragte sie den Architekten Gotthilf Ludwig Möckel aus Dresden mit der Projektierung ihres Kirchenneubaus. Der entwarf Gebäude samt Ausstattung, Ausmalung sowie Kirchengerät und fand damit Zustimmung.

Die Grundsteinlegung für den insgesamt 298.000 Gold-Mark teuren Bau erfolgte am 11. Mai 1882, bereits sieben Monate später war das Richtfest. Am 23. März 1884 wurde die Kirche eingeweiht, sie hieß seit 1889 „St. Markuskirche“. 1903 gestaltete Möckel sie innen farblich neu.

Im Zweiten Weltkrieg erlitt die Markuskirche beim britischen Luftangriff auf Leipzig in der Nacht vom 3. zum 4. Dezember 1943 Schäden: Druckwellen von Luftminen zerstörten zahlreiche ihrer Fenster. Doch anders als etwa die Johanniskirche, die Matthäikirche und die Trinitatiskirche in Leipzig konnte das Gotteshaus weiter genutzt werden. 1953 wurde das Kirchen-Innere umfassend erneuert, 1954 eine neue Orgel gebaut und 1957 neue Glocken geweiht.

Die Kirche diente Generationen regelmäßig zum Gottesdienst sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stätte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Ort für Taufe und Konfirmation, für Trauung und Heimgang Hunderter Bürger von Reudnitz. Sie war Stätte für gemeinsame Hoffnung, Zuversicht, Freude und Leid.

Jedoch: Wegen Geld- und Material-Not in der DDR blieben in den 1950er und 1960er Jahren dringend erforderliche Bau-Erhaltungs-Arbeiten aus. Der bauliche Zustand der Markuskirche zu Reudnitz verschlechterte sich von Jahr zu Jahr.

Zwar hatte damals die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, zu der der Sakralbau gehörte, über die General-Reparatur beraten. Doch diese wurde – wohl wegen des damals als unverhältnismäßig hoch empfundenen Kostenaufwands – abgelehnt. So verfügte man schließlich 1973 das Ende des Kirchenbauwerks.

Der letzte Gottesdienst der Markus-Kirchgemeinde in ihrer Markuskirche fand am 4. November 1973 statt. 1974 wurden Kunstgut und Inventar aus dem Kirchgebäude gebracht, am 28. Februar 1978 der Grundstein der Kirche gehoben.

Am 25. Februar 1978, fast viereinhalb Jahre nach ihrer letzten Nutzung, wurde das Kirchenschiff gesprengt, am 4. März 1978 der Kirchturm. Amateurfilm-Aufnahmen davon – damals wohl eher klammheimlich gedreht – sind heute bei YouTube zu sehen.

Die Trümmer der Kirche kamen nach Leipzig-Probstheida in den Park an der Etzoldschen Sandgrube – zehn Jahre zuvor waren dorthin die Reste der gesprengten Universitätskirche Leipzig gebracht worden. 1984 wurde im Markus-Pfarrhaus ein Saal zur Markuskapelle gestaltet.

Die Markus-Kirchgemeinde ist bis heute ohne eigenes Kirchengebäude geblieben. Dort, wo an der Dresdner Straße 61 fast hundert Jahre die Kirche stand, ist heutzutage eine achtlos-ungepflegte Grünfläche als Warteplatz an der Straßenbahn-Haltestelle.

Reudnitz hat 1978 mit der Sprengung seiner Kirche mehr als nur sein architektonisch überragendes Wahrzeichen verloren.

Koordinaten: 51° 20′ 19,8″ N, 12° 24′ 13,2″ O

Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Markuskirche_(Leipzig)
https://dreifaltigkeitskirchgemeinde-leipzig.de/gemeinde/geschichte/

Mit freundlicher Unterstützung des Fördervereins Leipziger Denkmalstiftung, September 2021.

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