Wie merkt ein Journalist, der zu lokalen Neonazi-Strukturen recherchiert, dass er zu tief im braunen Sumpf gestochert hat? Zum Beispiel daran, dass er plötzlich Angst haben muss, das Haus zu verlassen. Dass er im Fußballstadion aggressiv angegangen wird. Dass er sich zum Selbstschutz von der Demo-Berichterstattung fernhalten muss und seinem Beruf nicht mehr ausreichend nachkommen kann. Und all das, weil ein Neonazi ihn in einem gefälschten Fahndungsaufruf als Kinderschänder diffamiert. Einem unserer Kollegen passierte genau das. Ein Zivilgericht sprach ihm nun Schadensersatz zu – und fand deutliche Worte.

Ein psychischer Schock“

Für den freischaffenden Journalisten, der seit 2009 für die L-IZ schreibt, war der 11. März 2015 ein „psychischer Schock“, wie er sagt. Damals tauchte in einer WhatsApp-Gruppe ein fingierter Steckbrief des Lokalreporters mit Klarnamen und Porträtfoto auf. Darüber hieß es: „Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe“ und brachte den Redakteur der L-IZ mit sexueller Belästigung von Kindern in Verbindung. Darunter: „Hinweise an das Polizeipräsidium Leipzig oder jede andere Polizeidienststelle.“

Freilich hätte dem besonnenen Leser schon hier auffallen können, dass Leipzig gar kein Polizeipräsidium hat. Doch sobald der Vorwurf im Raum steht, sich an einer der schwächsten Gruppen zu vergreifen, hat der kühle Kopf oft keine Chance mehr. Im Gegenteil: Auf Facebook ging der Post mit der Bemerkung, man bitte „um Mithilfe bei der Selbstjustiz“ viral und wurde gemäß Aufforderung hundertfach geteilt. Offenbar klares Kalkül.

Unser Kollege stellte am gleichen Tag Strafanzeige und suchte nach dem Urheber der üblen Verleumdung. Rasch wurde er fündig. Es war ein alter Bekannter aus Wurzen, der seit Jahren als zentraler Protagonist und Trainer der rechtsextremen Kampfsportszene bekannt ist. Zwei junge Männer aus seinem Umfeld sitzen seit Juni auf Mallorca in Untersuchungshaft, weil sie dort einen dunkelhäutigen Türsteher aus dem Senegal brutal verprügelt haben sollen.

Fotos zeigen den Kampfsportler bei den rechten Demonstrationen im Chemnitz vom August 2018, er wird mit diversen Straftaten wie der Bedrohung linker Demonstranten und Journalisten in Verbindung gebracht – auch mit dem martialischen Überfall auf Connewitz im Januar 2016. Er bestreitet dies bis heute.

Schon vor Jahren ließ der Neonazi keine Zweifel, dass er den L-IZ-Reporter wegen seiner Recherche zur Unterwanderung der lokalen Fußballszene durch die rechte Hooligan-Gruppe „Scenario Lok“ im Visier hat. Denn seine öffentlich gewordenen Verstrickungen in dieses Milieu kosteten den ambitionierten Freefighter einen Profi-Vertrag in den USA. Offenbar machte er unseren Kollegen verantwortlich, obwohl der längst nicht der einzige war, der davon wusste. Ende 2013 attackierte er den Lokalreporter im Internet scharf, ungefähr zur gleichen Zeit wurde letzterer von Vermummten auf offener Straße zusammengeschlagen. Ein direkter Bezug ist nicht nachweisbar, aber naheliegend. Die Angreifer konnten nie ermittelt werden.

Alles eine „Scherzerklärung“: Verharmlosen und Herunterspielen

Nachdem der durch die Polizei anhand von Chatprotokollen festgestellte Urheber bereits Anfang 2017 rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, ging die Auseinandersetzung nun vor einer Zivilkammer des Landgerichts Leipzig weiter. Der dem Legida-Milieu eng verbundene Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter, der seinen nicht anwesenden Mandanten vertrat, hatte manch skurriles „Argument“ im Gepäck. Die Erzählung unseres Kollegen wischte er brüsk beiseite.

Dass er sich in den Tagen nach dem Post kaum aus seiner Wohnung traute und sogar vom eigenen Hausmeister angesprochen wurde? Dass eine Gruppe ihn im Fußballstadion anging? Dass seine Redaktion ihm die Beobachtung einer Legida-Demonstration aus Sicherheitsgründen untersagen musste? „Unsubstantiiert“ sei das alles. Stattdessen verwies er darauf, der Beklagte verstehe sich als unpolitisch. Wie sich das mit dem Umstand verträgt, dass sein Mandant kürzlich für das „Neue Forum für Wurzen“ in den dortigen Stadtrat einzog, bleibt unklar.

Es folgte eine Salve an Ausflüchten: Der hetzerische Beitrag sei eine „Scherzerklärung“ und nicht mit einem echten Fahndungsplakat verwechslungsfähig gewesen. Ohnehin hätten ihn nur Leute kommentiert, für die unser Kollege ohnehin schon Projektionsfläche des Unmuts war. Die L-IZ habe mit ihrer Berichterstattung über den Fall selbst zur Reichweite des Aufrufs beigetragen. Und: Der Kläger sei treibende Kraft einer Pressekampagne gegen eine Kampfsportveranstaltung gewesen und habe dem Kläger durch „Naziouting“ Chancen verbaut.

Kleines Einmaleins des Journalismus

Eine fragwürdige Auffassung, die das Landgericht Leipzig nicht teilte. Weder sei der Post vom durchschnittlichen Leser sofort als gefälscht erkennbar gewesen noch habe der Kläger mit seiner Arbeit Persönlichkeitsrechte seines Gegners verletzt. Auch die legitime Überspitzung im politischen Widerstreit, so das Gericht, sei hier überschritten: „Vielmehr hat der Beklagte einen erfundenen schwerwiegenden Vorwurf gegen den Kläger verbreitet – allein in der Absicht, ihn zu diskreditieren“, heißt es im Urteil der 8. Zivilkammer vom 6. September.

Und weiter: „Dem Beklagten standen keinerlei Rechtfertigungsgründe zur Seite. Sein Vorbringen zur Vorgeschichte des Beitrags zeigt, dass es ihm offensichtlich um Rache für vorangegangene Artikel des Klägers ging.“ Unter voller Namensnennung sei ein Verdacht in die Welt gesetzt worden, wonach unser Kollege Straftaten begangen habe, die sittlich auf niedrigster Stufe stehen.

Im Übrigen habe der Bericht der L-IZ den Sachverhalt für interessierte Leser vielmehr richtiggestellt. Ob der mit der Hetze eigentlich anvisierte Adressatenkreis dadurch erreicht wurde, sei nicht klar. Ein wichtiger Hinweis, der auch so lauten könnte: Zwischen der nackten Verbreitung eines Beitrags im Internet und dessen erklärender Einordnung, wie sie jeden professionellen Journalismus auszeichnet, liegen ganze Welten.

Gerade deswegen ist es für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen fatal, wenn ein Pressevertreter durch perfide Aktionen wie diese in seiner Arbeit zurückgeworfen, eingeschüchtert und behindert wird. Auch diese Konsequenz hob das Gericht hervor.

Die Kammer verurteilte den Beklagten daher zur Zahlung von 8.000 Euro an den betroffenen Journalisten sowie den Kosten des Rechtsstreits. Theoretisch kann der Wurzner Neonazi, der entgegen seiner Behauptungen in guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben soll, nun Rechtsmittel vor dem Oberlandesgericht Dresden einlegen. Ob er das tun wird, ist zur Stunde noch offen.

Unabhängig davon geht für den Lokalreporter, der weiterhin als Journalist arbeitet, ein viereinhalbjähriger Nervenkrieg vorerst zu Ende. „Ich hätte nie gedacht, dass er so weit geht und mich der wilden Meute praktisch zum Fraß vorwirft“, sagt der 33-Jährige rückblickend über den Täter. Doch kapituliert hat er trotzdem nicht.

Rechtsextremisten nehmen L-IZ-Lokaljournalisten ins Visier

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