Der Prozess um die Tötung der 37-Jährigen Mutter Myriam Z. im Leipziger Auwald, nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft von ihrem Ex-Partner begangen, kommt kaum vorwärts. Am Montag sorgte der Wahlverteidiger des Angeklagten für einen Paukenschlag, indem er das gesamte Schwurgericht als befangen ablehnte. Dieser Vorstoß hat auch mit Zuschauern im Gerichtssaal zu tun.

Rechtsanwalt Georg K. Rebentrost, der als Wahlverteidiger gemeinsam mit Pflichtverteidigerin Petra Costabel den mutmaßlichen Täter des Gewaltverbrechens im Leipziger Auwald vom April 2020 vertritt, brachte seine Sicht der Dinge am Montag auf den Punkt: „Der Angeklagte muss es nicht hinnehmen, wenn seinen Interessen von der Richterbank nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit entgegengetreten wird.“

Geheime Absprachen? Verteidiger will zwei Zuhörer aus dem Saal haben

Was war geschehen? Zu Beginn des 15. Verhandlungstages brachte der Strafverteidiger zunächst sein Ansinnen vor, zwei bestimmte Zuschauer im Gerichtssaal, eine Frau und einen Mann, vom Prozess auszuschließen. Beide kämen seit Beginn des Verfahrens im Oktober stets zu den Terminen, es läge der Verdacht nahe, dass beide im Austausch mit Zeugen stehen und sich mit ihnen absprechen würden – was zulasten der Wahrheitsfindung gehen könnte. Zeugen müssten getrennt und nacheinander gehört werden.

Nach seiner Erkenntnis, so Verteidiger Rebentrost, gäbe es eine größere und eine kleinere Chatgruppe bei WhatsApp, bestehend aus Freunden und Bekannten der getöteten Sozialarbeiterin Myriam Z., die zwei Tage nach dem Angriff im Krankenhaus an ihren Verletzungen gestorben war. Während in der größeren Gruppe Zeitungsartikel zum Verbrechen im Leipziger Auwald geteilt würden, gehe es im kleineren Kreis um Details zum Prozessablauf. Die fraglichen Personen im Zuschauerraum könnten Detailinformationen weitergeben und eine konspirative Absprache der Zeugen ermöglichen.

Zur Untermauerung seines Argwohns verwies Rebentrost auf die Zeugenaussage einer Freundin der Getöteten, welche die Existenz der Chatgruppen bestätigt hatte. Genau jene Dame im Publikum, die der Anwalt des Saales verweisen wollte und die ebenfalls aus dem Bekanntenkreis des Opfers kommt, habe die befragte Zeugin ausdrücklich in die Online-Gemeinschaft eingeladen. Das sei der Zeugin allerdings „zu heikel” gewesen.

Gericht kritisiert Spekulation über „Verschwörung”

Sowohl Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob als auch Ina Alexandra Tust und Rita Belter, Anwältinnen der Nebenklage, lehnten einen Rauswurf der beiden Beobachter ab, warfen dem Anwalt Spekulation vor. Auch das Schwurgericht unter dem Vorsitzenden Hans Jagenlauf verwahrte sich gegen die Forderung. Als die Kammer ihren Beschluss verkündete, beide Personen momentan nicht in den Zeugenstand holen zu wollen und Rebentrost „Vermutungen zu einer möglichen Verschwörung der Zeugen“ vorhielt, kündigte der Verteidiger empört einen Befangenheitsantrag an: Niemals habe er das Wort Verschwörung benutzt.

Der Befangenheitsantrag, den Rebentrost nach stundenlanger Bearbeitungszeit und mehrfach gewährter Verlängerung am Abend diktierte, nahm auf den Verschwörungsbegriff erneut Bezug: Offenbar gehe es dem Gericht darum, das Interesse der Verteidigung „in Richtung der Lächerlichkeit“ zu rücken, kritisierte der Anwalt scharf.

Verteidigung sieht sich falsch dargestellt

Daneben listete sein Antrag eine Reihe weiterer Vorfälle auf. Demnach seien die Verteidiger in ihrem Befragungsrecht von Zeugen mehrfach zu Unrecht beschnitten worden, das Gerichtsprotokoll stelle den Auftritt der Verteidigung falsch, einseitig und verkürzt dar. So habe Rebentrost das Verhalten des Oberstaatsanwalts auf der Gegenseite nur deswegen als „flegelhaft“ bezeichnet, weil der zuvor mit Seitenhieb auf Rebentrost geäußert habe, manche hätten „eben eine andere Erziehung genossen.“ Dieser Kontext sei im Protokoll nicht ersichtlich.

An mehreren Stellen würde die Verteidigung von Edris Z. zudem in ein falsches Licht gerückt.

Mit ihrem Antrag zweifeln die Anwälte des Angeklagten nun offen die Fähigkeit oder den Willen des Vorsitzenden sowie der je zwei Berufsrichterinnen und Schöffinnen an, ihren Mandanten unvoreingenommen zu behandeln. Wie sich das auf die ohnehin schon belastete Atmosphäre im Gerichtssaal auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Andere Richter des Leipziger Landgerichts werden in naher Zukunft über den Antrag befinden. Sollte ihm stattgegeben werden, müsste der Prozess noch einmal ganz von vorn starten. Mit einer Entscheidung ist spätestens zum übernächsten Verhandlungstag zu rechnen. Das wäre der Dienstag, 2. Februar 2021.

Zeuge wieder heimgeschickt

Die eigentlich geplante, fortgesetzte Vernehmung von Philipp K. (32), einem alten Schulfreund des Angeklagten, fiel am Montag dafür gänzlich aus. Der Vorsitzende Richter musste den jungen Mann nach einigen Stunden Wartezeit vor der Tür unverrichteter Dinge heimschicken.

Der Prozess geht voraussichtlich am 29. Januar weiter.

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