Bis zum 9. Januar 2022 wird im Leipziger Kunstmuseum in der Katharinenstraße die Fortsetzung jener Schau gezeigt, die ein Jahr zuvor im Museum Kunstpalast in Düsseldorf gezeigt wurde. In Leipzig hat sie ein anderes Gesicht und andere Themen, viele Werke Friedrichs und anderer Künstler sind ausschließlich in Leipzig zu sehen. Dr. Jan Nicolaisen kuratierte die Leipziger Ausstellung. Was er mit der erweiterten Ausstellung zeigen will, warum Caspar David Friedrich ein sensitiver Beobachter seiner Zeit war und wie progressiv und modern er seine Gemälde konzipierte und umsetzte, erörtert er im Interview mit der LZ.

Herr Nicolaisen, was möchten Sie mit der Ausstellung „Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Malerschule“ in Leipzig zeigen?

Wir möchten mit wunderbaren Bildern Friedrichs und seiner konkurrierenden Zeitgenossen vor Augen führen, wie schwierig es gewesen zu sein scheint, die Bilder Friedrichs, die wir heute uneingeschränkt bewundern, unbefangen wahrzunehmen. Dabei spielt die damals wie heute meinungsbildende Kunstkritik eine wichtige Rolle.

Wie lange wurde Friedrichs Malerei übersehen?

Ungefähr bis um 1900, als ein Norweger den Friedrich für die Deutschen wiederentdeckte. Das war Andreas Aubert (Fredrik Ludvig Andreas Vibe Aubert 1851–1913, norwegischer Kunsthistoriker und Kunstkritiker, Anm. d. Red.).

Er war in Dresden, um über seinen Landsmann, Landschaftsmaler Johan Christian Clausen Dahl (1788–1857, Anm. d. Red.) zu forschen. Dahl war ein enger Freund von Caspar David Friedrich. Als Friedrich 1840 starb und sein Nachlass versteigert wurde, wollte diesen niemand haben. Weil Dahl Friedrichs Werk schätzte, bewahrte er es auf.

Als Dahl starb, erhielt sein Sohn den Nachlass Friedrichs. Aubert forschte also bei Dahls Sohn über den Nachlass seines Vaters. Er fand im Nachlass von Dahl, eigentlich zufällig, Zeichnungen und Gemälde von Caspar David Friedrich. Aubert wurde bewusst, da ist ein Künstler, den keiner mehr kennt, der ist in Deutschland vergessen. Oder wurde für einen düsteren romantischen Spinner gehalten.

Aubert erkannte allerdings die Qualitäten Friedrichs und stellte zweiunddreißig seiner Werke in der „Jahrhundertausstellung deutscher Kunst von 1775–1875“ 1906 in der Nationalgalerie in Berlin vor. Danach änderte sich das Bild von ihm in der Öffentlichkeit. Bis dahin hatten die Deutschen den Friedrich wirklich verdrängt und vergessen.

Was war das Besondere an dieser Entdeckung?

Aubert erkannte die Spannbreite der Kunst Friedrichs, also einerseits die transzendentale, romantische Qualität und andererseits die genaue Naturbeobachtung. Das gelang ihm insbesondere, weil er Zeichnungen aus Skizzenbüchern und Malerei nebeneinander sah, also den Weg von der Naturbeobachtung zum Gemälde erkannte.

Inwieweit hat die Düsseldorfer Malerschule mit Friedrich zu tun?

Die Düsseldorfer betrieben ebenfalls wie Friedrich ein detailliertes Naturstudium, wie wir es an den vielen Vergleichsbeispielen in unserer Ausstellung sehen können, wie bei Carl Friedrich Lessing (1808–1880, Anm. d. Red.), dem wohl berühmtesten Vertreter in der Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert.

Die emotionale Aufladung und Intensität, mit der Friedrich gearbeitet hat, ist jedoch nicht im gleichen Maß typisch für die Düsseldorfer. Das heißt nicht, dass die Düsseldorfer Maler kalt und gefühllos gemalt hätten, im Gegenteil. Doch ihre Bilder sind oftmals illustrativer aufgefasst. Ein verbindendes Merkmal ist, dass die Bilder für die gedankliche Ausdeutung durch die Betrachter offenbleiben.

Waren deshalb die Düsseldorfer erfolgreicher als Friedrich?

Ihre Werke waren für das Publikum wohl leichter zugänglich. Hinzu kommt, dass die Düsseldorfer Vertreter marktorientierter vorgingen als Friedrich es je unternommen hätte. Die Düsseldorfer waren mit Galerien vernetzt, im Übrigen bis nach Amerika, mit Sammlern, mit Akademien und Institutionen.

Friedrich nicht in dem Maß wie die Düsseldorfer. Friedrich stand sowohl dem Kunstbetrieb als auch dem künstlerischen Zeitgeist kritisch gegenüber. Er hatte eine sehr feste Vorstellung von dem, was er machen wollte, gegen jede Kritik, selbst wenn sie von einem Johann Wolfgang Goethe kam. Er ist sich treu geblieben. Für die Treue zu sich selbst hat er einen sehr hohen Preis bezahlt.

Er ist auch nie zum Professor berufen worden…

Zumindest nicht zum ordentlichen Professor. Honorarprofessor könnte man heute zu seiner Stellung in der Dresdner Kunstakademie sagen, aber ohne Klasse. Dennoch standen zahlreiche Maler in Dresden eine Zeit lang unter seinem Einfluss wie Dahl, Carus, Oehme.

Dennoch ging der Kelch an ihm vorbei…

Ja, eine ordentliche Professur wurde für die Landschaftsmalerei in Dresden erst nach seinem Tod mit dem Landschaftsmaler Ludwig Richter eingerichtet. Erst mit seiner Berufung wurde das Fach Landschaftsmalerei in Dresden institutionalisiert.

Was machte Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert so populär?

Im akademischen Kanon spielte die Landschaft eine untergeordnete Rolle, weil sie keine moralischen Botschaften wie die Historienmalerei oder Malerei mit mythologischen oder religiösen Themen vermittelte. In der Gunst des Publikums und der Sammler stieg die Landschaft allerdings im 19. Jahrhundert zu einer sehr populären Gattung auf.

Wir kennen das von den Niederländern im 17. Jahrhundert, und auch insbesondere durch Rubens‘ Landschaftsstudien für seine opulenten Szenerien.

Ist die Entwicklung der Landschaftsmalerei als eigenständige Gattung ein europäisches Phänomen, oder ist sie lokal beziehungsweise regional beschränkt?

Der Erfolg der Landschaftsmalerei im 18. und 19. Jahrhundert ist ein europäisches Phänomen, das lässt sich nicht nur auf ein Land beschränken. Das Genre erhielt durch die Romantik, auch durch die Literatur, wichtige Impulse.

Seit der durch Rousseau inspirierten Bewegung eines „Zurück zur Natur“ im 18. Jahrhundert waren Landschaften auch Projektionsflächen für urbanitätssmüde Städter, das spielte bereits in der holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts eine Rolle.

Warum gelangten v. a. Landschaftsbilder ins Leipziger Museum?

Durch die stärker einsetzende Sammlungstätigkeit von Bürgern. Wer es sich leisten konnte, wollte Landschaften in seiner Wohnung haben. Hier bewegen wir uns auch in die bürgerliche Repräsentationskultur des 19. Jahrhunderts hinein. Das sind nach Friedrich keine idyllischen, arkadischen Veduten, wo man italienische Landschaften im heiteren Licht sieht.

Mit dieser Ästhetik räumt Friedrich auf und schafft Seelenlandschaften, und eben nicht dekorative Landschaften wie wir sie noch aus dem 17. und 18. Jahrhundert kennen. Der Begriff der „Seelenlandschaft“ umschreibt am besten, worum es Friedrich in seinem Werk ging.

Das ist etwas, das Goethe zutiefst suspekt war, diese Subjektivität. Nach Goethe sollten Landschaften objektiv, ausgewogen und naturalistisch sein.

Inwiefern gilt Caspar David Friedrich auch als moderner Künstler?

Es ist sein subjektiver Umgang mit dem Sujet, der Umgang mit Farbverläufen und seine persönliche Haltung als Künstler, sich frei und unabhängig von einem Zeitgeist künstlerisch bewegen zu dürfen. Wenn wir uns die wunderbare Leihgabe mit dem Titel „Im Riesengebirge“ aus der Berliner Nationalgalerie anschauen, sieht man, wie er mit Verschattungen und Gegenlichteffekten gearbeitet hatte, wie er aus dem dunklen Vordergrund nach hinten die horizontal verlaufenden Gebirgszüge immer heller herausarbeitet.

Durch das Fehlen von Dekorations- und Erzählelementen erscheint das Bild stark abstrahiert und modern.

Vergleichen wir Friedrichs Position mit der von Karl Friedrich Lessing gegenüber an der anderen Wand, haben wir bei ihm die Natur als anbetungswürdiges Motiv, ein Gegenstand der Andacht, ist jedoch gefälliger und dekorativer und freundlicher formuliert als bei Friedrich. Lessing platziert noch Pferde, Figuren, lässt das Sonnenlicht durch die Blätterkronen brechen. Bei Friedrich sehen wir nur die Gebirgskämme und Lichtwertabstufungen.

In Friedrichs Bild sehen wir auch eine Figur, aber nur bei näherem Hinsehen. Sie ist von ihm im Dunkel versteckt worden. Wir werden durch seine Darstellung regelrecht aus dem Dunkel ins Licht geführt.

Hier geht es um den Vorgang des Sehens und Erkennens auch in einem religiösen Sinn. Lessing hingegen malte eine unbestimmte Landschaft als Bühne, die nicht aneckt und keine tieferen emotionalen Regungen beim Betrachter hervorruft.

Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker
Museum der bildenden Künste Leipzig
09.10.2021 bis 09.01.2022

Über Jan Nicolaisen:

Jan Nicolaisen ist der Leiter der Sammlungen Malerei und Skulptur am Museum der bildenden Künste in Leipzig. Seine wichtigste Forschungsleistung am Museum ist, die Sammlungsbestände des 19. Jahrhunderts auszuwerten und inhaltlich zu kontextualisieren. So setzt er immer wieder Schwerpunkte zur Malerei des 19. Jahrhunderts, aber auch zur niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts.

Seine größte Leistung am MdbK ist der Bestandskatalog „Niederländischer Malerei 1430–1800“, der 2012 parallel zur Ausstellung „Die schönsten Holländer“ erschien und dessen Recherchearbeit ganze vier Jahre umfasste. Auch seine Ausstellung „Delaroche und Delacroix – Geschichte als Sensation“ fasste anschaulich die wichtigsten und aktuellsten

Forschungsergebnisse zur Malerei des Kolonialismus und der Romantik zusammen. Sein neuester Coup ist die Werkausstellung zu Caspar David Friedrich im Kontext der bürgerlich-romantischen Bewegung in Deutschland, insbesondere um den damaligen malerischen Trend rund um die Düsseldorfer Malerschule.

„Caspar widerstand dem Trend: Kurator Dr. Jan Nicolaisen über neue Romantikausstellung“ erschien erstmals am 29. Oktober 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 96 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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