War die DDR nun ein Leseland, wo gedruckte Bücher eine besondere Rolle spielten? Oder war es das nicht? Die Experten streiten sich. Aber eine besondere Rolle spielte das Buch schon in diesem verschlossenen Land. Die Ausstellung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, ergänzt und präsentiert vom Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, lädt ab heute zu einer anschaulichen Zeitreise durch das Leseland DDR ein.

Die Zusätze des Stadtgeschichtlichen Museums beschäftigen sich mit Reclam Leipzig als Beispiel für einen DDR-Verlag, mit dem Literaturinstitut „Johannes R. Becher“, mit Lesungen während der Leipziger Buchmesse und mit dem Grafischen Viertel als Hauptbuchlieferant für die DDR.

Die Macht des gedruckten Wortes

Sie kennen ihn auch, den geheimnisvollen Geruch alter Bücher, der einem beim Öffnen verstaubter Kisten entgegenkommt, beim Besuch einer Bibliothek oder eines verwinkelten Antiquariats. Ein Geruch, der an fast vergessene Geschichten erinnert, die beim Blättern durch die Bücher zum Leben erweckt werden. Hinter derartigen sinnlichen Erinnerungsankern stehen aber stets reale Geschichten jener Art, wie sie die Ausstellung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sensibel und eindringlich darstellt.

Einst die beliebteste Leipziger Buchhandlung: die Buchhandlung Franz-Mehring-Haus. Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Einst die beliebteste Leipziger Buchhandlung: die Buchhandlung Franz-Mehring-Haus. Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Auf 20 Ausstellungstafeln präsentiert und problematisiert diese Schau anhand von Texten, Bildern und Videos das „Leseland DDR“. Ein Land, dessen Obrigkeit an die Macht des geschriebenen Wortes glaubte und es zugleich fürchtete. Wo das Lesen und Schreiben mit großem Aufwand gefördert wurde, während politisch unerwünschte Literatur in Bibliotheken nur mit einem Giftschein zugänglich war und Post und Reisende aus dem Westen nach Gedrucktem gefilzt wurden.

„Leseland DDR“ erzählt vom Eigensinn der Menschen, die sich ihre Lektüre nicht vorschreiben lassen wollten, die für rare Bücher Schlange standen und auf der Leipziger Buchmesse so manchen begehrten Titel westdeutscher Verlage heimlich in die Tasche steckten.

Vom Graphischen Viertel bis zum Reclam Verlag

Die Ausstellung lädt aber auch in die Welt der Krimis, Märchen und Science-Fiction ein, sie berichtet von der Literatur aus der Sowjetunion, den schreibenden Arbeitern des sozialistischen Realismus, und lässt die Ausstellungsgäste in alte Kochbücher blicken. Die Schau wirft Schlaglichter auf die grenzüberschreitende Kraft, welche die deutsch-deutschen Schriftstellerkontakte, das Radio und Fernsehen, aber auch die Bücher entfalteten, die Weltreisen über die Mauern des Landes hinweg ermöglichten. Mit den Schriftstellerinnen und Schriftstellern in der Friedlichen Revolution und der DDR als Thema der Gegenwartsliteratur endet die Zeitreise.

„Leipzig und das Buch verbindet eine lange Geschichte, und insbesondere in der DDR-Zeit waren die Buchmesse als Fenster zur Welt und die lebendige Leipziger Literaturszene für das besondere Lebensgefühl dieser Stadt mit ausschlaggebend. Dass die Ausstellung ‚Leseland DDR‘ die besondere Stellung der Literatur und des Lesens in der DDR zugleich ernst nimmt wie kritisch hinterfragt, passt zur Haltung unseres Museums und ist zugleich eine reizvolle Ergänzung zum diesjährigen Neustart der Leipziger Buchmesse nach Corona.

Dass wir mit ausgewählten Stücken unserer Sammlung sowie eigens aufbereiteten Themenbereichen vom Literaturinstitut über das Graphische Viertel bis zum traditionsreichen Reclam-Verlag diese hochwertige Wanderausstellung noch anreichern und für Leipzig spezifizieren konnten, erhöht den Reiz und die Aussagekraft dieser Schau noch weiter“, sagt Dr. Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.

Die Ausstellung ist ein Beitrag zur Kulturgeschichte des real existierenden Sozialismus und zugleich eine Anregung für Jung und Alt, nach ihrem Besuch die alten Bücher aufzuschlagen, um die Geschichte der DDR im Spiegel ihrer Literatur kritisch (neu) zu erkunden.

Leseland DDR. Sonderausstellung, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Haus Böttchergäßchen 3, vom
15. März bis zum 18. Juni 2023.

Öffnungszeiten: Dienstag–Sonntag, Feiertage 10–18 Uhr. Freier Eintritt an jedem 1. Mittwoch im Monat.

Während der Leipziger Buchmesse vom 27. bis zum 30. April ist die Ausstellung von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Alle Besucherinnen und Besucher der Buchmesse Leipzig erhalten mit ihrem Messe-Ticket ermäßigten Eintritt.

Öffentliche Führungen durch die Studioausstellung „Leseland DDR“ gibt es am 16. März, 20. April, 11. Mai und 8. Juni jeweils 17 Uhr. Marko Kuhn, Leiter der Bibliothek, lädt ein zu einer Zeitreise durch das Leseland DDR. Kosten: Eintritt zzgl. 2 € Führung

Podiumsgespräch am Samstag, dem 20. Mai, 16 Uhr: Buchstadt Leipzig – zwischen altem Glanz und neuen Herausforderungen. Podiumsgespräch im Grünen Salon (Altes Rathaus, 2. OG), Kosten: 2 €

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