Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden.

Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

St.-Jacobi-Kirche in Nordhausen

Die evangelische St.-Jacobi-Kirche, auch Jakobikirche und Neustädter Kirche genannt, war ein Kirchengebäude in Nordhausen in Thüringen. Dort gab es seit dem 13. Jahrhundert die Pfarrkirche St. Jacobi: 1310 ist ihr Kirchturm erstmals urkundlich erwähnt, und 1365 wird die Kirche bei der Vereinigung der Oberstadt mit der Unterstadt genannt.

1744 wurde die baufällige Kirche abgerissen, der Kirchturm mit seiner soliden Bausubstanz blieb stehen und wurde in den Neubau einbezogen, für den auch Steine aus der Ruine des Klosters Walkenried verwendet wurden. Grundsteinlegung war am 15. Juli 1744, die Baumeister Johann Andreas Voigt aus Blankenburg, Johann Christian Eichler aus Nordhausen sowie der Stuckateur Johann Leonhard Schreiber leiteten die Geschicke. Kirchweihe war am 12. Oktober 1749. Das Kircheninnere war ein schlichter Saal, 30 Meter lang und 18 Meter breit.

Der Kanzelaltar stand vor der östlichen Empore, die Kanzel war achteckig, ihre Brüstung war mit Blumengebinden verziert. Den Schalldeckel bekrönten geschweifte Zierleisten. Abgeschlossen wurde der Kanzelaltar von einem Kruzifix mit Maria und Maria Magdalena. Den Altar mit einfachem Altartisch schuf 1749 der Bildhauer Johann Kaspar Unger.

Zerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs

Die Kirche St. Jacobi um 1910. Foto: Von Autor unbekannt - Zeno.org, ID-Nummer 20000648221, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38567743
Die Kirche St. Jacobi um 1910. Foto: Von Autor unbekannt – Zeno.org, ID-Nummer 20000648221, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38567743

Rechts vom Altar befanden sich lebensgroße Standbilder der Reformatoren Luther und Melanchthon aus dem Jahr 1905, erschaffen von Holzbildhauermeister Eugen Richter. Ein Kronleuchter mit zweimal zwölf Messing-Lichterarmen erleuchtete das Langhaus. Hölzerne Säulen trugen die Emporen. Eine Tafel gedachte der 134 im Ersten Weltkrieg gefallenen Gemeindeglieder.

Am 3. und 4. April 1945 wurde das Kirchenschiff bei den Luft-Angriffen britischer Bomber-Geschwader weitgehend zerstört. Von den Bombardierungen war das Umfeld der St.-Jacobi-Kirche mit am stärksten betroffen: Das Innere des Gotteshauses war vollständig ausgebrannt, übrig blieben der ausgebrannte Kirchturm und Teile der Außenmauern. Die Reste des Kirchenschiffs wurden abgetragen, um 1950 Mauerreste abgerissen.

Noch 1952 hieß es in Nordhausens Stadtbebauungsplan: „Die erhaltenen historischen Gebäude werden im Stadtbild erhalten, besonders das alte Rathaus, der Dom und die St. Blasiikirche. Von der St.-Jacobi-Kirche und der St. Petri-Kirche sind nur die Türme erhalten, die gestalterisch in die neue Bebauung einbezogen werden“.

SED ließ Kirchturm einfach sprengen

Jedoch war diese Erklärung sieben Jahre später das Papier nicht wert, auf der sie stand: Die SED-geführte Stadtleitung von Nordhausen demonstrierte am 27. September 1959 um 8 Uhr autoritär ihre Macht: Sie ließ den verbliebenen Kirchturm sprengen, danach wurde das Gelände eingeebnet und sollte zum Parkplatz umgestaltet werden. Dort, wo früher die Kirche stand, ist nun größtenteils eine Grünfläche.

Bevor die Diakonie nahe der einstigen Kirche ein Seniorenheim zu errichten begann, gab es auf dem Baugelände von März bis Oktober 1999 archäologische Ausgrabungen. Dabei fand Thüringens Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie vielerlei Spuren.

So das Fundament des Kirchturms, seine Grundfläche betrug 7,90 Meter mal 9,20 Meter, die Stärke der Grundmauern 2 Meter, im Sohlenbereich sogar 2,40 Meter. Als Baumaterial waren vor allem Dolomit-, Kalk-, Sand- und Anhydritsteine aus der Umgebung der Stadt verwendet worden.

Im einstigen Mittelschiff kam der Fußboden der Kirche aus dem Jahre 1749 zum Vorschein: rote Ziegelplatten, 24 cm lang, 24 cm breit und 3,5 cm stark und von Sandsteinplatten (20 cm x 40/50 cm) eingefasst.

600 Jahre Begegnungsstätte

Der östliche Teil der Jakobikirche mit dem Chorraum konnte nicht untersucht werden: Seit den 1950er Jahren verläuft die Rautenstraße über diese Fläche des einstigen Gotteshauses. Bei deren Bau gab es weder eine Boden-Dokumentation noch eine Fundanalyse.

Mehr als 600 Jahre war St. Jacobi die Stätte festlicher Begegnung für Generationen zum Gottesdienst sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Sie war vertrauter, heimatlicher Ort für Taufe und Konfirmation, für Trauung und Heimgang Hunderter Bürger von Nordhausen. Sie war der vereinende Raum für Freude, Zuversicht und Hoffnung, für Kummer, Trauer und Leid.

Dort, wo ganz in der Nähe die Kirche stand, bietet nun ein kirchliches Haus pflegebedürftigen Menschen ein Zuhause.

Koordinaten: 51° 29′ 56,5′′ N, 10° 47′ 36,5′′ O

Quellen und Links
Wikipedia-Beitrag zu St. Jacobi (Nordhausen)
Beitrag im Nordhausen-Wiki
Beitrag auf karstwanderweg.de
Ãœbersicht auf kirchensprengung.de
Informationen zum St. Jakob Haus (Diakonie Nordhausen)

Nächste Folge: Die Klosterkirche in Grimma

Recherche und Zusammenstellung: Holger Zürch, Oktober 2021. Mit freundlicher Unterstützung vom Förderverein der Leipziger Denkmalstiftung.

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