Das milde Urteil im Fretterode-Prozess gegen zwei militante Neonazis sorgte heute für Unverständnis. Außerdem kritisiert der Sächsische Flüchtlingsrat die Umstände der nach wie vor drohenden Abschiebung Mohammad K.s und das LKA ermittelt nach Sachbeschädigung am Haus des Jugendrechts. Die LZ fasst zusammen, was am Donnerstag, dem 15. September 2022, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.

Flüchtlingsrat kritisiert sächsisches Innenministerium scharf

Nach der versuchten Abschiebung von Mohammad K.* am Dienstag in Leipzig hat der Sächsische Flüchtlingsrat das Vorgehen der sächsischen Behörden und Polizeikräfte rund um den Fall heute als brutal, unverhältnismäßig und eskalativ bezeichnet.

Die Polizei hatte am Dienstag das Wohnhaus des Mannes in der Südvorstadt mit dem Ziel der sofortigen Abschiebung nach Jordanien aufgesucht. Daraufhin hatte sich der 26-Jährige in seiner Wohnung verbarrikadiert, sich selbst Verletzungen zugefügt und Selbsttötungsabsichten geäußert. Nach stundenlangem Ringen um das Leben des Mannes – wobei sogar das SEK vor Ort geordert wurde – wurde Mohammad K. schließlich zur medizinischen Versorgung ins Uniklinikum gebracht.

Eine Abschiebung droht ihm nach wie vor, das Amtsgericht Dresden hat die Abschiebehaft angeordnet.

Der Flüchtlingsrat kritisiert einerseits den Einsatz am Dienstag, der „völlig unverhältnismäßig“ abgelaufen sei. Angesichts des angedrohten Suizids des Mannes hätte die Abschiebung auf Eis gelegt werden müssen, um die Situation zu deeskalieren. „Dann hätte der psychische Gesundheitszustand von Herrn K. in Ruhe untersucht werden können und damit die Frage der Reisefähigkeit noch einmal kritisch infrage gestellt werden“, sagt Paula Moser vom Sächsischen Flüchtlingsrat.

Zum Anderen rügt der Flüchtlingsrat das politische Setting, in dem die beabsichtigte Abschiebung überhaupt stattfinden konnte: Während die Ampel das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht zeitnah einführen will und einige Bundesländer wie beispielsweise Brandenburg und Rheinland-Pfalz für den Übergang sogenannte Vorgriffsregelungen erlassen haben, gibt es in Sachsen keine solche Möglichkeit.

Eine Vorgriffsregelung ermöglicht es Personen, denen aktuell eine Abschiebung droht, bei der zuständigen Ausländerbehörde einen Antrag auf Ermessensduldung zu stellen. Die Behörde muss die Abschiebung dann rückpriorisieren – aber nur, wenn der betroffenen Person mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Inkrafttreten der geplanten Gesetzesänderungen keine Abschiebung mehr drohen wird.

„Sächsische Kälte der CDU-propagierten Law-and-Order-Migrationspolitik“

„Mohammad K.s Fall ist eigentlich ein Paradebeispiel für das, was Konservative als ‚gelungen integriert‘ bezeichnen würden“, erklärt Moser. Doch selbst davor mache die sächsische Abschiebepolitik keinen Halt. „Alles behördliche Handeln scheint darauf ausgelegt zu sein zu signalisieren: Sachsen vergibt keine Chancen.“

Mohammad K. lebt laut dem Sächsischen Flüchtlingsrat seit rund sieben Jahren in Deutschland und hat mehrere Jahre in einem Leipziger Betrieb gearbeitet. Laut dem Flüchtlingsrat hat die „sächsische Kälte der von der CDU seit Jahrzehnten propagierten Law-and-Order-Migrationspolitik“ nun auch vor Mohammad K. nicht Halt gemacht.

Für den morgigen Freitag (16.09.) ist erneut eine Demonstration vor der Ausländerbehörde in der Prager Straße angekündigt. Bereits gestern versammelten sich über 100 Personen vor der Behörde, um sich mit Mohammad K. zu solidarisieren und gegen die drohende Abschiebung zu demonstrieren.

Fretterode-Prozess: Mildes Urteil gegen zwei Thüringer Neonazis

Im sogenannten Fretterode-Prozess gegen zwei Thüringer Neonazis sind die beiden Beschuldigten heute zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung beziehungsweise zu einer Jugendstrafe von 200 Sozialstunden verurteilt worden. Damit fällt das Urteil des Landgericht Mühlhausen deutlich milder aus als von der Anklage und Nebenklage erwartet. Die Staatsanwaltschaft hatte für den Angeklagten Gianluca B. mehr als drei Jahre Haft gefordert, für den Angeklagten Nordulf H. eine Jugendhaftstrafe auf Bewährung.

Im April 2018 hatten die beiden Neonazis zwei Journalisten bedroht, mit dem Auto verfolgt und mit Waffen angegriffen. Einer der Fotografen erlitt dabei einen Schädelbruch, der andere Stichverletzungen am Bein. Nordulf H. ist Sohn eines bekannten NPD-Funktionärs.

Die Vorsitzende Richterin am Landgericht Mühlhausen verurteilte die beiden Neonazis wegen Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung. Die Richterin sieht es nicht als erwiesen an, dass es sich bei dem Angriff um eine gezielte Attacke auf Journalisten und somit auf die Pressefreiheit handelte. Einer der beiden angegriffenen Journalisten verließ, gegen das Urteil protestierend, noch während der Urteilsbegründung fassungslos den Saal.

Fassungslosigkeit nach Urteilsverkündung

Das vergleichsweise milde Urteil sorgte heute bundesweit für Unverständnis. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) Thüringen äußerte seine Zweifel daran, dass die Strafen angemessen seien. „Die Tat war nicht nur ein Angriff auf die beiden Journalisten, sondern ein gezielter Einschüchterungsversuch mit dem Ziel, Berichterstattung zu unterbinden“, sagt Heidje Beutel, Vorsitzende des DJV Thüringen. „Ich befürchte eine Signalwirkung in die völlig falsche Richtung.“

Unter Journalist/-innen wurde heute in Bezug auf das Urteil häufig Fassungslosigkeit geäußert. „Das Urteil ist meiner Meinung nach skandalös wenig für einen Angriff auf die Pressefreiheit“, kommentierte etwa Zeit-Journalist Christian Bangel.

Grüne und Linke im Thüringer Landtag reagierten schockiert auf das milde Strafmaß. Die Linken-Fraktion spricht von einem „Justizproblem“ und von einer „Katastrophe für die Pressefreiheit“ in Thüringen. Die Grünen-Fraktion fordert angesichts des Urteils die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Rechtsextremismus und Hasskriminalität, die längst überfällig sei.

LKA ermittelt: erneuter Angriff auf Haus des Jugendrechts

Nach einem erneuten Angriff auf das Haus des Jugendrechts in der Leipziger Witzgallstraße ermittelt das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen wegen Sachbeschädigung. Laut Polizei warfen in der Nacht von Donnerstag auf Freitag unbekannte Täter mehrere Gegenstände gegen die Fassade und Fenster des Gebäudes, wodurch ein Sachschaden von rund 1.000 Euro entstanden sein soll.

Eine Ermittlung wegen Sachbeschädigung ist in einem solchen Fall nicht ungewöhnlich. Doch in diesem Fall hat das Polizeiliche Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum (PTAZ) die Ermittlungen übernommen, da das LKA eine politische Tatmotivation nicht ausschließt.

In der Vergangenheit hatte es bereits mehrfach Angriffe auf das Haus des Jugendrechts gegeben. In der Silvesternacht 2017/18 legten Unbekannte Feuer im Technikraum des Gebäudes, später machte ein Bekennerschreiben aus der linksautonomen Szene online die Runde.

Im Juni 2021 setzten Unbekannte Gegenstände im Bereich der Eingangstür in Brand, die Feuerwehr konnte den Brand aber löschen, bevor er aufs Gebäude übergriff. Im Zusammenhang mit der Brandstiftung tauchte damals ein Bekennerschreiben aus der linken Szene auf, in dem Bezug auf eine Hausbesetzung in Berlin genommen wurde.

Im Haus des Jugendrechts befinden sich die Jugendgerichtshilfe, ein Teil der Staatsanwaltschaft Leipzig und ein Kommissariat der Kriminalinspektion.

Mehr als 26 autofreie Aktionsflächen beim „Park(ing) Day“ 2022

Worüber die LZ heute berichtet hat: über den Leipziger Doppelhaushalt 2023/24, über den „Zoo der Zukunft“, über eine Verzögerung des Radweg-Baus am Elster-Saale-Kanal und über den viel diskutierten Verbindungsweg zwischen der Schleußiger Industriestraße zur Nonne

Was morgen wichtig wird: Zum Startschuss der Europäischen Mobilitätswoche organisiert der Leipziger Verein Ökolöwe morgen den sogenannten „Park(ing) Day“ – ein Aktionstag, der seit fast zwei Jahrzehnten am jeweils dritten Freitag im September in Städten weltweit begangen wird.

Der Grundgedanke: Flächen, die ansonsten Parkplätze für Autos sind, werden für einen Tag in anderer Form genutzt, beispielsweise als Freisitze, Leseecken oder Mini-Parks mit Rollrasen und Blumentöpfen. So soll darauf aufmerksam gemacht werden, „wie stark parkende Autos den öffentlichen Raum in der Stadt dominieren“.

Dazu werden auf einzelnen Parkflächen Versammlungen bei der Stadt angemeldet, dieses Jahr sind es laut dem Ökolöwen mehr als 26. In den vergangenen Tagen konnte man im Stadtgebiet bereits zahlreiche Halteverbotsschilder mit der Zusatzinfo „Demo am 16.09.“ entlang von Parkplätzen sichten – meist ein Hinweis auf eine „Park(ing) Day“-Aktion.

Der Ökolöwe trug im Jahr 2011 den ersten „Park(ing) Day“ in Deutschland aus, mittlerweile ist er nicht nur in Leipzig fester Bestandteil der Verkehrswende-Bewegung, sondern beispielsweise auch in Berlin, Hamburg und Münster. „Mit dem Park(ing) Day möchten wir Mut machen, unsere öffentlichen Räume attraktiv zu gestalten“, ist auf der Website des Ökolöwen zu lesen.

* Anmerkung der Redaktion: Bisher war in der Berichterstattung verschiedener Medien von „Mohammad H.“ die Rede. Laut dem Sächsischen Flüchtlingsrat, der in Kontakt mit dem Betroffenen steht, ist die korrekte Schreibweise aber „Mohammad K.“.

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