Nach zähem Ringen um weitere Anträge der Verteidigung schloss das Landgericht am Mittwoch nach 57 Tagen die Beweisaufnahme im Mordprozess gegen Edris Z. endgültig ab. Der 32-Jährige, der seine frühere Partnerin 2020 im Leipziger Auwald mit Hammerschlägen getötet haben soll, musste sich in den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Nebenklage gnadenlos direkte und unmissverständliche Worte anhören. Auch an seinen zwei Anwälten hagelte es äußerst scharfe Kritik.

Oberstaatsanwalt über Prozess: „Das ist nicht normal“

Wenn ein Ankläger sich im Plädoyer sogar Richtung Publikum wendet und über den Prozess erklärt: „Das ist nicht normal und so, wie es hier gelaufen ist, ist es auch nicht in Ordnung“, dann kann man davon ausgehen, dass dieses Verfahren kein „gewöhnliches“ war und ist.Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob legte vor der 1. Strafkammer des Leipziger Landgerichts am Mittwochnachmittag noch eine Schippe drauf und riet den Zuschauern, darunter Angehörigen und Freunden der getöteten Myriam Z.: „Gehen Sie einfach mal zu einer anderen Verhandlung, falls Sie den Glauben an die Justiz verloren haben.“

Anklage: Mord und Körperverletzung

Nicht ohne Grund. Denn bis zuletzt mussten die fassungslosen Prozessbeobachter erleben, wie die zwei Anwälte Petra Costabel und Georg K. Rebentrost den Prozess mit immer neuen Anträgen hinauszögerten, lahmlegten und torpedierten. Ihr Mandant Edris Z. (32) muss sich seit Oktober 2020 wegen Mordes und Körperverletzung verantworten, weil er seine frühere Partnerin Myriam Z. (37) am 8. April des gleichen Jahres im Leipziger Auwald mit vielen Hammerschlägen traktiert haben soll, als sie gerade mit ihrem Baby im Tragetuch spazieren ging. Im Prozess schwieg er zu den Vorwürfen.

Das kleine Mädchen, das nicht von Edris Z. stammte, blieb unverletzt – doch die junge Mutter starb zwei Tage nach dem Angriff in der Klinik an ihren schweren Verletzungen.

Ein weiterer Anklagepunkt betraf einen Vorfall am Fockeberg – am 20. August 2018, so die Anklage, beschimpfte und bespuckte Edris Z. seine Ex-Freundin, als sie dort mit einem Bekannten spazieren war. Letzteren soll er dann noch attackiert, ihm die Finger in die Augen gedrückt und einen Teil des Ohres abgebissen haben, als er dazwischenging.

Situation eskalierte immer mehr

Ein Strafverfahren, so stellte der Oberstaatsanwalt in seinem Schlussvortrag klar, diene nicht dazu, das ganze Leben eines Menschen negativ zu bewerten. Und ohne Zweifel sei der Angeklagte, der als kleiner Junge mit seiner Familie aus Afghanistan nach Deutschland kam, ein intelligenter Mann, der unter schwierigen Umständen viel erreicht habe: Abitur, Studium, Arbeit, fester Freundeskreis. Aber: „Zu seinem Leben gehört auch, dass er ein kaltblütiger Mörder ist.“

Im Gerichtssaal herrschte totale Stille, während Jakob in mehr als anderthalb Stunden noch einmal das ganze Geschehen aufrollte: Die Beziehung zwischen Myriam Z. und Edris Z., die sich in der gemeinsamen Arbeit mit geflüchteten Menschen kennenlernten und Ende 2015 zusammenkamen.

Doch die nur anfangs harmonische Verbindung artete in Streitigkeiten aus, bis sie Anfang 2018 zerbrach. Danach soll Myriam regelrecht terrorisiert worden sein: Anrufe, Klopfen am Fenster ihrer Erdgeschosswohnung in der Südvorstadt, Hundekot im Briefkasten.

Nach dem Vorfall am Fockeberg vom 20. August 2018 zeigte die schockierte Myriam Z. den Angeklagten an, erwirkte ein Annäherungsverbot im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens. Zudem wurde gegen Edris Z. nun wegen Körperverletzung ermittelt.

„Er hasste diese Frau“

Aus Sicht der Anklage ein einschneidender Punkt zum Tatmotiv: „Er war wütend, dass Frau Z. es geschafft hatte, dass er aus seiner Sicht in schlechtem Licht erscheint.“ Und: „Man kann es so plump sagen – er hasste diese Frau, er war total wütend auf sie.“

Mit einem eingesteckten Hammer, so die Überzeugung des Oberstaatsanwalts, griff Edris Z. das Opfer am Tattag gezielt und mit Tötungsabsicht an, um es zur Rechenschaft zu ziehen, schlug auf Kopf und Körper der Frau ein. Die 37-Jährige wurde von hinten attackiert, sei völlig arglos gewesen und kauerte sich noch hin, um ihr Neugeborenes zu schützen.

Erst als eine Passantin aufmerksam wurde, ließ der vermummte Täter von der Frau ab und flüchtete. Myriam Z. kam sofort ins Krankenhaus, starb dort jedoch zwei Tage später.

Verteidigung beklagt Einseitigkeit und sieht Ermittlungslücken

Die Verteidigung von Edris Z. hatte sich, wie bereits in der Vorwoche, bis zuletzt mit einer Flut von Anträgen gegen den Abschluss der Beweisaufnahme aufgelehnt und den Gerichtssaal vor eine Belastungsprobe gestellt: Das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Matthias Lammel über den Angeklagten, das ihm trotz psychischer Probleme volle Schuldfähigkeit attestiert, sei mangelhaft – mehrere Ärzte könnten als Zeugen belegen, dass Edris Z. im Frühjahr 2020 an einer mittelgradigen depressiven Störung gelitten habe.

Schon 2018 sei ihm im Rahmen des Gewaltschutzverfahrens eine Arbeitsstelle versagt geblieben, Myriam Z. habe ihren Ex-Partner im privaten Umfeld und gegenüber den Behörden negativ dargestellt, sodass sich Freunde von ihm abgewandt hätten. Entsprechende Sprachnachrichten würden das belegen. Und die Ermittlungen seien einseitig gewesen, weil nur wenig Zeugen aus dem sozialen Umfeld des Angeklagten gehört worden seien.

Georg K. Rebentrost, Wahlverteidiger von Edris Z., sprach von einer komplexen, über Jahre gewachsenen Affektlage. Nicht zum ersten Mal spekulierte der junge Anwalt, der Edris Z. gemeinsam mit Pflichtverteidigerin Petra Costabel vertritt, auch über die Rolle einer Prozessbeobachterin aus dem Freundeskreis des Opfers und Chatgruppen, in denen sich das Umfeld von Myriam Z. austauscht. Hier, so die Mutmaßung, könnten Absprachen zulasten von Edris Z. erfolgen.

Die Kammer lehnte sämtliche Anträge der Verteidigung am Mittwoch, teils nach längerer Unterbrechung, als gegenstandslos ab. Eine vorher gestellte Frist zur Einreichung weiterer Antragsbegehren war bereits um 9 Uhr morgens verstrichen.

Staatsanwalt sieht kein Affekthandeln

Von einem Affekt und einer verminderten Schuldfähigkeit, die Edris Z.s Verteidiger aufwarfen, wollte die Anklage nichts wissen. Die Maskierung des Täters und sein mitgeführtes Tatwerkzeug sprächen für eine stringente Planung des Verbrechens, ebenso wie das Nachtatverhalten von Edris Z., der anschließend zu seiner damaligen Freundin ging und sich erst einmal die Haare schneiden ließ.

Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob, hier beim Prozessauftakt am 7. Oktober 2020, will den Angeklagten lebenslang hinter Gitter bringen. Foto: Lucas Böhme
Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob, hier beim Prozessauftakt am 7. Oktober 2020, will den Angeklagten lebenslang hinter Gitter bringen. Foto: Lucas Böhme

„Es gibt keine Anzeichen, dass Frau Z. im Gewaltschutzverfahren der böse Mensch gewesen ist und alles getan hat, den Angeklagten in ein schlechtes Licht zu stellen“, betonte Oberstaatsanwalt Jakob.

Und: „Das Unfassbare ist nicht automatisch eine psychische Krankheit oder Beeinträchtigung“, erklärte er über die Zweifel am Sachverständigen-Gutachten. Die einzige Person, mit der Edris Z. Mitleid empfinde, sei offenbar er selbst, sagte Jakob.

Nebenklage: Myriam Z. könnte noch leben

Rechtsanwältin Ina Alexandra Tust, die sich als Nebenklägerin für die Interessen der Hinterbliebenen von Myriam Z. einsetzt, griff diese Punkte in ihrem Vortrag auf, hob das Leiden der Familie und Freunde des Opfers hervor. Am Umgang der Verteidigung mit den Zeugen aus Myriam Z.s Umfeld, die in zäher Befragung mehrfach heftig angegangen worden waren, übte sie scharfe Kritik, die „Verschwörungstheorien“ der Verteidiger über angebliche Absprachen seien absurd.

Myriam Z. sei eine junge Frau gewesen, die immer noch an das Gute bei Edris Z. glaubte, zeigte sich die Anwältin im Plädoyer überzeugt. Der jedoch verstecke sich hinter seinen Anwälten – „und die einzige Geste, die wir von ihm wahrnehmen, ist Kopfschütteln.“

Zudem warf Tust die Frage auf, was geschehen wäre, hätte Edris Z. im Gewaltschutzverfahren einen Vergleich akzeptiert, statt dagegen vorzugehen. Ihre Antwort: „Ich gehe davon aus, dass Myriam Z. dann noch leben würde.“

Mit direktem Blick Richtung Anklagebank schloss die Rechtsanwältin ihr Plädoyer: „Sie haben Myriam Z. getötet und über Ihre Verteidigung versucht, sich als Opfer darzustellen. Sie werden ein Leben lang mit der Schuld leben müssen.“

Antrag: lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld

Wie auch die Staatsanwaltschaft beantragte Tust, Edris Z. wegen Mordes in Tatmehrheit mit Körperverletzung zu lebenslanger Haft zu verurteilen. Vor allem wegen der Heimtücke und Brutalität der Tat, die auch das Leben des Babys gefährdete, sei zudem die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Dann wäre eine Entlassung von Edris Z. nach 15 Jahren faktisch ausgeschlossen.

Der Prozess wird kommende Woche Mittwoch fortgesetzt – dann steht noch das Plädoyer einer weiteren Nebenklage-Anwältin auf dem Programm, bevor die Verteidigung das Wort erhält.

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