Ein schon einmal geplatzter Prozess um den Tod eines Geschäftsmanns in Leipzig-Eutritzsch läuft seit Februar erneut vor dem Leipziger Landgericht – und bedeutet für die zuständige Strafkammer einen langwierigen Kraftakt. Am Donnerstag sprach eine Polizistin über die Vernehmung jenes Mannes, der die Ermittlungen in Gang brachte, indem er seinen Bekannten eines Mordauftrags bezichtigte. Doch die Aussage des Kronzeugen sei nicht unproblematisch gewesen.

Hasan M. trägt eine schusssichere Weste, als er an diesem Donnerstagmorgen durch eine Seitentür den Gerichtssaal betritt, eskortiert von Beamten des LKA, die den 49-Jährigen keine Sekunde aus den Augen lassen. Nicht ohne Grund: Der Bosnier lebt seit fünf Jahren im Zeugenschutzprogramm, da er derjenige war, der den Ermittlern den Tipp gab, wo die Leiche von Mehmet I. zu finden sei.

Polizisten im Landgericht.
Zwei Polizisten auf dem Flur des Landgerichts. Der Mordprozess findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt, da sich der Mitangeklagte im Zeugenschutzprogramm befindet. Foto: LZ

2014 war der Geschäftsmann spurlos von der Bildfläche verschwunden, die sterblichen Überreste des 42-Jährigen tauchten erst Anfang November 2017 nach einer Suchaktion auf einem Gewerbegelände an der Dessauer Straße auf. Wegen eines Mordauftrags sitzt nun der 54-jährige Hüseyin D. auf der Anklagebank, der Kronzeuge Hasan M. selbst wegen gemeinschaftlichen Totschlags.

Kronzeuge wandte sich 2017 an Polizei

Wie es dazu kam, dazu weiß die Polizeibeamtin genau Bescheid, die Hasan M. Mitte Oktober 2017 vernahm und jetzt auf dem Zeugenstuhl Platz nimmt: Damals sei der Mann, den sie bereits aus einer früheren Vernehmung in gleicher Sache kannte – da hatte er noch jeden Verdacht bestritten – zeitig früh unangemeldet an ihrer Dienststelle aufgetaucht und habe unbedingt mit ihr sprechen wollen. „Ich würde sagen, dass er aufgewühlt war und sehr nervös wirkte“, erinnert sich die 49 Jahre alte Polizistin.

Kein Wunder, denn in der anschließenden Vernehmung gab Hasan M. gegenüber der Beamtin zu Protokoll, dass der spurlos verschwundene Geschäftsmann Mehmet I. an einem warmen Tag im September 2014 ermordet worden sei, auf Anordnung seines Bekannten Hüseyin D. (54), wie er erst später konkretisierte. Dieser habe aus Wut über Beleidigungen und Geldforderungen des Kontrahenten die Weisung erteilt, den gefesselten, auf einer Couch liegenden Mann in seinen Geschäftsräumen an der Bitterfelder Straße zu erwürgen. Ismael Ö. (27) habe dies laut späterer Aussage vor den Augen des Auftraggebers ausgeführt.

Er selbst sei dabeigestanden und habe bei der Fesselung mitgewirkt, aus Angst, dass er sonst selbst nicht lebend rauskäme, so der Kronzeuge gegenüber der Polizei. Mit seiner Bitte, das Opfer nur ein wenig zu erschrecken und dann laufen zu lassen, sei er abgeblitzt, Mehmet I. habe seine Chance gehabt, hieß es angeblich. Jetzt plage ihn das schlechte Gewissen, gestand Hasan M. den erstaunten Polizisten an jenem Morgen im Oktober 2017, er halte den Druck nicht mehr aus. Sofern er und seine Familie Schutz bekämen, werde er auspacken und die Täter benennen.

Die Frage nach dem Video der Tat

Das Problem mit der Aussage sei am Ende weniger gewesen, dass Hasan M. sich etwa bei der Zuordnung des Tattags vertan hatte, dies könne schon mal passieren, zumal nach einem solchen Vorfall. Aber: „Es gab viele Ungereimtheiten, dann hatte er auch von sich aus immer wieder Ergänzungen gehabt“, erklärt die Polizistin, die den Zeugen in der ersten Vernehmung erst einmal reden ließ, nur wenige Nachfragen stellte. „Die Krönung war dann wahrscheinlich die Geschichte mit dem Handy.“

Denn der Kronzeuge hatte irgendwann behauptet, die Tat mit einem Mobiltelefon heimlich aufgenommen zu haben. Nur: Die fragliche Videosequenz, ein wichtiges Beweismittel, ist trotz aller Nachforschungen bis heute nirgendwo aufgetaucht und der mögliche Verbleib ungeklärt. Hasan M. will das Handy einem Freund gegeben haben, einem bosnischen Ex-Militär, der in Afghanistan arbeitete – so erklärte er es im ersten Prozess.

Prozess Nummer 1 platzte 2020

Schon 2018 hatte nämlich die Aufarbeitung der schwerwiegenden Vorwürfe am Landgericht begonnen, war dann aber im Sommer 2020 überraschend geplatzt: Nach 75 Tagen aufwändiger Beweiserhebung kündigte Ismael Ö. kurz vor dem Urteil überraschend seine Aussagebereitschaft an. Der junge Mann, der den Tötungsauftrag ausgeführt haben soll, hatte sich zwischenzeitlich in die Türkei abgesetzt.

Die neue Sachlage ließ den Mammutprozess platzen, denn der Vorsitzende Richter sollte wenig später planmäßig in den Ruhestand wechseln. Er selbst wollte das Verfahren übrigens zu Ende bringen und dafür länger arbeiten – das wurde ihm dienstrechtlich verwehrt. Hüseyin D. und Hasan M. wurden aus der Untersuchungshaft entlassen. Zu einer Aussage des Verdächtigten Ö. kam es offenbar nicht.

Angeklagter 2014 selbst im Visier eines Mordauftrags

Hüseyin D., der aus sittlich niedrigsten Motiven die Tötung eines Menschen befohlen haben soll, war 2014 selbst ins Visier eines Auftragsmörders geraten. Da der angeheuerte Schütze sein Zielobjekt heimlich warnte, schlug der Plan fehl, stattdessen wurde die Ermordung mit „Beweisfoto“ vorgetäuscht, inklusive Saft, Schminke und Ketchup-Blut. Der Auftraggeber bekam drei Jahre Haft.

Allein dies zeige, dass offenbar Interessen dahingehend vorlägen, dem Angeklagten massiv zu schaden, so die Verteidigung von Hüseyin D., die ihren Mandanten für unschuldig hält. Die ganze Anklage baue auf einem Drehbuch, dessen Autor der belastungseifrige Kronzeuge M. sei, hatte Rechtsanwältin Dr. Ines Kilian zum Prozessbeginn moniert. Einseitige Ermittlungen und eine „unrühmliche Rolle“ wirft sie der Leipziger Staatsanwaltschaft vor.

Termine bis kurz vor Weihnachten

Die geht davon aus, dass Mehmet I. nach seiner Ermordung am 22. September 2014 entkleidet, in ein Fass gesteckt, kurz zwischengelagert und dann in etwa drei Metern Tiefe verscharrt worden war. Ob sich dies erhärten lässt, wird der weitere Prozessverlauf zeigen. Hüseyin D. äußerte sich persönlich zunächst nicht zu den Vorwürfen, die Anwälte des Kronzeugen Hasan M. wiederum verweisen auf einen entschuldigenden Notstand, in dem ihr Mandant gehandelt habe. Sicher ist nur, dass dieses große Verfahren weiter viel Konfliktpotenzial birgt. Termine zur Verhandlung sind vorerst bis kurz vor Weihnachten 2023 geplant.

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