Die Leiche wurde in ein Fass gesteckt und verscharrt: Fast achteinhalb Jahre nach dem von der Staatsanwaltschaft angenommenen Mord an einem Geschäftsmann im Leipziger Norden wird der Sachverhalt seit Mittwoch neu am Landgericht verhandelt. Unter Tatverdacht steht ein 54-Jähriger, dessen Mitangeklagter (49) ihn schwer belastet. Im Sommer 2020 war das komplexe Verfahren kurz vor Schluss überraschend geplatzt und der Hauptverdächtige aus der Untersuchungshaft freigekommen.

Was genau widerfuhr dem türkischen Geschäftsmann Mehmet I. (42), der im Jahr 2014 zunächst spurlos von der Bildfläche verschwand und dessen Leichnam über drei Jahre später in einem verbuddelten Fass auftauchte? Laut Staatsanwältin Vanessa Fink wurde der Mann aus Wut über Beleidigungen und Streit um Geldzahlungen brutal erwürgt, die Leiche in ein Fass gesteckt und auf dem Gelände einer Firma an der Dessauer Straße in einem Loch verscharrt.

Kronzeuge unter Personenschutz

Hüseyin D. und Hasan M., zwei der drei Tatverdächtigen, nahmen am Mittwochmorgen auf der Anklagebank des Leipziger Landgerichts Platz. Als Hauptverdächtigen sieht die Leipziger Staatsanwaltschaft den 54-jährigen Händler Hüseyin D., auf dessen Anweisung hin das Opfer am 22. September 2014 von den zwei Mittätern gefesselt beziehungsweise erdrosselt worden sein soll. Die Ermittlungen kamen in Gang, nachdem sich der zweite Angeklagte Hasan M. an die Behörden gewandt hatte – nach eigener Darstellung, weil ihn das Gewissen plagte. Im Herbst 2017 schlugen Leichenspürhunde auf dem Firmenareal an der Dessauer Straße an.

Jetzt lebt der 49-jährige Hasan M. im Zeugenschutzprogramm des LKA Sachsen, wird auch im Prozess permanent durch Personenschützer bewacht.

Polizisten im Landgericht.
Zwei Polizisten auf dem Flur des Landgerichts. Der Mordprozess findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt, da sich der Mitangeklagte im Zeugenschutzprogramm befindet. Foto: LZ

Ein dritter Verdächtiger, der sich seit 2017 vorübergehend in Untersuchungshaft befand, setzte sich nach seiner Entlassung Anfang 2018 in die Türkei ab – dort soll sich Ismael Ö. bis heute aufhalten.

Erster Prozess platzte nach 75 Tagen

Er war auch der Grund, warum ein erster Strafprozess in Leipzig schließlich geplatzt war: Nach über zweijähriger Hauptverhandlung mit 75 Prozesstagen, bei denen Kronzeuge Hasan M. seinen Bekannten Hüseyin D. schwer als Mordanstifter belastet hatte, teilte Ismael Ö. dem Leipziger Gericht kurz vor dem Ende des Prozesses im Sommer 2020 seine Bereitschaft zur Aussage mit.

Da der damalige Vorsitzende der Strafkammer sich jedoch kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand befand, wurde das Verfahren nach der überraschenden Neuigkeit ausgesetzt – eine mögliche Neubewertung der komplexen Sachlage schien in so kurzer Zeit nicht mehr zu leisten. Dem Umstand, dass der Schwurgerichts-Vorsitzende selbst bereit gewesen wäre, den Prozess über seinen Renteneintritt hinaus zu Ende zu bringen, stand laut Landgericht Leipzig die dienstrechtliche Altersbeschränkung für Richter entgegen. Beide Angeklagte wurden aus der Untersuchungshaft entlassen.

Mitangeklagter Kronzeuge beruft sich auf Notstand

Zum neuerlichen Prozessauftakt am Mittwoch rügten die Anwälte des Kronzeugen zunächst die lange Verfahrensdauer und verwiesen darauf, dass ihr Mandant seit mehreren Jahren unter Zeugenschutz stehe, ihm hier kein unbeschwertes Leben mehr möglich sei. Dass Hasan M. schuldhaft einen anderen Menschen getötet habe, sei falsch, er habe in der Situation eines „entschuldigenden Notstands“ gehandelt, als er laut Anklage die Fesselung und Fixierung des Opfers vornahm, so Anwalt Stefan Lorenz. Ismael Ö. (heute 27) soll Mehmet I. schließlich getötet haben.

Mit Notstand ist womöglich gemeint, dass sich Hasan M. aus Angst vor dem Mitangeklagten nicht getraut habe, anders zu reagieren, dies hatte er selbst zumindest im später geplatzten Prozess geltend gemacht.

Verteidigung: Hüseyin D. ist unschuldig

Die Verteidigung von Hüseyin D. wiederum sieht den Kronzeugen als unglaubwürdig an, seine Angaben seien widersprüchlich und von Belastungseifer geprägt, jedoch der einzige Unterbau der Anklage, monierte Rechtsanwältin Ines Kilian. Der Staatsanwaltschaft warf sie einseitige Ermittlungen vor. Erst vor wenigen Tagen habe ein Polizeibeamter die Privatadresse ihres Mandanten aufgesucht und sich bei dessen Sohn erkundigt, ob der Vater zum Prozess erscheinen werde, kritisierte sie zudem. Hüseyin D. habe sich dem Verfahren auch nach der Freilassung aus der Untersuchungshaft nie entzogen: „Er hat nichts zu verbergen, er ist unschuldig.“

Ferner erinnerte sie daran, dass ihr Mandant vor Jahren selbst ins Visier eines Mord-Auftraggebers geraten sein soll. Der perfide Plan eines Geschäftspartners scheiterte damals, weil der Auftragsmörder das auserkorene Opfer vorwarnte und gemeinsam mit ihm per gefälschtem Foto inklusive „Blut“ aus Ketchup die Ermordung inszenierte.

Es gäbe durchaus Personen, die Interesse daran hätten, Hüseyin D. seiner Existenzgrundlage und seiner Freiheit zu berauben, so Rechtsanwältin Kilian.

Angebliches Tatvideo bis heute nicht auffindbar

Die 3. Strafkammer hat nun das ganze Jahr über reichlich Arbeit vor sich, die verworrene Geschichte und das Schicksal von Mehmet I. noch einmal aufzurollen. Mehr als 30 Verhandlungstage wurden bis 21. Dezember anberaumt. Während Hüseyin D. zunächst über die Vorwürfe schweigen wolle, werde der Kronzeuge Fragen beantworten, nachdem nochmals ein Video seiner Vernehmung bei der Kripo vom Herbst 2017 im Gerichtssaal abgespielt werden soll.

Ob das auch mit einer Videosequenz geschehen wird, die der Kronzeuge vom Tatgeschehen per heimlich laufendem Handy gedreht haben will, ist dagegen fraglich: Die angebliche Aufnahme ist bis heute nicht auffindbar. Schon das macht klar, vor welchen Problemen die Beweisaufnahme wohl stehen wird.

Gericht weist Kritik an Verfahrensdauer zurück

Die Anwaltskritik an der langen Verfahrensdauer wollte das Schwurgericht so nicht stehen lassen: Man sei nicht untätig gewesen, jedoch hätten nach der Haftentlassung der Verdächtigen andere Fälle Priorität gehabt, bei denen Beschuldigte in Untersuchungshaft saßen, betonte der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn.

Richterbank im Landgericht.
Die 3. Strafkammer mit dem Vorsitzenden Bernd Gicklhorn (M.) verhandelt den Fall voraussichtlich mindestens bis Ende 2023. Foto: LZ

Dazu seien auch die durch Corona bedingten Einschränkungen gekommen. Für die Ernennung von Ergänzungsrichtern, die den Prozess im Notfall weiterführen könnten, fehle die personelle Kapazität – und andere Kammern seien auch zur Genüge ausgelastet.

Die Verhandlung, die unter erhöhtem Sicherheitsaufwand und mit Extra-Besucherkontrollen stattfindet, wird voraussichtlich am 9. Februar fortgesetzt.

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